Sparkassen: Inkompetenz und Klüngel bei Verwaltungsräten?

Wirbel im nordrhein-westfälischen Schwelm: Der Verwaltungsrat der örtlichen Sparkasse steht in der Kritik, weil er Anfang dieses Jahres einen CDU-Politiker, der auch selber im Verwaltungsrat sitzt, zum neuen Sparkassenchef ab 2025 auserkoren hat. Anhand dieses Fallbeispiels stellen sich generelle Fragen, etwa: Wie stark sind die politischen Verflechtungen im System Sparkasse? Wie unabhängig und kompetent sind die Verwaltungsräte, also die Kontrolleure der Sparkassenvorstände?

Eine Analyse von REPORT MAINZ zeigt, dass unter den Verwaltungsratsmitgliedern der 40 größten Sparkassen in Deutschland nur gut ein Drittel im Banken- oder Finanzbereich arbeiten oder über eine entsprechende Ausbildung verfügen. Stattdessen kommen viele Verwaltungsräte aus fachfremden Berufen. So finden sich unter ihnen Juristen, Naturwissenschaftler, Pädagogen, Sozialarbeiter, Historiker, Mediziner, Theologen, Handwerker oder Landwirte. Rund 60 Prozent sind Mitglied einer Partei. Experten wie der Ökonom Ralf Jasny von der University of Applied Sciences in Frankfurt dringen auf schärfere gesetzliche Regelungen, um besonders die Qualifikation der Aufsichtsräte zu verbessern. Genauso gibt es die Gefahr von Interessenskonflikten - etwa dann, wenn die Sparkassen in Deutschland flächendeckend Kredite an ihre eigenen Kontrolleure vergeben.

Text des Beitrags:

Schwelm in Nordrhein-Westfalen. Heimat von 28.000 Menschen. Ein ruhiger, beschaulicher Ort. Doch seit Monaten erhitzt das Thema Sparkasse die Gemüter.

Passant:
„Ich werde wahnsinnig bei dem Gedanken, was da gerade abläuft.“

Passant:
„Das hört sich alles irgendwie so ein bisschen nach korrupt an. Ob das jetzt so ist oder nicht, weiß ich natürlich nicht.“

Anfang dieses Jahres: Die örtliche Sparkasse sucht per Agentur und Stellenanzeige einen neuen Vorstandschef. 200 Führungskräfte kommen dafür in Frage. Dem Verwaltungsrat passt keiner der Bewerber.

Stattdessen wählt das Gremium jemanden aus den eigenen Reihen, der sich gar nicht beworben hatte: Oliver Flüshöh - zu diesem Zeitpunkt CDU-Fraktionschef in Schwelm. Auf seiner Facebook-Seite präsentiert er sich als bestens vernetzter Parteifreund, ein politisches Schwergewicht. 2020 kandidierte er als Landrat - erfolglos.

Eine Bank zu leiten, trauen ihm viele in Schwelm nicht zu.

Passant:
„Der hat ja eigentlich, der kann das eigentlich gar nicht.“

Passant:
„Nicht nur, dass die Qualifikation des Neuen noch überhaupt nicht da ist, aber er jetzt schon den Posten kriegt, weiß ich nicht, was ist dazu sagen soll.“

Flüshöh hat zwar eine Banklehre gemacht und ist Jurist, aber um Chef zu werden, muss man laut Gesetz Erfahrung haben, etwa bei Mitarbeiterführung und großen Kreditgeschäften. Die hat er laut Sparkasse noch nicht.

Extra-Posten für künftigen Sparkassenchef

Deshalb hatte man in Schwelm eine Idee: Der CDU-Politiker wird erst später Sparkassenchef und geht bis dahin quasi nochmal in die Lehre. Zitat der Sparkasse:

Sparkasse Schwelm-Sprockhövel:
„Um die für die Aufgabe des Vorstandsvorsitzenden notwendige Erfahrung […] zu ergänzen und zu vertiefen, ist er seit dem 1. April 2023 als Generalbevollmächtigter [..] beschäftigt.“

Eine Stelle, die extra für ihn geschaffen wurde. Der Vorgang sorgt  bei vielen im Ort für Kopfschütteln, unter anderem bei der FDP.

Michael Schwunk
Michael Schwunk | Bild: SWR

Michael Schwunk, FDP, Fraktionsvorsitzender Schwelm:
„Ein Auswahlverfahren, wo man im Grunde sagt: Du wirst ausgebildet und ich sage dir vor der Ausbildung schon, du bist geeignet, um dann Vorsitzender zu werden, ist auch ein etwas merkwürdiges Verfahren vom Ergebnis her. So hat es dann ein Geschmäckle, weil im Grunde ohne Ausschreibung jemand aus dem Gremium heraus gewählt wird.“

Oliver Flüshöh gibt REPORT MAINZ kein Interview. Schriftlich weist er den Vorwurf der Kungelei zurück und versichert, seine Funktion unabhängig und überparteilich ausüben zu wollen.

Ein Politiker wird Sparkassenfunktionär. Wie häufig kommt das vor allem bei den Verwaltungsräten vor - also den Gremien der Sparkassen, die die Vorstände kontrollieren sollen?

Wenige Banken- oder Finanzexperten in Verwaltungsräten

Wir haben uns die Verwaltungsräte von Schwelm und den 40 größten Sparkassen angesehen, Stand 2021. 63 Prozent der Mitglieder haben ein politisches Amt inne, nur 35 Prozent kommen aus dem Bank- oder Finanzbereich. Zieht man die Mitarbeitervertreter ab, sind es sogar nur sechs Prozent. Stattdessen finden wir unter ihnen zum Beispiel Bäcker, Polizeibeamte, Ingenieure, Krankenschwestern, Lehrer, eine Fußpflegerin.

Und diese Menschen sollen eine Bank beaufsichtigen? Thomas Geisel war früher Oberbürgermeister in Düsseldorf, auch Chef des Sparkassen-Verwaltungsrats. Verwaltungsratsjobs gingen oft an verdiente Parteimitglieder, sagt er - aus seiner Sicht ein Riesenproblem.

Thomas Geisel
Thomas Geisel | Bild: SWR

Thomas Geisel, SPD, ehemaliger Oberbürgermeister Düsseldorf:
„Das ist sehr häufig, ich sage mal, Frontalunterricht, wo der Vorstand Politikern die Geschäftspolitik der Sparkasse erklärt. Und häufig politisches Geschick oder kommunalpolitische Erfahrung korreliert eben nicht mit bankfachlicher Kompetenz.“

Beispiel Zwickau: Hier verzockte die Sparkasse 2020 am Aktienmarkt 47 Millionen Euro. In Miesbach am Tegernsee gönnte sich der Verwaltungsratschef Luxusreisen auf Kosten der Sparkasse - für zehntausende Euro. Vergangenes Jahr wurde er wegen Untreue rechtskräftig verurteilt.

Beispiele für Kontrollversagen, meint der Finanzprofessor Ralf Jasny. Er kritisiert seit Jahren die mangelnde Ausbildung von Verwaltungsräten.

Prof. Ralf Jasny
Prof. Ralf Jasny | Bild: SWR

Prof. Ralf Jasny, Frankfurt University of Applied Sciences:
„Wenn ich in Deutschland Mofa fahren will oder zum Angeln gehen will, dann muss ich entsprechende Prüfungen ablegen. Es ist praktisch in Deutschland alles geregelt. Nur die größte deutsche Bankengruppe kann von Leuten kontrolliert werden, die fernab von jeder irgendwie Zugangsbeschränkung dann da sind. Das finde ich schon sehr bedenklich.“

Gesetzliche Anforderungen nicht sehr anspruchsvoll

Möglich macht das alles das Kreditwesengesetz und der Leitfaden der Aufsichtsbehörde Bafin. Die darin formulierten Anforderungen an Verwaltungsräte - nicht sehr anspruchsvoll:

BaFin:
„Ein Mitglied muss grundsätzlich nicht über Spezialkenntnisse verfügen, jedoch muss es in der Lage sein, gegebenenfalls seinen Beratungsbedarf zu erkennen.“

Wer als ungelernter Verwaltungsrat anfangen will, muss sich lediglich fortbilden - innerhalb von sechs Monaten nach Amtsantritt. Im Internet finden wir viele Angebote: zum Teil Tagesseminare, manchmal inklusive Weinspaziergang.

Wir sind in Wuppertal, der großen Nachbarstadt von Schwelm, unserem ersten Beispiel. Hier im Stadtparlament sitzt Rajaa Rafrafi als parteilose Abgeordnete. Sie hat die Bilanzen der örtlichen Sparkasse genauer unter die Lupe genommen und stieß auf eine Auffälligkeit: Die Verwaltungsratsmitglieder haben Darlehen - und zwar ausgerechnet bei der Bank, die sie beaufsichtigen sollen.

Rajaa Rafrafi
Rajaa Rafrafi | Bild: SWR

Rajaa Rafrafi, parteilos, Stadtverordnete Wuppertal:
„Und zwar über die Jahre hinweg sind Millionenbeträge an Kredite vergeben worden beziehungsweise an Bürgschaften. Es ist aber nicht klar ersichtlich, an welchen Stadtverordneten und zu welchen Konditionen. Wenn man der Öffentlichkeit unterliegt, kann man nicht auf der einen Seite für Prominenz werben und auf der anderen Seite, wenn es um solche Themen geht, alles unter vorgehaltener Hand halten.“

Also fragt sie mehrmals nach. Doch außer ihr scheint sich im Stadtparlament niemand für das Thema zu interessieren.

Uwe Schneidewind, B'90/Grüne, Oberbürgermeister Wuppertal (im Stadtrat):
„Gibt es da den Wunsch zu ergänzenden Fragen? - Das nehme ich nicht wahr.“

Uns gegenüber verweist die Stadtsparkasse Wuppertal auf Bankgeheimnis und Datenschutz, betont aber: Alle Kredite würden zu marktüblichen Konditionen vergeben.

Kreditvergabe an Kontrolleure weckt Zweifel an Unabhängigkeit

Und trotzdem hat Finanzprofessor Ralf Jasny ein großes Problem damit.

Prof. Ralf Jasny, Frankfurt University of Applied Sciences:
„Die Tatsache allein schon, dass es eine Abhängigkeit gibt des Verwaltungsrates von dem Vorstand, der ja durch eine Kreditbeziehung einfach manifestiert würde, diese Abhängigkeit verhindert oder kann verhindern eine effektive Kontrolle. Und damit habe ich schon das Problem. Und das hat mit Unabhängigkeit nichts zu tun.“

Doch jede Sparkasse macht es. Wir haben die Bilanzen aller 361 Institute aus dem Jahr 2021 überprüft. Ergebnis: Die Sparkassen vergaben Kredite an die Verwaltungsräte in Höhe von 721 Millionen Euro.

Fassen wir zusammen: Politische Verflechtungen, Zweifel an der Qualifikation, problematische Kredite. Was sagt das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner? Immerhin liegt das Kreditwesengesetz, das all das regelt, in dessen Zuständigkeit. Das Ministerium sagt nicht viel. Die bestehenden Regeln zur Qualifikation seien „grundsätzlich angemessen“, für die Kreditvergabe gebe es „umfangreiche Genehmigungsverfahren.“

Kein Interesse also an besseren Verwaltungsräten - die Sparkassen sollen weiter machen wie bisher.

Stand: 23.08.2023 15:38 Uhr