Glasfaser-Chaos: Häufiger Mehrfach-Ausbau und bedrängte Verbraucher

REPORT MAINZ-Umfrage: Zwei Drittel der Landkreise und kreisfreien Städte für Verbot des mehrfachen Ausbaus

Eine Umfrage von REPORT MAINZ hat ergeben, dass es bundesweit zu Problemen beim Ausbau der Glasfaser-Infrastruktur kommt. Sowohl der Vertrieb an der Haustür als auch der mehrfache, parallele Netzausbau sorgen in vielen Regionen für Ärger.

Blick aus der Vogelperspektive auf eine Baustelle im Rahmen des Glasfaserausbaus
Blick aus der Vogelperspektive auf eine Baustelle im Rahmen des Glasfaserausbaus | Bild: SWR

Das ARD-Politikmagazin REPORT MAINZ hat eine Umfrage zum Glasfaserausbau unter allen 401 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland durchgeführt. Auf die Frage, ob es im jeweiligen Landkreis oder in der jeweiligen Stadt zu einem parallelen Glasfaser-Ausbau, dem so genannten Überbau, gekommen sei, antworteten 43 Prozent mit JA und 57 Prozent mit NEIN. An der Befragung haben insgesamt 311 Gebietskörperschaften teilgenommen, die Beteiligungsquote liegt bei aufgerundet 78 Prozent.

Die Umfrage zeigt erstmals, dass der Ausbau mit einer doppelten oder gar dreifachen Infrastruktur kein Sonderfall, sondern in Deutschland weit verbreitet ist. Überbau bedeutet, dass Anbieter neben einer bereits bestehenden Glasfaserleitung eines Konkurrenten eine eigene Leitung in derselben Straße oder im selben Stadtteil verlegen. Solch ein Vorgehen steht in der Kritik, nicht nur weil die Straßen mitunter mehrfach aufgerissen und neu geteert werden müssen. Prof. Jens Böcker, Marketing-Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, erklärt dazu: “Volkswirtschaftlich ist der Überbau natürlich nicht sinnvoll, wenn man Deutschland schnell mit einer leistungsfähigen Glasfaser-Infrastruktur versorgen will. Glasfaser sollte neu nur verlegt werden, wo noch nichts ist. Erst danach könnte man dazu übergehen, mehrfach auszubauen.” 

Bundesdigitalministerium gegen Gesetzesänderung 

Im Interview mit REPORT MAINZ sieht Stefan Schnorr, der für den Glasfaser-Ausbau zuständige Staatssekretär im Bundesdigitalministerium, erst einmal keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. "Das sind alles Dinge, die müssen aus der Branche herauskommen", sagt Schnorr. "Wenn der Staat hier konkrete Vorgaben macht, führt das in der Regel nicht dazu, dass wir mit dem Gigabit-Ausbau vorankommen." Das sieht eine klare Mehrheit der Landkreise und kreisfreien Städte anders. In der REPORT-Umfrage befürworten 66 Prozent ein Überbau-Verbot. Nur 34 Prozent sind dagegen. 

Das Ziel der Bundesregierung, festgelegt in der sogenannten Gigabitstrategie, lautet: Bis zum Jahre 2030 sollen alle Haushalte mit schnellem Glasfaser-Internet versorgt sein. Wie weit Deutschland von diesem Ziel entfernt ist, belegen die zuletzt erhobenen Zahlen der OECD aus dem Jahr 2022. Demnach haben in der Bundesrepublik nur acht Prozent der Haushalte einen Glasfaser-Anschluss. Zum Vergleich: In Spanien und Schweden sind es rund 80 Prozent, in Frankreich 51 Prozent. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 36 Prozent. 

Doppelstrukturen verzögern schnellen Ausbau 

Der mehrfache parallele Netzausbau scheint nicht unproblematisch zu sein. Das legen die Zwischenergebnisse einer Studie nahe, die das Bundesdigitalministerium beim Wissenschaftlichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) in Auftrag gegeben hatte und die REPORT MAINZ vorliegen. Die Wissenschaftler haben sich 96 Fälle von Überbau in Deutschland genauer angeschaut. Demnach kann in jedem sechsten Fall der Glasfaser-Ausbau länger als gewöhnlich dauern und für die Steuerzahler wegen zusätzlicher Fördergelder teurer werden. 

Forderung nach freiem Zugang ins Glasfasernetz 

Experten wie Prof. Jens Böcker sprechen sich für ein so genanntes Open-Access-Modell aus. Das heißt: Nur eine Glasfaserleitung, die aber mehrere Anbieter nutzen. „In Stockholm gibt es tatsächlich genau dieses Vorgehen“, erläutert Böcker. „Es gibt ein Unternehmen, das ist die STOKAB, die einmal Stockholm geöffnet hat, Glasfaser verlegt hat, alles wieder zugemacht hat und dann dieses Netz eben allen anderen zur Verfügung gestellt hat.“ Einen verpflichtenden Open-Access-Zugang gibt es in Deutschland bisher nur dann, wenn der Ausbau staatlich gefördert wird, nicht, wenn Unternehmen eigenwirtschaftlich ausbauen. 

Zahlreiche Beschwerden über Haustürvertrieb 

Die REPORT-Umfrage verdeutlicht auch, dass die Glasfaser-Branche beim Vertrieb an der Haustür offenbar ein Qualitätsproblem hat. Auf die Frage, ob es Beschwerden aus der Bevölkerung gab, weil Vertriebsmitarbeiter aggressiv, aufdringlich oder mit falschen Tatsachenbehauptungen geworben hatten, antworteten 64 Prozent der Landkreise und kreisfreien Städte mit: Ja, 36 Prozent mit Nein. 

Sven Knapp vom Bundesverband Breitbandkommunikation sind die Probleme bekannt: „Wir bekommen diese Fälle auch von unseren Mitgliedern geschildert“, sagt er im Interview mit REPORT MAINZ. „Aus unserer Sicht sind es Einzelfälle, aber jeder Einzelfall ist ein Problem.“ Er verweist auf die jeweiligen Verhaltenskodexe der Unternehmen sowie auf regelmäßige Schulungen. „Eine darüberhinausgehende gesetzliche Lösung halten wir deswegen für nicht notwendig“, so Knapp. 

Verbraucherschützer für Einwilligungserklärung 

Die Verbraucherzentrale Hamburg fordert im Interview mit dem ARD-Politikmagazin aber genau das: “Unsere Forderung wäre auf jeden Fall, dass Haustürgeschäfte nur mit Einwilligung des Verbrauchers stattfinden”, sagt die zuständige Abteilungsleiterin Julia Rehberg. “Dass der Vertreter also nur zu Besuch kommt, wenn ich das möchte.” Auf Anfrage von REPORT MAINZ äußert sich das Bundesjustizministerium zum Haustürvertrieb folgendermaßen: Das Ministerium “prüft derzeit verschiedene Möglichkeiten, den Verbraucherschutz bei Haustürgeschäften weiter zu verbessern. Neben möglichen gesetzlichen Änderungen wird hierbei auch die Möglichkeit einer verbesserten Verbraucherinformation über die bestehenden Verbraucherschutzvorschriften (…) geprüft.”