So., 07.05.23 | 18:30 Uhr
Usbekistan: Neues Leben am Aralsee
Der alte Mann und das Meer – das längst kein Meer mehr ist. Wir sind in Muynak – weit im Westen Usbekistans, in Zentralasien. Hier wo die letzten Boote aufgereiht vor sich hin rosten, frisst sich Sand und Staub immer weiter in das Leben und in die Lungen der Menschen. Ali Schaddinow, 74, einer der letzten noch lebenden Kapitäne vom Aralsee, erzählt uns: "Das Wasser ist nach und nach zurückgegangen und das Meer ist ausgetrocknet. Die Menschen haben das Meer verloren. Als wir früher die Straßen entlang gelaufen sind, als es den See noch gegeben hat, ist immer eine wunderbare Brise vom Meer gekommen. Es ist wirklich erstaunlich, als wir noch ganz klein waren, so in der fünften, sechsten Klasse, da haben wir immer voller Sehnsucht auf das Meer geschaut, es war ganz nah."
Eine menschengemachte Katastrophe
Jetzt aber ist das Meer, so nennen sie den Aralsee hier, weit weg. Staub, Steppe, Sand – soweit Dilyas Blick auch in die Ferne schweift. Trotzdem hat es die 43-jährige ehemalige Lehrerin samt Familie hierher verschlagen. Sie glaubt an die Zukunft und den Tourismus in der Region: "Hier war einmal der Kai, ein großer Hafen, das Leben war extrem geschäftig, Kinder haben hier gebadet. Es gab vier Erholungslager, Erholungszonen, Sanatorien. Und ja – wir haben dann irgendwann entschieden, hier ein Jurten Camp zu bauen."
Auch das ehemalige Krankenhaus des Ortes hat sie gekauft, mit einem Kredit – hat ein einfaches Hotel daraus gemacht. Sie ist mit ihrer Familie aus der Gebietshauptstadt nach Muynak gezogen. Noch immer leben 14.000 Menschen hier, obwohl viele Lungen- und andere gesundheitliche Probleme haben – durch Sandstürme und die Umweltgifte, die vom See geblieben sind. Und geblieben ist auch Ali Schaddinow und ein Teil seiner großen Familie, zehn Kinder und 36 Enkel:innen. Sein Haus grenzte früher direkt an das Seeufer: "Abends wenn ich ins Bett gehe, habe ich das manchmal immer noch in den Ohren, das Rauschen des Meeres, die Stimmen der ganzen Fischer und wenn die Boote raus gefahren sind – sind die anderen Boote gekommen und haben Signal gegeben "huuuuuuk" – das klingt immer noch in meinen Ohren."
Wir fahren auf dem einstigem Seegrund – stundenlang – off Road. So erst kann man das ganze Ausmaß des ausgetrockneten Salzsees erfassen, der einst so groß war wie Bayern. Geblieben vom Aralsee, gelegen zwischen Usbekistan und Kasachstan, sind ganze zehn Prozent. Eine Umweltkatastrophe, menschengemacht, die ihren Ursprung in der Sowjetunion hat, als man begonnen hatte, die Zuflüsse zur Bewässerung riesiger Baumwollfelder zu nutzen. "Als das Wasser sich zurückgezogen hat, das war bereits in den 70-er/80-er Jahren haben sich hier diese Canyons gebildet, wie sie sehen können. Sie sind natürlich wunderschön. Obwohl es keinen einzigen Baum oder Grün gibt. Es ist eine nahezu außerirdische Schönheit", erzählt die ehemalige Lehrerin Dilya Kutlymuratova.
Doch in Wirklichkeit ist es ein Teufelskreis. Das salzige Sediment landet letztendlich wieder im Grundwasser. Und auch die Chemikalien von den Baumwoll-Feldern. Der 68-jährige Tukhtamis Shukurberdiev kommt, um "seine" Saksaualpflanzen zu kontrollieren. Mit Unterstützung deutscher Entwicklungshilfe sind die auf 8000 Hektar hier angepflanzt worden, sie sollen die Steppe schützen: "Lassen Sie mich erklären, die Pflanze ist jetzt total mit Staub bedeckt. Das liegt daran, dass der Staub sich festsetzt, aber wenn es regnet wird die Saksaul-Pflanze total grün werden. Man merkt jetzt den Wind. Wenn wir nur zehn Minuten hier so stehen bleiben, sind wir genauso eingestaubt."
Nur wenig des Sees ist noch übrig
Und dann endlich ist er da, der Rest vom Rest des Aralsees. Fast vier Stunden hat die extrem beschwerliche Anreise aus Muynak gedauert. Leben jedoch gibt es kaum noch in dem See, der Salzgehalt ist extrem hoch. Dilya Kutlymuratova hat uns begleitet und ist froh, hier alte Bekannte wieder zu treffen und genießt so das Wiedersehen. Drei/vier Mal im Monat nimmt sie diese Höllenritt auf sich, denn sie hat auch dieses Jurten Camp hier mitten in die Steppe bauen lassen, für Tourist:innen, die das Außergewöhnliche suchen. "Meine Eltern waren 1975 hier in der Gegend und haben erzählt, damals, dass es anfängt, dass da ein See ist der austrocknet und über die vielen Jahre war das ein Thema und ich wollte das unbedingt mal sehen und hab dann festgestellt, dieses Fahren durch diese ehemalige Wasser sozusagen, das finde ich echt gruselig", erzählt Britta Wolf.
"Wir Menschen haben unser großes Meer zerstört, den viertgrößten See der Welt. Das sollte uns allen eine Lehre sein. Wir müssen das Wasser sparen. Wir sollten Bäume, Pflanzen und Tiere züchten", sagt Dilya Kutlymuratova.
Das Wasser ist gegangen, die Tourist:innen kommen und geblieben ist der alte Mann ohne Meer.
Autorin: Sabine Krebs /ARD Studio Moskau
Stand: 08.05.2023 16:12 Uhr
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