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USA: Deutsche Kriegsgefangene im 2. Weltkrieg

USA: Deutsche Kriegsgefangene im 2. Weltkrieg  | Bild: WDR

Rudolf Julius Albin Engel – Oberleutnant der Wehrmacht, Panzerfahrer, Kriegsgefangener in den USA und: mein Opa. Er ist jetzt seit 26 Jahren tot – in seinem Nachlass habe ich diese Postkarten gefunden. Geschrieben in der Gefangenschaft: Nun habe ich das große Wasser hinter mir und bin gut in Amerika angekommen. Ihr braucht euch keine Sorgen um mich zu machen. 415.000 deutsche Kriegsgefangene in den USA während des Zweiten Weltkrieges. Wie so viele seiner Generation hat er nicht viel darüber erzählt. Werde ich im Nationalarchiv der Vereinigten Staaten etwas über ihn finden? Die Geschichte der Kriegsgefangenen ist hier umfassend dokumentiert. Im Film entdecke ich ihn nicht. Aber – zu meiner Überraschung gibt es tatsächlich eine Akte, mit Vernehmungs-Protokollen und sogar mit Bild: "Das hier ist mein Opa", sagt Korrespondentin Gudrun Engel.

Zwei Wochen nach dem D-Day ist er in Frankreich festgenommen worden. Die gefangenen Deutschen wurden entwaffnet und erfasst. Ich finde den Experten für die Geschichte der Kriegsgefangenen in den USA. Professor Robert Billinger. In seinen Büchern beschreibt er die Überfahrt: Sie waren 14 Tage unterwegs, meistens seekrank. Sie bekamen nicht viel zu essen. Und ständig war da die Angst, dass ein deutsches U-Boot den Konvoi versenken könnte. Die Freiheitsstatue in New York war das Erste, was mein Opa und die anderen Männer von Amerika sahen. Nur: Sie waren nicht frei. Eine Woche nach meiner Ankunft in Amerika sende ich euch diesen zweiten Kartengruß. Werde voraussichtlich bald in ein Stammlager kommen. Die Deutschen werden auf über 600 Camps im Land verteilt, besonders dort, wo in der Landwirtschaft viele Hände fehlen: in den Südstaaten. Mein Opa wird laut Akte zum Baumwolle pflücken von Pennsylvania nach Mississippi und dann nach North Carolina versetzt. Nach Camp Butner. Hier gibt es heute noch ein Museum zu dieser Zeit. Geschichtslehrerin Amber Atkog ist es wichtig, dass die nächsten Generationen über die deutschen Kriegsgefangenen in den USA Bescheid wissen. Für ihre Schüler hat sie ein Treffen mit einem Augenzeugen arrangiert: Willbur Yeargin Jr. war sechs, als Deutsche auf der Farm seines Vaters arbeiteten: "Meine Erinnerung an diese P.O.W.s ist sehr angenehm. Sie fühlten sich nicht eingeschüchtert, weil sie im Feindesland Amerika waren. Sie waren sogar fröhlich, und sie haben hart gearbeitet", erzählt er.

Auch Amber Atkogs Familie hat immer Gutes von den Deutschen erzählt. "Sie waren Menschen. Wir waren zwar Feinde in diesem Krieg, aber es wäre zu einfach, eine ganze Gruppe deswegen zu verurteilen. Er hatte ja zum Beispiel eine gute Erfahrung mit den Kriegsgefangenen. Meine Urgroßeltern auch", sagt die Geschichtslehrerin. Aus der Geschichte lernen – darum geht es hier: "Es muss noch andere Wege geben, Konflikte zu lösen, als zu kämpfen und sich gegenseitig umzubringen", sagt Dalton Parker und Amory Harris findet: "Die Bedingungen hier waren offenbar wirklich tolerabel, auch im Vergleich mit den Sovjets."

Die Camps der Kriegsgefangenen

USA: Rund 400.000 deutsche Soldaten wurden als Kriegsgefangene in die USA verschifft.
USA: Rund 400.000 deutsche Soldaten wurden als Kriegsgefangene in die USA verschifft. | Bild: WDR

Hier in Camp Butner bin ich jedenfalls schon sehr nah dran, an meinem Opa: Ob Willbur ihn gekannt hat? Er ist ein gutaussehender Mann. Ja, schau mich an! War mein Opa Arbeiter auf seiner Farm? Ich zeige ihm die Postkarten: Das Wetter ist bei uns noch wie im Sommer zu Hause. Wir sind in Baracken untergebracht. Je vier bewohnen einen Raum. Die Kriegsgefangenen werden als Bauarbeiter und als Erntehelfer eingesetzt. Sie werden stets bewacht, damit sie keinen Kontakt zur amerikanischen Bevölkerung haben. Doch das klappt nur bedingt: "Die Einzigen, die viel über diese Kriegsgefangenen wussten, das waren die Farmer-Kinder. Besonders die kleinen Jungs mit den riesigen Ohren und großen Augen. Sie waren neugierig auf diese komischen Weißen, die auf einmal die Jobs von den Schwarzen machten", sagt Historiker Robert Billinger.

Willbur Yeargin Jr. war so ein Farmerskind. Heute ist er 86 – sein Gedächtnis, scharf wie sein Rasiermesser. Er nimmt mich mit zu seiner alten Farm und erinnert sich genau: "Meine große Schwester war schwer verknallt in einen. Mein Vater hat das aber schnell unterbunden." Der Angehimmelte hieß wohl Theo, nicht Rudi. Die Prisoners of War – sie schuften hart, werden gut behandelt. Das lag an einer Vereinbarung, die nach dem Ersten Weltkrieg getroffen wurde: Der Genfer Konvention. Motto: Ich behandele deine Kriegsgefangenen gut, damit du auch meine gut behandelst. "Diese jungen Männer, die gehungert hatten seitdem sie Teenager waren haben im Durchschnitt 12 Kilo zugenommen. Man sieht es auf Fotos, weil es heiß war, oben ohne, da haben sie so wunderbaren Hüftspeck angesetzt", erklärt Robert Billinger.

So gut es geht, nutze ich die Zeit und lerne etwas Englisch und arbeite an den Fächern, wo ich später einmal die Prüfung machen möchte. "Die Genfer Konvention erlaubte Weiterbildungsmöglichkeiten. Und so konnten sie Englisch lernen, Französisch oder Latein. Mathematik, Dinge, die man nach dem Krieg auch brauchen konnte", sagt der Historiker.

Nach dem Krieg zurück nach Deutschland

Das ändert sich dramatisch mit der deutschen Kapitulation. Als die Gräueltaten der Nazis in den Konzentrationslagern öffentlich werden. Erst jetzt: Als Reaktion darauf werden in den USA den Kriegsgefangenen die Essensrationen drastisch gekürzt, in Kinos müssen sie die Bilder der Befreiung Dachaus ansehen. "Das war keine angenehme Situation für sie. Viele haben nicht geglaubt, dass so etwas passiert war und sie dachten es war Propaganda. In manchen Camps haben sie aber auch ihre deutschen Uniformen verbrannt", erzählt Robert Billinger.

In Winston-Salem finde ich auf dieser Farm die entscheidende Spur zu meinem Opa – durch dieses Arbeitszeugnis: Das heißt, er war wirklich genau hier. Hat genau das gesehen und hat da hinten Pfirsiche gepflückt, hat die hier in Dosen gefüllt. Hat bei der Ernte geholfen und dafür hat er sogar noch ein Arbeitszeugnis bekommen. 1946 dann, nur ein Jahr nach Kriegsende, werden alle Camps geschlossen, mein Opa und all die Soldaten nach Hause geschickt – um zu helfen ihr eigenes, zerstörtes Land wieder aufzubauen. Bleibt zuversichtlich wie ich. Herzlichst Euer Rudi.

Autorin: Gudrun Engel / ARD Washington

Stand: 04.05.2025 22:05 Uhr

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