Gespräch mit Marvin Kren (Regie)

Navid Nagahban, Marvin Kren und Wotan Wilke Moehring
Navid Nagahban, Marvin Kren und Wotan Wilke Moehring | Bild: dpa

Ihrem zweiten "Tatort" mit den Ermittlern Falke und Lorenz liegt ein Drehbuch Friedrich Anis zugrunde. Welche Punkte seiner Geschichte haben Sie besonders interessiert?

Was gerade im Mittleren Osten passiert, lässt uns alle nicht unberührt. Ständig erreichen uns neue Bilder und Berichte über die desolate Lage dort. Einerseits hat mich dieses Thema also emotional herausgefordert, zum anderen hatte ich auf diese Weise Gelegenheit, mich einmal näher mit den Hintergründen des Krieges in Syrienzu beschäftigen. Das Tolle an dem Buch von Friedrich Ani ist in meinen Augen, wie er es schafft, den syrischen Bürgerkrieg, der so weit weg zu sein scheint von unserer unmittelbaren Lebenswelt, so nah zu uns heranzuholen. Hier wird kein Konflikt verhandelt, der uns scheinbar nichts angeht, weil er in einem fremden Land stattfindet und allenfalls am Rande unserer Gesellschaft lebende Immigranten näher betrifft, sonderndieser Konflikt findet mitten unter uns statt. In Oldenburg, einer schönen kleinen deutschen Stadt, unter gut situierten, gut ausgebildeten Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. In deren Leben schneidet das Messer des Bürgerkriegs unvermittelt hinein und richtet viel Unglück an. Das fand ich sehr spannend.

Ani ist ein bekannter und versierter Krimiautor. Wie verlief die Zusammenarbeit?

Ich kannte im Vorfeld schon einige Bücher und Filme von Friedrich Ani. Zum Beispiel bin ich ein großer Fan von "Das unsichtbare Mädchen", das von Dominik Graf verfilmt wurde, und hatte insofern große Hochachtung. Als wir uns dann kennenlernten, bestand glücklicherweise von Anfang an eine große Sympathie zwischen uns. Friedrich Ani war immer offen für meine Ideen und bereit, mit mir an diesem Stoff zu arbeiten, das war wirklich toll. Das war eine sehr glückliche Arbeit.

Wie sind Sie an die Sache herangegangen? Was für einen Film wollten Sie machen?

Ein wichtiges Prinzip war für uns, dass wir nicht gleich offenlegen, was für ein Konflikt hier untergründig wirksam ist. Man erkennt nicht gleich am Anfang, wer mit wem in welcher Beziehung steht und wo die Grenzen zwischen Gut und Böse verlaufen. Wir dringen in den Kosmos einer konservativen deutsch-syrischen Familie ein und merken, da ist irgendwas, können es aber nicht so recht einordnen. In den ersten zwanzig Minuten sollte jeder Erzählstrang wie ein spannendes, dramatisches Geheimnis sein. Die Atmosphäre ist emotional aufgeladen; man wird neugierig auf die Figuren und ihre Geschichte, aber man weiß nicht, was sich hinter all diesen Fragezeichen verbirgt. Erst nach und nach erfährt der Zuschauer immer mehr, indem er den Ermittlerfiguren folgt. Indem wir dabei zusehen, wie Falke und Lorenz sich vortasten, werden die Dinge allmählich klarer.

Sie konnten Navid Negahban, den viele Fernsehzuschauer aus "Homeland" kennen werden, für die Rolle des Harun gewinnen. Wie kam das zustande?

Als es darum ging, wer Harun spielen könnte, habe ich meine Casterin gebeten, jemanden zu finden, der ähnlich aussieht wie Navid Negahban, also wie Abu Nazir in "Homeland". Ich hab ihr gesagt, so einen Typen brauche ich, gibt es so einen in Deutschland? Parallel dazu hatte die Casterin Navid aber schon ausfindig gemacht. Das war ein wahnwitziger Zufall, denn es stellte sich heraus, dass er in Deutschland gelebt und hier eine tolle Zeit verbracht hat. Er hat sozusagen seine erste Station auf dem Weg, Schauspieler zu werden, hier in Deutschland absolviert. Entsprechend hoch war seine Bereitschaft zu kommen, und wir waren natürlich sehr glücklich, als er zugesagt hat. Kurz vor Drehbeginn hat Navid Negahban dann aber plötzlich eine Zusage von Clint Eastwood für eine große Rolle bekommen, und es sah eine Zeit lang so aus, als würden wir ihn wieder verlieren. Aber dank der tollen Flexibilität der Produktion hat es am Ende doch noch geklappt. Die Leute von der Produktion haben einfach alles möglich gemacht. Lustigerweise ist Numan Acar, der Darsteller des jungen Mannes, der in unserem Film an der Raststätte stirbt, jetzt in der vierten Staffel von "Homeland" der Bösewicht.

Die Pathologin führt im Film eindringlich vor, unter welch ungewöhnlichen Umständen Ahmad Shuk gestorben ist. Ein wunderbar komischer Auftritt Ihrer Mutter. Berichten Sie uns von der Zusammenarbeit.

Meine Mutter spielt häufig in Filmen von mir kleine Gastrollen; das sind meist amüsante, gute Momente. Ich mache diesen Beruf überhaupt nur, weil ich ihn über meine Mutter kennengelernt habe. Dass sie immer wieder in meinen Filmen vorkommt, ist eine Art Dankeschön an sie, und ich freue mich immer, wenn sie meine Filme mit ihren Auftritten bereichert. Ich hatte Friedrich Ani gebeten, diese Szene gegenüber der ursprünglichen Version noch ein bisschen zu verändern, ohne ihm zu sagen, dass meine Mutter das spielen sollte. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich gern eine Gerichtsmedizinerin hätte. Daraufhin hat er das neu geschrieben, und plötzlich war diese lustige Szene drin, was phantastisch war, weil genau so etwas meiner Mutter total liegt. Das war ihr sozusagen auf den Leib geschrieben, ohne dass das Friedrich Ani bewusst war. Auch daran sieht man, dass das einfach eine magische Begegnung war zwischen Friedrich und mir. Das war eine glückliche, sehr besondere Zusammenarbeit. Und mit Mutter zu arbeiten, macht immer Spaß, sie hat eine gute Energie.

Wonach haben Sie die Musik für diesen Film ausgewählt?

Ich habe diesmal mit den Musikern Johannes Lehniger und dem Peter Folk zusammengearbeitet. Das sind ganz junge Kollegen, die mit "Tore tanzt" schon für den Deutschen Filmpreis nominiert waren. Uns war wichtig, dass wir neue Klänge suchen und nicht einfach auf Altbewährtes zurückgreifen, das häufig verwendet wird, wenn es um Menschen aus dem arabischen Kulturkreis geht. Wir wollten die klischeehafte arabische Musik, die man so kennt, nicht bedienen. Stattdessen wollten wir Elemente und Instrumente aus dieser Musik nehmen und sie in einen modernen, heutigen Kontext einbauen. Die Musik soll das Unheimliche, Geheimnisvolle, Fremde auf einer psychologischen Ebene wiedergeben.

"Die Feigheit des Löwen" ist Ihr zweiter "Tatort" um Thorsten Falke, Katharina Lorenz und Jan Katz in Folge. Inwiefern war das reizvoll für Sie?

Es hat mir riesigen Spaß gemacht, gleich einen zweiten Film mit ihnen zu machen und die Figuren und die spezielle Konstellation um Thorsten Falke zusammen mit den Darstellern weiterentwickeln zu können. Auch die Welt der Bundespolizei konnten wir uns auf die Weise noch mal genauer anschauen. Wie das Büro so einer mobilen Fahndungseinheit aussieht, zum Beispiel. Das sind ja immer Räume, die eigentlich nicht für normale Bürotätigkeiten gedacht sind. Was wiederum bedeutet, dass sie total filmisch daherkommen. Das hat es uns in diesem Fall ermöglicht, Aspekte des Bürgerkriegs einzubauen. Das durchzieht als ein wichtiges Gestaltungselement ja den gesamten Film: Wir haben uns immer wieder in kleinen Details gefragt: Was bedeutet das, Bürgerkrieg? Was sind Elemente von Bürgerkrieg? Dazu gehört auch, dass in dem Krankenhaus, in dem sich die syrische Mutter mit ihrem Sohn aufhält, plötzlich Leute auftauchen, die viel zu stark verletzt sind, denen Gliedmaßen fehlen oder die blutüberströmt sind. Dieser Aspekt war uns ganz wichtig.

Der syrische Bürgerkrieg ist auch über die mediale Berichterstattung sehr präsent in Ihrem Film. Wollten Sie diesen Konflikt so noch einmal näher rücken?

Wenn man so will, ist das eine Binnenhandlung des Films. Sie gibt der Geschichte auf der einen Seite eine Atmosphäre, bringt aber gleichzeitig noch einen anderenwichtigen Faktor mit: Wir kennen das ja alle, dass wir von den Nachrichten auch emotional beeinflusst werden. Diese Bilder begleiten uns jeden Tag; auch in den absurdesten Situationen werden wir damit konfrontiert, welche schlimmen und beklagenswerten Dinge in der Welt passieren. Insofern ist das durchaus auch eine Reflexion darüber, was die Medien mit uns machen und wie sie uns beeinflussen. In erster Linie dienenall diese Bilder und Berichte aber natürlich dazu, den Bürgerkrieg in Syrien so präsent zu machen wie möglich. Sie sind wie eine Art mediale Glocke, die die Figuren umgibt.

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