Marode Häuser statt Rendite?

Mieter verzweifeln, Kleinanleger verlieren womöglich Millionen - Rund 5.000 Anleger sind bundesweit betroffen. Sie hatten einem Unternehmen namens DEGAG rund 280 Millionen Euro geliehen. Nun befindet sich die Firma in einem vorläufigen Insolvenzverfahren.

Text des Beitrags:

Wir sind in der Dortmunder Nordstadt. Dieser Mieter will unerkannt bleiben. Er schämt sich für seine Wohnung.

Anonym:
„Guck, alles Schimmel. Von oben bis unten. Und in der Ecke. Der Schimmel ist schon lange hier. Ich mache das weg, aber er kommt zurück. Hier und auf der anderen Seite auch.“

Die Fenster schließen kaum. Die Heizung macht Probleme. Schon seit Jahren gehe das so. Dieses Bad nutzen auch seine zwei Kinder.

Die meisten Nachbarn sind längst ausgezogen. Geblieben ist der Müll im Treppenhaus.

Anonym:
„Guck.“

Und das Gefühl, dass sich niemand kümmert. Er macht sich Sorgen - vor allem um seine Kinder.

Anonym:
„Hier kommen Penner von draußen, die hier schlafen.“

Immer wieder haben wir über dieses Hochhaus berichtet. Seit Jahren gibt es hier Probleme mit Schimmel. Draußen Müll und Ungeziefer. Sogar die NRW-Bau-Ministerin Ina Scharrenbach war vor rund zwei Jahren hier und wollte die Probleme angehen.

Ina Scharrenbach, Bauministerin NRW:
„Sind sie froh, dass sie hier raus sind.“

Seitdem ist wenig passiert. Inzwischen steht das Gebäude unter Zwangsverwaltung - wegen „gravierender Mängel“, wie die Stadt sagt.

Bei unseren Recherchen stoßen wir schnell auf das Unternehmen - eine Firma namens DEGAG. 5000 Mietwohnungen hat sie nach eigenen Aussagen in ganz Deutschland. Seit kurzem läuft ein vorläufiges Insolvenzverfahren. Die Mieter wissen oft nicht, wie es für sie weitergeht. Genauso wenig wie die vielen Anleger, die der DEGAG für Ihre Geschäfte Geld geliehen haben. Ben Willert ist einer von fast 5000 Anlegern, die rund 280 Millionen Euro investiert haben. Bei ihm waren es seine Ersparnisse - rund 30.000 Euro. Zwischen 7 und 9 Prozent Zinsen seien versprochen worden. Noch kurz bevor kein Geld mehr kam:

Ben Willert, Anleger
Ben Willert, Anleger | Bild: SWR

Ben Willert, Anleger:
„Bis Oktober kamen eigentlich immer nur positive Nachrichten und es wurden positive Werbemagazine auch rausgeschickt, wo eben beworben wurde, dass man weiter investieren sollte, da es sich eben um eine konservative und sichere Anlage handelt und jetzt stellt sich eben heraus, dass es anscheinend nicht so ist. Seit Dezember wurde plötzlich nichts mehr gezahlt, man wusste erst mal auch gar nicht warum.“

Wo die Immobilien genau stehen, wurde nicht mitgeteilt, erzählt er. Investiert hätten die Anleger, nicht in die Häuser oder Wohnungen direkt, sondern in sogenannte Genussrechte. Das sind hier Finanzprodukte, die einen festen Zins versprechen. Mit meist sehr attraktiven Prozenten. Beworben in aufwendigen Werbebroschüren. Den Anlegern wurde hier versprochen, dass die Immobilien saniert und vermietet würden. Wie sieht es vor Ort aus?

Halle. Auch hier hat die DEGAG ganze Straßen gekauft. Viele Häuser stehen leer und verfallen. Auch im Portfolie der DEGAG: Groß Schacksdorf an der polnischen Grenze - ein ähnliches Bild. Kaum noch Menschen wohnen hier. Augustdorf in Nordrhein-Westfalen, hier haben wir vor gut eineinhalb Jahre gedreht. Viel steht leer, manches wurde zur Prostitution genutzt. Uns liegen Firmeninterne Unterlagen vor, dass viele Häuser der DEGAG große Mängel aufweisen, leerstehen und Handwerker nicht bezahlt wurden. Wir recherchieren weiter zur DEGAG und finden ein kompliziertes Firmengeflecht mit zig Tochterfirmen.

Also große Versprechen in Hochglanzbroschüren, stattdessen marode Häuser?

Das kritisiert Anwalt Peter Mattil in München. Seit 25 Jahren vertritt er Anleger, die in solche Finanzprodukte investiert haben. Mattil hat mit hunderten DEGAG-Betroffenen Kontakt. Meist sind es Kleinanleger, Normalverdiener, die etwas fürs Alter zurücklegen wollten, so seine Einschätzung.

Peter Mattil, Rechtsanwalt
Peter Mattil, Rechtsanwalt | Bild: SWR

Peter Mattil, Rechtsanwalt:
„Sie kriegen eine Broschüre, da steht drin, sie beteiligen sich an einem Immobilienunternehmen. Es werden Tausende von Immobilien gekauft oder renoviert, das glaubt natürlich der Anleger. Die Immobilien, die sind ganz woanders, aber nicht dort, wo der Anleger sich beteiligt hat. In irgendwelchen verschachtelten Unterfirmen. Der Anleger kauft nur eine leere Hülle und das ist meiner Meinung nach eine ganz große Verschaukelung - so nenne ich es mal ganz vorsichtig“

Allgemein gilt: nicht selten gehen die Anleger in solchen Konstrukten leer aus, meint auch Prof. Bernd Nolte aus Stuttgart. Das sei häufig der Fall auf dem sogenannten Grauen Kapitalmarkt. Der Teil des Finanzmarktes, der im Gegensatz zum Banken- und Aktiengeschäft, von den Finanzbehörden kaum überwacht wird.

Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler:
„Wir befinden uns im dunklen grauen Kapitalmarkt und der Markt ist eben besonders attraktiv für Firmen, die über eine hohe Cleverness verfügen. Das heißt, sie wissen ganz genau, wann sie welche Schwellen unter- oder überschreiten müssen, um sich vor Transparenzpflichten und vor Nachfragen schützen können.“

So sei das auch bei der DEGAG gewesen, schätzt Professor Nolte ein. Eigentlich hätte die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die Firma im Blick haben müssen. Doch eine Warnung finden wir auf der Webseite der Behörde nicht.

Dabei hatte vergangenes Jahr die Stiftung Warentest gewarnt, und der Verbraucherzentrale Bundesverband schon 2022 auf Risiken der DEGAG aufmerksam gemacht. Normalerweise müssen bei der BaFin für solche Finanzprodukte spezielle Prospekte hinterlegt werden, so dass sich die Anleger über Risiken informieren können.

Die DEGAG nutzte teilweise eine Gesetzeslücke: So ist vorgesehen, dass wenn für dieselbe Vermögensanlage nur maximal 20 Anteile herausgegeben werden, es kein Informationsprospekt geben muss. Das nutzte die DEGAG, indem einzelne Finanzprodukte gestückelt wurden: Erst in mehrere Tranchen. Dann in eine Vielzahl von Serien, und erst dann jeweils in 20 Anteile, wie es der Gesetzgeber vorsieht. Mit 3 Tranchen à 30 Serien und jeweils 20 Anteilen, können so theoretisch 1800 Anlagen verkauft werden - ohne dabei prospekt-pflichtig zu werden.

Wir fragen schriftlich bei der DEGAG und dem Geschäftsführer nach, bekommen aber keine Antwort. Auch der Insolvenzverwalter gibt auf unsere Anfrage keine Auskunft.

In einer Pressemitteilung vom Januar heißt es vom Unternehmen nur:

„Wir hoffen, dass durch geordnete Insolvenzverfahren die Immobilien genutzt oder verwertet und damit die Gläubiger so gut wie möglich befriedigt werden können. (…) Die Aufarbeitung der Ursachen in der DEGAG-Gruppe ist komplex. Hierzu steht die Geschäftsleitung der Insolvenzverwaltung selbstverständlich zur Verfügung“.

Die Bafin schreibt uns nur, dass sie sich zu einzelnen Unternehmen nicht äußert. Prinzipiell sei alles im Gesetz geregelt.

Peter Mattil, Rechtsanwalt:
„Die hätten ein Vertriebsverbot aussprechen müssen, also die BaFin hätte da schon handeln müssen.“

Schon die vergangene Bundesregierung, die Ampel, wollte Lücken im Gesetz schließen. Und heute? Finden wir fast den gleichen Satz im neuen Koalitionsvertrag: Der Graue Kapitalmarkt solle auf Lücken überprüft und diese geschlossen werden.

Das Finanzministerium schreibt auf unsere Anfrage zum Schlupfloch, mit dem die DEGAG tausende Anleihen verkaufen konnte: Man wolle das mit der BaFin erörtern.

Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler
Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler | Bild: SWR

Prof. Bernd Nolte, Wirtschaftswissenschaftler:
„Der Gesetzgeber und das Parlament, die müssen eingreifen. Um dieses Thema zu lösen. Das darf nicht weiter über zehn Jahre auf die lange Bank geschoben werden, mit irgendeinem Argument des Liberalismus und bei uns würden Märkte verloren gehen“

Marode Häuser, verzweifelte Mieter und Anleger - ein Insolvenzverfahren das womöglich Jahre dauern könnte, bis klar ist, ob sie ihr Geld zurückbekommen. Höchste Zeit, dass die neue Bundesregierung handelt.

Stand: 21.05.2025 13:55 Uhr