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Mali: Drehscheibe für afrikanische Flüchtlinge

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Mali: Drehscheibe für afrikanische Flüchtlinge | Bild: SWR

Wie magisch werden Flüchtlinge vom Städtchen Gao in Mali angezogen. Dort finden sie Schlepper, die sie anschließend durch die gefährlichen Wüsten Algeriens und Libyens an die Mittelmeerküsten schleusen. Über das Geschäft mit der Not, über die Erfahrungen und Hoffnungen von Migranten, die zum Teil jahrelang unterwegs sind auf ihrer Odyssee nach Europa, berichtet ARD-Korrespondentin Sabine Bohland, Studio Nairobi.

Strassenszene in Gao
Gao ist für viele Flüchtlinge Zwischenstation auf dem Weg nach Europa. | Bild: SWR

Früh am Morgen – noch schnell ein Kaffee. Bilal Kamara aus Sierra Leone will gleich weiterreisen. Er ist nervös. Er fürchtet, die Flüchtlingsmafia hier in Gao könne ihm Schwierigkeiten machen. Ein paar Tage zuvor. Gao im Norden Malis ist einer der wichtigsten Knotenpunkte für Migranten, die nach Europa wollen. Viele machen ihr Geschäft mit den Flüchtlingen, so wie Yehia und Issa. Beide arbeiten als Schlepper für Migranten. Gerade sind zwei junge Männer aus dem Süden Malis angekommen. Die Schlepper warnen die beiden vor Betrügern. Das sei alles eine Mafia, erklären sie, manche wollten sie unterwegs ausrauben. Manchen würden sie auch die Kehle durchschneiden. "Aber was sollen wir denn machen?", fragt Karamu Sibé. "Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu Gott zu beten, dass alles gut geht. Ich weiß, dass es Leute gibt, die uns abzocken und uns betrügen wollen."

In den Fängen der Schlepper

Die beiden Neuankömmlinge zögern, sich Yehia und Issa anzuvertrauen, sie wollen sich erst einmal alleine in Gao orientieren. Die Schlepper bringen Flüchtlinge in ein sogenanntes Ghetto, einen Verschlag in einem Lehmbau. Im Ghetto kommen sie unter, bis sie die 50 bis 100 Euro für die Weiterreise zusammen haben. Hier begegnen wir Bilal aus Sierra Leone zum ersten Mal. Er ist der im karierten Hemd. Bevor wir mit ihm sprechen können, kommen die Ghettobosse und bringen alle weg. Ihr wollt unser Geschäft kaputt machen, schimpfen sie und verbieten uns zu drehen.

Menschen in Gao
Manche Flüchtlinge verbringen längere Zeit in Gao. | Bild: SWR

Einblicke in die mafiösen Strukturen gibt uns Yehia. Er hat schon tausende Flüchtlinge in Gao kommen und gehen sehen. "Jeder kriegt Essen und einen 5 Liter-Kanister Wasser für die Fahrt durch die Wüste, wer Geld hat, kann 20 Liter haben", erklärt Yehia Diarra. "Und wer verdient daran?" "Das, was die Leute zahlen, wird durch drei geteilt. Der Besitzer des Wüstentrucks bekommt was, der Ghettoboss und die Polizei." Ein paar wenige verdienen an den Migranten extrem gut. Viele andere, so wie Yehia und Issa schwimmen ein bisschen mit. Für sie ist das Geschäft mit den Flüchtlingen die einzige Chance, hier im harten Norden Malis zu überleben.

Die Gegend um Gao ist unsicher, UN-Truppen versuchen einigermaßen für Stabilität zu sorgen, in letzter Zeit gibt es aber heftige Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen, auch auf der Strecke der Flüchtlinge. Sie treten von Gao aus den lebensgefährlichen Trip durch die Wüste oft nachts an – ohne Schutz durch die UN-Truppen.

Treffen mit Flüchtling Bilal

Am Abend ruft uns Yehia an. Einer der Migranten aus dem Ghetto möchte sich mit uns treffen. Heimlich. Wir lassen ihn zu unserem Hotel bringen. Es ist Bilal. Sie haben gesagt, wenn ich mit euch rede, dann schmeißen sie mich raus, erzählt er uns. Und ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll. Schon lange hat der 22-jährige von Europa geträumt. In seiner Heimat Sierra Leone sieht er keine Chance für sich. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt, die Ebola-Krise hat es nicht besser gemacht. Bilal hat sieben Schwestern, er ist der einzige Sohn. "Ich würde meiner Mutter so gerne ein besseres Leben ermöglichen", sagt Bilal Kamara. "Ich habe meinen Vater nie gekannt, sie war immer da für mich. Sie ist arbeitslos, aber sie hat mich durch die Schule gebracht und durch das erste Jahr in der Uni, bis das Geld einfach nicht mehr reichte. Ich habe das Gefühl, ihr etwas zurückgeben zu wollen." "Und warum ausgerechnet Europa?" "Alle meine Freunde in Sierra Leone stellen sich Europa als Paradies vor. Als einen Ort, wo alles leicht ist. Alle meine Freunde haben diesen Traum von Europa. Für uns ist Europa ein Ort, wo alles besser wäre, wo man anständiges Essen bekommt, schöne Kleider hat, große Autos fährt. So sehen wir Europa." "Und wenn jemand sagt, dass es gar nicht so leicht ist?" "Dann würde ich das nicht glauben. Afrika ist schwer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Leiden in Afrika mit dem Leiden in Europa vergleichbar ist. Was auch immer schwer in Europa ist, kann nicht schwerer sein als in Afrika."

Überraschende Entscheidung

Flüchtlinge in Gao
Warten und Hoffen auf eine bessere Zukunft. | Bild: SWR

Am nächsten Tag wollen wir die Abreise eines LKW in Richtung Sahara drehen. Vor einem Tor werden Waren aus Algerien abgeladen. Auf der Rückfahrt werden Menschen dicht an dicht auf der Ladefläche stehen. Im Innenhof warten junge Männer aus verschiedenen Ländern. Keiner spricht mit uns, wahrscheinlich haben sie Angst, dass wir im letzten Moment verhindern könnten, dass sie Europa ein Stück näher kommen. Auch hier können wir nur heimlich drehen. Wir treffen Bilal wieder. Bei ihm gibt es eine überraschende Wendung. Er will nicht mehr nach Europa, sondern nach Hause. In Gao ist er bereits zum zweiten Mal. Zwei Monate zuvor wollte er von hier aus nach Italien. Aber auf der Fahrt durch die Wüste ist er von Kriminellen verprügelt worden. In Libyen hat er 500 Euro für einen Platz auf einem Flüchtlingsboot bezahlt, der Schlepper verschwand mit dem Geld, Bilal war verzweifelt. Dann kamen die Nachrichten von den vielen Toten auf dem Meer. Bilal hatte genug und kehrte um. "Ich habe viel Geld verloren, ich hatte oft kaum was zu essen", sagt Bilal Kamara. "Es war die Hölle, ich habe vieles zu Hause vermisst, alles war schwierig." Was hat er am meisten vermisst? "Am meisten habe ich meine Mutter vermisst. Mit ihr jeden Abend zusammen zu essen…"

Bilal fährt jetzt nach Hause, nach Sierra Leone, in eine ungewisse Zukunft. Geld um weiter zu studieren hat er nicht. Seine Geschichte – so sagt er uns zum Abschied – sei nur eine von Abertausenden. Jede einzelne erzähle von Leid, Armut, Hoffnungslosigkeit. In Europa – so sagt er – könne es doch gar nicht so schwer sein wie in Afrika. Hier sei vieles einfach unmöglich.

Stand: 17.03.2016 16:00 Uhr

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