Glasfaser-Chaos: mehrfacher Ausbau und bedrängte Verbraucher

Der Ausbau des Glasfasernetzes nimmt in Deutschland Fahrt auf. Über den Vertrieb an der Haustür häufen sich Beschwerden über unlautere Methoden. Auch beim Ausbau der Infrastruktur gibt es Probleme.

Eine Umfrage von REPORT MAINZ unter allen Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland hat ergeben: In zwei Drittel der Landkreise haben Bürger sich über den Vertrieb beschwert. Und in 43 Prozent der Landkreise findet ein doppelter und sogar dreifacher Ausbau statt. Dabei sind weite Teile Deutschlands noch gar nicht am Netz angeschlossen.   

Text des Beitrags:

Goldgräberstimmung in Deutschland. Die Unternehmen stecken Milliardensummen in den Glasfaser-Ausbau. Und liefern sich einen harten Wettbewerb. Entsprechend forsch manchmal der Vertrieb an der Haustür.

Hans-Ulrich Dillmann:
"
Die haben sich mit falschen Tatsachen versucht, Zugang zu den Wohnungen zu verschaffen.”

Wir sind zu Hause bei Hans-Ulrich Dillmann in Lüdenscheid. Der Rentner spricht von Drückerkolonnen, die schon zehn Mal bei ihm geklingelt und – wie er sagt – Lügen verbreitet hätten.

Hans-Ulrich Dillmann
Hans-Ulrich Dillmann | Bild: SWR

Heinz-Ulrich Dillmann:
"Nachdem wir denn ein Streitgespräch geführt haben, dass das keine ordentliche Form ist, sich nicht ordnungsgemäß auszuweisen, dass es eigentlich darum geht, um Vertragsabschlüsse zu tätigen, haben wir die denn des Hauses verwiesen.”

Hunderte Beschwerden über Haustürgeschäfte

Die ungebetenen Gäste seien immer von derselben Firma gewesen: Von “Ranger Marketing”. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben der größte Glasfaser-Vermarkter Deutschlands.

In professionell produzierten Videos wie diesem inszenieren sich die Mitarbeiter in hippem Ambiente.

Ausschnitt des Videos:
“Wo der nächste Auftrag liegt, gibt es immer Provision. Ranger Marketing - viel mehr als eine Vision!”

Seit 19 Jahren sei man als autorisierter Partner der Deutschen Telekom unterwegs. Die Mitarbeiter führen ein glamouröses Leben, suggeriert das Werbevideo.

Ausschnitt des Videos:
“Fokussiere die Ziele und auch du kannst etwas werden, großes Haus mit einem Pool und eine Karre mit viel Pferden.”

Große Vertriebsfirma räumt Beratungsmängel ein

Zu Vorwürfen des unlauteren Geschäftsgebarens schreibt uns “Ranger Marketing”:

Stellungnahme Ranger Marketing:
“Offensichtlich ist es in Einzelfällen zu einer mangelhaften Beratung gekommen, was wir zutiefst bedauern und nicht tolerieren. Auf die Qualität der Kundenberatung und damit auf die Kundenzufriedenheit legen wir von Ranger großen Wert.”

Im Interview vor der Kamera wollte sich die Telekom nicht zu konkreten Problemen ihres Vertriebspartners “Ranger Marketing” äußern.

Doch im Internet beschweren sich hunderte Kunden, unter anderem auf den Seiten der Telekom selbst. Auch die Verbraucherzentrale warnt vor den Praktiken von Ranger. Tauchen solche Probleme auch bei anderen Vertriebsfirmen im Glasfasergeschäft auf?

Einblick in die Tricks der Haustür-Verkäufer

Uns ist es gelungen, über einen Bewerber “undercover” in die Szene zu kommen. Er wird eingewiesen und darf einen Einsatz begleiten. Dabei ist dieses Bildmaterial entstanden.

Vertriebler (Nachgesprochen nach Gedächtnisprotokoll):
„Den Namen „Vertrag“ darfst du gar nicht nennen beim Kunden. Vertrag ist ein großes Wort. Wir machen “Aufträge”. Das ist aus psychologischen Gründen. Manchmal musst du ein Arschloch sein. Es ist blöd, aber am Ende musst du ja dein Geld verdienen.“

So sollen die Kunden nicht verschreckt werden. Der Vertriebler klingelt an der ersten Haustür.

Vertriebler (Nachgesprochen nach Gedächtnisprotokoll):
„Hallo – ich bin hier wegen dem Glasfaserausbau. Haben Sie kein Infobrief oder so was bekommen?“

Bewohnerin:
„Nein, nein - es tut mir leid.“

Vertriebler:
„Ne, Ne, Moment! Bevor sie die Tür zu machen, sie müssen mich jetzt echt mal ausreden lassen! Wir arbeiten mit dem Bürgermeister und der Gemeinde zusammen. Es geht auch nicht um Verkauf, es geht gerade um eine Beratung.“

Unseriöses Auftreten an der Haustür - kein Einzelfall. Das zeigt eine Umfrage von Report Mainz unter allen 401 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland. 78 Prozent haben sich daran beteiligt. Auf die Frage, ob sich Bürger über Glasfaser-Verkäufer beschwert hätten, antworteten 36% mit Nein, aber 64 Prozent mit Ja.

Verbraucherschützer fordern Gesetzesverschärfung

Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg registriert beim Thema Glasfaser immer mehr Beschwerden über Haustürverkäufer, fordert die Politik deshalb zum Handeln auf.

Julia Rehberg
Julia Rehberg | Bild: SWR

Julia Rehberg, Verbraucherzentrale Hamburg:
„Unsere Forderung wäre auf jeden Fall, dass auch Haustürgeschäfte nur mit Einwilligung des Verbrauchers stattfinden, dass der Vertreter also nur zu Besuch kommt, wenn ich das möchte.“

Auf Report Mainz-Anfrage schreibt das Bundesjustizministerium:

Man “ (…) prüft derzeit verschiedene Möglichkeiten, den Verbraucherschutz bei Haustürgeschäften weiter zu verbessern.”

Halten wir fest: Beim Vertrieb gibt es viele Beschwerden. Aber das ist nicht das einzige Problem. Deutschland hinkt im europäischen Vergleich deutlich hinterher. In Spanien und Schweden haben rund 80 Prozent der Haushalte Glasfaser. Frankreich 51 Prozent. Deutschland: nur 8 Prozent.

Eigentlich will die Bundesregierung den flächendeckenden Glasfaser-Ausbau beschleunigen. Doch vor Ort erleben Kommunen etwas ganz anderes.

Überbau: Mehrfache Glasfaserleitungen in derselben Straße

Wir sind in Köln, Stadtteil Bayenthal. Hier baut der Anbieter Netcologne massiv aus. Aber auch die Deutsche Telekom und Vodafone, teilweise in denselben Straßen. Für Andree Haack ein Irrsinn. Der Kölner Wirtschaftsdezernent kann das aber nicht verhindern.

Andree Haack
Andree Haack | Bild: SWR

Andree Haack, CDU, Wirtschaftsdezernent Köln:
“Leider haben wir da relativ wenig Möglichkeiten, denn wir müssen eine Aufbruchsgenehmigung erteilen, wenn keine Gründe dagegensprechen. Es geht nicht nur darum, dass die Straße mehrmals aufgebrochen wird, sondern sie haben ja auch nur beschränkte Kapazitäten im Markt für den Tiefbau.”

Anstatt noch nicht erschlossene Regionen auszubauen, liegt in manchen Straßen Glasfaser also doppelt oder dreifach. Der so genannte „Überbau“.

Der ist auch Sandro Zehner, Bürgermeister aus dem hessischen Taunusstein, ein Dorn im Auge. Hier ist der flächendeckende Ausbau durch den Anbieter GVG Glasfaser gerade krachend zum Stillstand gekommen. Der Grund: Die Telekom plant, die GVG Glasfaser in den lukrativen Stadtteilen zu überbauen. Darum zieht die sich jetzt zurück.

Sandro Zehner, CDU, Bürgermeister Taunusstein:
“Für uns ist das natürlich ein wirklich herber Schlag....”

Der Verdacht: Der Platzhirsch Deutsche Telekom verhindert eine Zusammenarbeit.

Ein Vorwurf, den das Unternehmen zurückweist.

Marion Kessing
Marion Kessing | Bild: SWR

Marion Kessing, Pressesprecherin Deutsche Telekom:
“Wir sind immer offen für Kooperationen, ganz viele Beispiele aus Münster, aus Coburg, aus Sindelfingen, aus Weilheim, also quer durch die Republik. Aber es passt halt nicht in jedem Fall. Und dann kommt keine Kooperation zustande.”

Und woran scheiterte es in Taunusstein? Die GVG Glasfaser erklärt:

Michael Gotowy
Michael Gotowy | Bild: SWR

Michael Gotowy, Geschäftsführer GVG Glasfaser:
“Wir hätten gerne das Netz geöffnet für die Telekom, auf unser Netz zu kommen.”

Kritik an Platzhirsch Deutsche Telekom

Für Bürgermeister Zehner ist die Sache eindeutig.

Sandro Zehner
Sandro Zehner | Bild: SWR

Sandro Zehner, CDU, Bürgermeister Taunusstein
“Wenn wir sehen, dass die Volkswirtschaft und Marktwirtschaft es eigentlich schaffen würden, in schneller Zeit dieses Land an ein Glasfaserstruktur- und Infrastrukturnetz anzubringen, und durch strategische Maßnahmen eines sehr starken Players im Markt das verhindert wird – da ist es auch notwendig, jetzt regulierend einzugreifen.”

Dass der mehrfache Glasfaser-Ausbau nicht unproblematisch ist, zeigen Zwischenergebnisse einer Studie, die das Bundesdigitalministerium in Auftrag gegeben hatte und die Report Mainz vorliegen. Demnach führt in jedem sechsten untersuchten Fall Überbau zu einem langsameren und für den Steuerzahler teureren Ausbau.

Trotz Probleme: Bundesregierung plant derzeit keine Regulierung

Stefan Schnorr ist Staatssekretär im Bundesdigitalministerium von Volker Wissing. Er will den Abschluss der Studie erst einmal abwarten. Lässt aber schon jetzt erkennen, dass er in den Infrastruktur-Wettbewerb nur ungern eingreifen möchte.

Stefan Schnorr
Stefan Schnorr | Bild: SWR

Stefan Schnorr, Staatssekretär Bundesdigitalministerium
“Wir haben bislang keine Fälle, die dazu führen, dass wir sagen, wir müssen jetzt unbedingt tätig werden. Es gibt wettbewerbliche Probleme, das ist gar keine Frage.  Aber ist die Intensität so groß, dass der Staat, der Staat reagieren muss? Oder kann die Branche das unter sich lösen?”

REPORT MAINZ-Umfrage: 66 Prozent der Landkreise fordern Überbau-Verbot

Das sehen zwei Drittel der Landkreise und kreisfreien Städte ganz anders. Auf unsere Frage, ob sie für ein gesetzliches Überbau-Verbot seien, antworteten 34 Prozent mit Nein, 66 Prozent – also zwei Drittel - mit Ja. Damit fordern sie ausdrücklich eine Regulierung.

Was bedeutet das Gerangel auf dem Glasfasermarkt für die Menschen in Deutschland? Während die einen noch lange auf schnelles Internet warten müssen, wundern sich die anderen, dass die Straße schon wieder aufgerissen wird. Und Deutschland hinkt international weiter hinterher.

Stand: 21.06.2023 17:09 Uhr