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Spanien: Podemos auf dem Sprung

Demonstration von Podemos
Demonstration von Podemos | Bild: Bild: BR

Die Massen strömen. Die Partei Podemos feiert ihren ersten Geburtstag im Kongresszentrum in Sevilla.

Pablo Iglesias
Pablo Iglesias | Bild: Bild: BR

Und er verkörpert ihre Hoffnungen: Pablo Iglesias – Anstifter, Vordenker, inzwischen auch Generalsekretär der jungen, linken Partei.

4000 Menschen feiern ihn frenetisch. So viele konnten früher nur die Sozialdemokraten hier in Andalusien mobilisieren. Aber auch die haben damit inzwischen Schwierigkeiten.

Pablo Iglesias reichen simple Botschaften, um sein Publikum in Verzückung zu versetzen:

Pablo Iglesias, Generalsekretär Podemos:

»Spanien hat im Grunde drei Probleme: Die Arbeitslosigkeit, die Ungleichheit und die Schulden. Mit dem Zwang zum Sparen löst man kein einziges dieser Probleme. Was uns seit 2007 die Troika und diese Frau Merkel diktiert haben, hat alles nur schlimmer gemacht.«

Noch muss Podemos gar keine Lösungen anbieten. Die Zustandsbeschreibung genügt, denn sie ist Realität für viele.

Menschen warten an einem Arbeitsamt
Menschen warten an einem Arbeitsamt | Bild: Bild: BR

Schlangen vor den Arbeitsämtern – sie sind immer noch Alltag für viele Menschen in Spanien. Zwar hat das Land die Rezession überwunden und Spaniens Ökonomie wird in diesem Jahr wohl stärker wachsen als die meisten Volkswirtschaften in der EU. Aber die Arbeitslosenzahlen sind immer noch exorbitant. Die Quote für 2014: Knapp 25 Prozent.

Über die Räumung von Wohnungen redet außerhalb Spaniens kaum noch jemand. Fakt aber ist: Im vergangenen Jahr landeten mehr Menschen als 2013 auf der Straße, weil sie den Kredit für ihr Wohneigentum nicht mehr bedienen konnten.

Und dann gibt es noch ein Geschwür, das diese Gesellschaft schon lange befallen hat.

Pablo Iglesias, Generalsekretär Podemos:

»Das ist die strukturelle Korruption. Und wegen dieser Korruption funktioniert das gesamte System nicht. Deswegen brauchen wir Besen. Besen, um mal richtig durchzufegen. Diesen Dreck bekommt man nicht allein mit der Justiz in den Griff. Gesetze genügen nicht. In die Wirtschaft muss endlich echte Demokratie einziehen. Das Gemeinwesen darf nicht mehr dazu dienen, dass sich ein paar wenige bereichern.«

Luis Barcenas
Luis Barcenas | Bild: Bild: BR

Die konservative Regierungspartei steckt tief drin im Korruptionssumpf. Luis Barcenas, ihr ehemaliger Schatzmeister etwa, soll Millionen Euro in die Schweiz geschafft und Parteifunktionären Geld aus schwarzen Kassen bezahlt haben. Ein Beispiel von vielen.

Sozialdemokraten, Gewerkschafter, das Königshaus – sie alle geben ein schlechtes Bild ab. Prinzessin Cristina, die Schwester von König Felipe, wird demnächst wegen Steuerhinterziehung auf der Anklagebank sitzen. Die Spanier haben von dieser Selbstbedienung der Privilegierten die Nase gestrichen voll. Selbst die konservative Presse lobt Podemos.

Casimiro García-Abadillo
Casimiro García-Abadillo | Bild: Bild: BR

Casimiro García-Abadillo, Herausgeber El Mundo:

»Ab jetzt kann die Politik nicht einfach so weitermachen. Podemos macht klar, dass die Politik nah bei den Bürgern sein muss. Podemos spricht immer von der Kaste der Politiker, und, ja, die Parteien haben lange Politik hinter dem Rücken der Menschen gemacht. Wenn die Parteien, die bisher bestimmend waren, auch in den kommenden Jahren eine Rolle spielen wollen, müssen auch sie an die Seite der Bürger zurückkehren.«

San Blas
San Blas | Bild: Bild: BR

San Blas, ein Stadtteil von Madrid. Hier hat Podemos viele Anhänger. Menschen, die immer noch unter den Folgen der Krise ächzen.

Juan Carlos Monedero
Juan Carlos Monedero | Bild: Bild: BR

Juan Carlos Monedero ist die Nummer Zwei der Partei. An diesem sonnigen Wintertag ist er zum ersten Treffen der Stadtteilgruppe in diesem Jahr gekommen. Ein Foto mit ihm ist eine begehrte Trophäe, kann man später vielleicht mal vorzeigen: Schaut her, ich war dabei, als die Politik in Spanien neu erfunden wurde. Und die, die gekommen sind, spüren, dass sich etwas tut:

Juan Carlos Monedero, Podemos:

»Wir sind der Katalysator. Wir aktivieren die Leute. Die Menschen glauben jetzt mehr an sich. Sie sitzen weniger den Lügen der anderen auf. Die etablierten Mächtigen haben ja keine Angst vor der Linken oder vor Podemos – sie haben Angst vor den Menschen, die sich ihrer Situation bewusst werden. Und dieses Bewusstsein entsteht bei unseren Versammlungen.«

Die letzten Umfragen der Meinungsforscher sehen Podemos stabil vor den Konservativen und den Sozialdemokraten. Und das nach nur einem Jahr auf der politischen Bühne - sensationell.

Zum ersten Mal seit dem Tod des Diktators Franco steht das Zweiparteiensystem Spaniens auf der Kippe, mit Folgen vielleicht über Spanien hinaus.

Casimiro García-Abadillo, Herausgeber El Mundo:

»Zweifellos – die europäische Linke würde deutlich stärker mit Erfolgen in Griechenland und in Spanien. Politik müsste sich verändern, vielleicht nicht radikal. Aber es gäbe natürlich mehr Druck in Richtung einer Wachstumspolitik, weg von der harten Sparpolitik.«

Zum ersten offiziellen Parteikongress im Herbst war natürlich auch Alexis Tsipras gekommen. Im Europaparlament sitzen Syriza und Podemos gemeinsam in der Fraktion der Linken. Und viele Forderungen klingen ähnlich: Neuordnung der Schulden, staatliches Grundeinkommen, mehr Geld für öffentliche Bildung und das Gesundheitssystem.

Podemos wird die spanische Politik nach den Wahlen im Herbst nicht von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellen können. Aber ohne sie geht ab jetzt nichts mehr. Das wissen sie. Das Selbstbewusstsein ist bei der Veranstaltung in Sevilla mit Händen zu greifen. "Si, se puede" – ja, wir können etwas ändern. Das ist die Botschaft.

Autor: Jörg Rheinländer, ARD Madrid

Stand: 30.01.2015 23:47 Uhr

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