Abschiebung nach Griechenland
Menschenunwürdige Zustände vor Ort
Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Mitte April sind Abschiebungen nach Griechenland wieder leichter möglich. Dabei sind viele der Flüchtlinge wegen der schwierigen Bedingungen dort nach Deutschland gekommen.
Angst vor Griechenland. Mit jedem Tag wird sie für Hamza Howidy stärker
Hamza Howidy:
„Ja, ich habe Angst, ich denke: Was soll ich machen?”

Hamza Howidy droht die Abschiebung nach Griechenland. Wo er schon mal war: Im August 23 floh er aus dem Gaza-Streifen vor der Hamas, er sei dort gefoltert worden. Floh auf die griechische Insel Samos, lebte zunächst in einem Flüchtlingslager. War später sogar drei Tage auf der Straße. Schließlich reiste er nach Deutschland weiter. und jetzt soll er wieder zurück, weil er in Griechenland zuerst als Flüchtling anerkannt wurde. Ende Mai kam der Bescheid. Seitdem ist nichts mehr, wie es war.
Hamza Howidy:
„Seit ich den Abschiebebescheid habe - ich übertreibe nicht -, bin ich in Panik, frustriert, habe Angst, was passieren kann. Was ich erlebt habe auf Samos, war wie ein Gefängnis und kein gutes Gefängnis, Gefängnisse sind wenigstens sauber. Das ist keine Situation, die man einem Menschen zumuten sollte.”
Erstaufnahmeeinrichtung auf Samos
Für diesen Film haben wir uns auf die Reise gemacht. Was erleben Flüchtlinge in Griechenland, in dem laut Bundesverwaltungsgericht keine „unmenschliche oder erniedrigende” Aufnahmesituation besteht? Seit April darf deshalb wieder verstärkt dorthin abgeschoben werden.
Unsere erste Station: Samos. Das Flüchtlingslager, in dem Hamza Howidy war. Eine gut gesicherte Erstaufnahmeeinrichtung. Weit draußen, im Nirgendwo. CCAC heißt es auf Englisch, „Closed Controlled Access Center”. Unbefugte dürfen hier nicht rein. Auch unsere Drehanfrage bleibt unbeantwortet.
Die Werbebilder der griechischen Regierung. Anscheinend alles sauber. Ein Vorzeigeprojekt, finanziert von der EU: Mehr als 40 Millionen Euro für den Bau.
Aber wie sieht es drinnen aus? Uns werden Aufnahmen zugespielt. Sie sollen das Innere zeigen, aus mindestens zwei Gebäudekomplexen.
Überall Müll. Ein zerstörter Gang. Verdreckte Sanitäranlagen. Und immer wieder Flaschen. Wasserbehälter, weil das Wasser über Stunden abgestellt sei, die Toiletten nicht richtig funktionierten.
Kann das wahr sein?
Es gelingt uns, mit zwei Bewohnern zu sprechen, zusammen mit einer Übersetzerin. Aus Angst vor Konsequenzen wollen sie anonym bleiben. Erkennen sie ihre Unterkunft wieder? Tatsächlich. Mit einer Ausnahme.
Bewohner:
„Das Video … das sieht noch sauber aus…”
Auch sie berichten über katastrophale Wohnverhältnisse, schlechte medizinische Versorgung. Verzweiflung. Jeden Tag.
Bewohner:
„Wir sind hier hergekommen, um uns ein Leben aufzubauen, nicht um zerstört zu werden.”
Bewohner:
„Manchmal denke ich daran, alles hier zurückzulassen und zurück nach Hause zu gehen. Wie ich hier behandelt werde…ganz ehrlich, ich hasse alles hier.”
Hautkrankheiten als mögliche Folge von Überbelegung
Wir sind bei Ärzte ohne Grenzen. Camille Mur ist die Projektkoordinatorin.
Camille Mur, Projektkoordinatorin Ärzte ohne Grenzen, Samos:
„Hello, how are you?”
Die Hilfsorganisation betreibt ein paar Kilometer vom CCAC entfernt eine medizinische Anlaufstelle für Flüchtlinge.
Camille Mur, Projektkoordinatorin Ärzte ohne Grenzen, Samos:
„What are all these new people?”

Und heute ist ganz schön viel los. 50 Patienten. 7000 Behandlungen waren es bisher in diesem Jahr. Und bei fast allen seien ähnliche Beschwerden zu erkennen, sagt Camille Mur.
Camille Mur, Projektkoordinatorin Ärzte ohne Grenzen, Samos:
„Die häufigsten Krankheiten sind Hauterkrankungen, insbesondere Krätze, Atemwegsinfektionen und Erkrankungen des Bewegungsapparats. Das kann aus medizinischer Sicht in Lagern oder geschlossenen Einrichtungen auftreten, besonders bei Überbelegung oder eingeschränkten Zugang zu Sanitäreinrichtungen.”
Thema beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Im April machte Ärzte ohne Grenzen sechs Fälle von unterernährten Kindern öffentlich. Alle im Camp auf Samos. Alle in der Verantwortung der griechischen Regierung.
Die Zustände im Flüchtlingslager beschäftigen inzwischen auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Mindestens drei Entscheidungen gab es allein in diesem Jahr gegen Griechenland, nur wegen Samos.

Der Menschenrechtsanwalt Dimitris Choulis leitet eine örtliche Organisation, die Flüchtlinge juristisch unterstützt. Erst im Mai ließ er mit Hilfe des Gerichtshofs 46 unbegleitete Minderjährige aus dem CCAC holen.
Dimitris Choulis, Human Rights Legal Project, Samos:
„Ehrlich gesagt: Das war der einfachste Fall, den wir hätten haben können. Nur ein einziges Bild hat dem Gericht gereicht, um zu erkennen, was dort vor sich geht. Das ist schon demütigend für mein Land, denn der Gerichtshof hat in den Urteilen gefordert, den Flüchtlingen Wasser zu geben. Dass ein Gericht so etwas sagen muss, das ist ein bisschen demütigend.”
Migrationsforscher vermutet System
Was sagt das griechische Asylministerium zur Situation auf Samos? Die Fragen von REPORT MAINZ bleiben unbeantwortet.
Dafür antwortet die EU-Kommission, bestätigt, dass eine „Überfüllung” in einem Teil des Lagers zu einer „Verschlechterung der Bedingungen” geführt habe. Und sie schreibt von einer angeblich „umfangreichen Renovierung” im Lager, ohne Details zu nennen.
Der Migrationsforscher Marcus Engler beschäftigt sich seit Jahren mit der EU-Asylpolitik. Die schlechten Bedingungen in den griechischen Lagern beobachtet er schon lange.

Marcus Engler, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung:
„Und ich will auch ganz klar sagen, dass das kein Zufall ist, es liegt nicht an mangelnden Ressourcen oder einer Überforderung mit zu vielen Menschen. Da kommen gerade gar nicht so viele Menschen, wenn wir sozusagen die Vergangenheit mit der Vergangenheit vergleichen, sondern es ist eine absichtsvolle Politik, die in diesem Fall jetzt die griechische Regierung dann umsetzt. Also eine Politik, die darauf abzielt abzuschrecken durch schlechte Bedingungen.”
Europa verschließe die Augen, auch Deutschland, gerade beim Thema Abschiebungen nach Griechenland. Diese Flüchtlinge treffe es besonders hart.
Wir sind in Athen, Griechenlands Hauptstadt. Auf der Suche nach Flüchtlingen, die zuvor in Deutschland waren.
Perspektivlosigkeit für viele aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge
Der Viktoriaplatz. Treffpunkt für viele Gestrandete. Denn wer einmal in Griechenland als Flüchtling anerkannt ist, darf in der Regel nicht mehr in die Lager zurück. Fällt erstmal in ein tiefes Loch.
So wie Musa, er heißt eigentlich anders, möchte nicht erkannt werden, aus Angst vor Schwierigkeiten mit den Behörden. Wir erfahren: Er stammt ursprünglich aus dem Südsudan. Anfang des Monats sei er noch in Rheinland-Pfalz gewesen, wurde abgeschoben. Die vergangenen Tage habe ihm ein Priester eine Unterkunft bezahlt. Aber nur bis heute.
Musa:
„Ich weiß nicht, wo ich heute Nacht schlafen soll. Es ist, als wärst du nichts. In Deutschland hatte ich eine Unterkunft. Mit der Abschiebung haben sie mein Leben kaputt gemacht. Jetzt bin ich wieder auf der Straße.”
Musa erzählt, ihm fehlten Papiere, um in Griechenland legal arbeiten zu können. Vor allem die offizielle Aufenthaltsgenehmigung, die man auch für das sogenannte garantierte Mindesteinkommen braucht. Die einzige Möglichkeit: Schwarzarbeit. Für wenig Geld.
Bundesregierung will Sekundärmigration senken
Nicht der einzige Rückkehrer aus Deutschland, der uns das erzählt. Die Geschichten sind ähnlich: Keine Arbeit, keine Hilfen, weil Papiere fehlten. Manche sagen, sie warten schon Monate. Viele sehnen sich nach Deutschland zurück.
9000 Flüchtlinge kamen im ersten Halbjahr von Griechenland in die Bundesrepublik. Diese Sekundärmigration war auch Thema beim Deutschlandbesuch des griechischen Ministerpräsidenten Anfang Mai.
Friedrich Merz, CDU, Bundeskanzler (13. Mai 2025):
„Ich habe in unserem Gespräch meine Erwartung an die griechische Regierung deutlich gemacht: Die Sekundärmigration von Griechenland nach Deutschland muss sinken.”
Aber ist das verantwortbar? Angesichts der schwierigen Lage sowohl in Flüchtlingslagern als auch für die Betroffenen auf der Straße.
Marcus Engler, Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung:
„Was sollen die Menschen denn machen, ja? Wenn sie dann wirklich nur die Option haben, obdachlos zu sein oder in sehr prekären Bedingungen zu leben, dann ist es ja aus ihrer Sicht vollkommen rational, dass sie gucken, welche anderen Optionen es irgendwie gibt. Und dann gehen sie halt nach Deutschland oder in andere Staaten.”
So wie Hamza Howidy, der trotz Ausreisebescheid hofft, irgendwie doch noch in Deutschland bleiben zu können.
Stand: 30.07.2025 13:24 Uhr