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Irak: Die Armee will wieder kämpfen

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Irak: Die Armee will wieder kämpfen | Bild: Das Erste

Die Militärmaschine löst sich vom Asphalt des Flughafens in Bagdad. Ziel: die Terrorprovinz Anbar. Die zahllosen Milizen des Islamischen Staates haben das riesige Gebiet an der Grenze zu Syrien weitgehend unter ihrer Kontrolle. Die Piloten fliegen die Maschine in großer Höhe, denn jenseits des Euphrat beginnt die Todeszone der Islamisten.

Ein Lastwagen fährt durch ein Militärgelände
Ein Lastwagen fährt durch ein Militärgelände | Bild: Bild: BR

Al-Assad Airbase, nordwestlich von Ramadi, mit über 50 Quadratkilometern eines der größten Militärlager des Nahen Ostens. Wie viele Soldaten hier stationiert sind – ein Staatsgeheimnis. Fünf Tage hat man uns in Bagdad warten lassen, trotz Einladung des Ministers. Und auch im Lager geht nichts voran. Wir werden ein Opfer von Lethargie, Kompetenzgerangel und Bürokratie.

Am sechsten Tag endlich geht es los: Ausflug in eines der Dörfer, die die Armee vor einer Woche vom IS zurückerobert hat: Wir überqueren eine Pontonbrücke über den Euphrat. Anfang Oktober hatten die Extremisten Dutzende von Dörfern erobert und Zivilisten ermordet wie hier in Dulab. Mehrere Geländewagen der Extremisten – zerbombt.

Shaaban Bersan
Shaaban Bersan | Bild: Bild: BR

Shaaban Bersan, Kommandant irakische Armee, Dulab:

»Es waren sehr heftige Gefechte. Wir haben mehrere Kämpfer des Islamischen Staates getötet und ihre Wagen und Waffen erbeutet. Die meisten ihrer Anführer sind geflüchtet.«

Nur vereinzelt sind Einwohner zurückgekehrt. Überall herrscht panische Angst vor den barbarischen Gotteskriegern, die hier zwei Monate lang gewütet haben. In ihrem ehemaligen Hauptquartier finden sich banale Zeugnisse eines vermeintlich Heiligen Krieges.

Shaaban Bersan, Kommandant Dulab:

»Hier waren Pakistani, Inder und Sudanesen, dies sind ihre Kopfbedeckungen. Und da vorne, das ist die Küchenwaage, mit der sie den TNT-Sprengstoff abgewogen haben.«

Solche scharfen Metallplättchen mischen die Terroristen in den Sprengstoff, um die tödliche Wirkung zu potenzieren. Eine perfide Form von Effektivität.

Soldaten laufen einen Weg entlang
Soldaten laufen einen Weg entlang | Bild: Bild: BR

Warum – so fragen sich viele Beobachter – konnten die Extremisten im Sommer die Stadt Mossul erobern und eine Offensive bis vor die Tore der Hauptstadt starten? Und warum nahm die irakische Armee Reißaus?

Shaaban Bersan, Kommandant Dulab:

»Sie haben viel bessere Waffen als wir und die Grenze zu Syrien ist offen, so dass ihr Nachschub gesichert ist und sie sich zurückziehen können. Die Amerikaner sollen mit ihren Flugzeugen die Grenze sichern, dann können wir den Irak befreien.«

Zurück in der irakischen Luftwaffenbasis. Hier will man uns zeigen, wie viel Sprengstoffe die Armee eingesammelt hat. In einem gesicherten Lager: Hunderte von Granaten, Minen und improvisierten Sprengkörpern. Die Masse ist beeindruckend und zeigt, dass die Terroristen offenbar unbegrenzten Zugang zu TNT, C4 und Semtex haben. Doch es handelt sich größtenteils um einfachste und verrostete Sprengvorrichtungen.

Plötzlich will man uns möglichst schnell zu einem Lagertor fahren, wo gerade ein großer Versorgungskonvoi ankommt. Doch der Offizier verfährt sich in der eigenen Basis eins ums andere Mal, Beispiel für fehlende Kommunikation im Militär. Nach einer Dreiviertelstunde schließlich hat der Fahrer den Ort gefunden.

Lastwagen fahren vorbei
Lastwagen fahren vorbei | Bild: Bild: BR

Aus der südirakischen Stadt Kerbela haben die Fahrzeuge drei Tage gebraucht; Dutzende von LKW, beladen mit Nachschub für die Armee: 340 Tonnen Nahrungsmittel und Treibstoff.

Einen Helikopterflug hatte man uns genehmigt, ohne Begründung fällt er aus, wir denken an eine vorzeitige Abreise. Doch dann treffen wir den Stammesführer der Albu Nimr. Der Abgeordnete im irakischen Parlament begrüßt an diesem Morgen seine Clanchefs; heute will er zu einer gefährlichen Reise aufbrechen.

Scheich Naim al-Gaoud
Scheich Naim al-Gaoud | Bild: Bild: BR

Scheich Naim al-Gaoud, Stammeschef Albu Nimr:

»Wir wollen sehen, wie es unseren Kämpfern geht und wann wir die nächste Schlacht gegen den IS schlagen, um die ganze Region zu befreien.«

Noch vor einer Woche war diese verlassene Bergregion fest in den Händen der Extremisten. Die Soldaten halten Ausschau nach feindlichen Scharfschützen. Herrenlose Kühe – der Besitzer: geflohen.

Ein Fahrer:

»Wir haben diese Straße geräumt; Spezialisten haben die Sprengkörper entschärft. Überall waren Minen vergraben, mindestens 300, vielleicht mehr.«

Vorposten der Albu Nimr am Ortseingang von Machbubie: Der Besuch ihres Scheichs – für die Kämpfer ein Hoffnungsschimmer. Doch Nahrungsmittel oder Munition hat er nicht dabei; die irakische Regierung verweigert dem Stamm bislang jegliche Unterstützung.

Salah Suleiman, Milizionär Albu Nimr-Stamm:

»Wir haben keine Angst vor dem Islamischen Staat. Was er macht, ist kein Heiliger Krieg. Sie tauchen nur auf, um alte Männer zu töten, unsere Kinder und Frauen. Aber mit Gottes Hilfe werden wir sie töten!«

Eine Gruppe von Kämpfern
Eine Gruppe von Kämpfern | Bild: Bild: BR

Die Albu Nimr – Hauptleidtragende des Verteidigungskampfes gegen die Gotteskrieger. Schon über 1000 Stammesmitglieder wurden vom IS ermordet. Scheich Naim will den Milizen Mut machen, aber die Männer fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen in ihrem Kampf gegen einen unmenschlichen Feind.

Allah Karim al-Nimrawi, Augenzeuge eines IS-Massakers:

»Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie Ende Oktober in der Stadt Heet alle Geiseln getötet haben. Ich schwöre: es waren alles Zivilisten: Schüler, Viehzüchter, Händler.«

Fußweg zur Frontlinie: In der Nähe schlagen mehrfach Granaten ein, abgefeuert von den Gotteskriegern. Wir beschließen, nicht zu lange zu bleiben.

Shaaban Bersan, Kommandant Dulab:

»Genau vor uns liegen die ersten Stellungen des IS, drei Kilometer von hier. Die ganze Ebene ist voller Sprengstoff.«

Scheich Naim al-Gaoud, Stammeschef Albu Nimr:

»Von allen Stämmen des Irak werden wir am häufigsten angegriffen. Die Terroristen sagen, wir sind Freunde der USA; sie zerstören unsere Dörfer, nehmen unser Eigentum und töten unsere Frauen und Kinder.«

Abschussrichtung Nordnordost, Entfernung 3000 Meter – das Lager des Islamischen Staates.

Über 200.000 irakische Soldaten gegen maximal 30.000 Kämpfer des Islamischen Staates. Doch die Armee ist ineffektiv und braucht den Nachschub eher für sich selbst. Die Albu Nimr stehen im irakischen Antiterrorkampf allein an vorderster Front.

Autor: Thomas Aders, ARD Kairo

Stand: 05.01.2015 09:14 Uhr

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