So., 07.05.23 | 18:30 Uhr
Ghana: Wohin mit den Altkleidern?
Berge von Textilien, angeschwemmt am Strand, in Ghana, nahe der Hauptstadt Accra. Kleidungsabfälle aus Europa, Nordamerika, Asien – vieles von dem, was der globale Norden nicht mehr will, endet hier. Ein paar Meter weiter: die traditionellen Fischer mit ihren kleinen Booten, zwischen denen sie ihre Netze reparieren, den Fang verwerten, essen – leben, im Dreck der anderen. Wir sind unterwegs mit Vis Tagoe, dem Vorsitzenden der Fischergenossenschaft. Täglich werde mehr Müll angeschwemmt, sagt er, man könne ihm nicht entkommen. Nicht mal auf dem Meer.
"Das alles hier: Was bedeutet das für die Fischer?", fragt der Reporter und der Vis Tagoe antwortet: "Wir Fischer haben eine Menge Probleme. Wenn wir auf dem Meer unsere Netze auswerfen können, sind wir froh. Aber wenn wir sie einholen, ist da Müll drin." Oftmals mehr Müll als Fische. Wie aber kann man den Altkleiderberg verringern, das Leben der Fischer verbessern – und auch das der Textilarbeiter in Accras Stadtteil Kantamanto? Liz Ricketts versucht mit ihrem Team Antworten zu finden. Dafür hat sie in Accra eine Stiftung gegründet, sie, die Designerin aus den USA, die einmal für die Modeindustrie gearbeitet hat. Bis sie 2011 die Textilarbeiter in Kantamanto sah: "Du gehst nach Kantamanto, siehst die Berge von Kleidung und dir wird klar: Das hier habe ich studiert, in dieser Industrie habe ich garbeitet, die soviel Geld in die Werbung und alles steckt – aber dann ist alles einfach nur Müll."
Ihre Umweltorganisation will alten Textilien einen neuen Sinn geben – dafür gibt es die Erprobungsabteilung. Industriedesigner Paul Dufour tüftelt an Ideen zum Recycling. "Dieser Abfall landet sonst im Meer?", fragt der Reporter und Paul Dufour antwortet: "Genau. Wir kaufen von den Einzelhändern die Stoffreste. Sie müssten sonst für die Entsorgung zahlen." "Viel Arbeit. Wollt ihr nicht was größeres bauen?" "Ja, wir arbeiten in unserer Werkstatt an einer größeren Maschine. Die hier ist ein Prototyp, mit der wir sehen wollten, ob´s klappt. Danach mischen wir die geschredderten Textilien mit Kleber der Cassava-Wurzel. Daraus werden dann Platten, die man etwa für die Geräuschdämmung oder Möbel benutzen kann."
Greenwashing der Konzerne
Viel Einsatz für ein Erzeugnis aus Abfall. Abfall, der einmal als billige Mode daher kam – als "Fast Fashion", schnell gekauft – schnell weggeworfen. Berlin. Gegenüber dem noblen KaDeWe-Kaufhaus macht ein Shein-Pop-Up-Store auf. Shein: ein chinesischer Konzern, der es in wenigen Jahren zur Nummer eins beim Thema "Fast-Fashion" geschafft hat. Das Rezept: Einkauf eigentlich nur im Internet – und besonders billig. Vor allem bei jungen Käufer:innen ein Argument.
"Qualität ist an der Stelle nicht so wichtig, weil es sehr billig ist und man sich dann viel für das Geld kaufen kann." – Marlene Tröger, 16 Jahre
"Ein einfaches Baumwollshirt für 5,99." – Arzu Chema, 30 Jahre
"Man liest viel im Internet, aber ja, in dem Moment ist es mir egal, sag ich mal." – Patrizia, 24 Jahre
Und die Kritiker:innen an der schnellen Mode? Sie sind hier in der Minderheit. Die glitzernde Fashionwelt von Shein: Im Internet gibt’s schöne Bilder, im Laden für uns keine Drehgenehmigung – und auch kein Interview vom Management. Dabei tut Shein alles, um sich als Vorkämpfer für Nachhaltigkeit zu präsentieren. Beispiel: Shein ist der erste Fast-Fashion-Konzern, der Geld gibt, um ein Problem zu lindern, das er selbst geschaffen hat.
Liz Ricketts Umweltorganisation bekommt in den nächsten drei Jahren 15 Millionen Dollar dafür. Bescheiden für einen Konzern, dessen Wert auf 100 Mrd. Dollar geschätzt wird. Greenpeace spricht von "Greenwashing", aber Liz Ricketts sieht das anders: "Wir fordern ja alle Firmen heraus. Die meisten Produkte im Müllstrom kamen bislang von Nike, Adidas, H&M, Marks & Spencer und Next. Shein befindet sich da nicht mal ganz vorn und die Firmen, die sich vorn befinden, antworten nicht."
Eine Möglichkeit: Upcycling
Ein nicht endender Strom aus Plastik und vor allem Kunstfasern, der sich auf seinem Weg zersetzt. Für die Umweltorganisation entnehmen Priscilla Danso und ihr Team regelmäßig Wasserproben: "Wir bringen die Proben ins Labor. Da filtern wir sie mit Glasfilterpapier, halten sie unters Mikroskop und werten aus. So können wir die Menge an Mikroplastik und Mikrofasern im Wasser abschätzen." Verdrecktes Wasser, Müllhalden, auf denen Kühe grasen. Kostenlose Müllentsorgung gibt es nicht. Oft schwemmt auch Regen Stoffreste in den Fluss. Das Geld von Shein soll der OR-Foundation von Liz Ricketts helfen, die Lebensbedingungen hier zu verbessern. Sanitäre Anlage und fliessendes Wasser könnte es bald geben – an einem Ort, an dem Schneider wie Kwaku Menseh oft mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten.
Die Second-Hand-Kleidung, die noch brauchbar ist, schneidern er und seine Angestellte Lydia für den westafrikanischen Markt um. "Das hier ist extra large. Ich habe es kleiner gemacht, es ist jetzt large.Tja, die Europäer sind größer, die Afrikaner eben kleiner. Ich verdiene pro Kleidungsstück nur einen Cedi, wenn ich alle Kosten abziehe. Ich habe die Fahrtkosten, die Miete, die Altkleider, und dann die Mitarbeiterin – also: es bleibt nur ganz wenig", sagt Kwaku Menseh.
Bis zu 100 Cedis Gewinn am Tag, erzählt er uns: nicht mal sechs Euro, für zehn Stunden Arbeit. Bessere Arbeitsbedingungen, nachhaltige Produktion, Verpflichtungen der Industrie: Liz Ricketts wünscht sich eine gerechte Kreislaufwirtschaft beim Textil: "Ich hoffe, dass ihr in drei Jahren wiederkommt und sagen könnt: Hier gibt’s nichts mehr zu berichten. Ich hoffe, ich kann dann etwas anderes mit meinem Leben machen. Ich wünsche mir, dass weniger geredet wird, mehr Verantwortung übernommen wird und mehr passiert."
Nur so kann sich etwas ändern – und das nicht nur in Ghana.
Autor: Norbert Hahn / ARD Studio Nairobi
Stand: 07.05.2023 19:38 Uhr
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