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Brasilien: Jagd auf Journalistinnen und Journalisten

PlayEine Kameramann wird von einem Mob weggedrängt.
Brasilien: Jagd auf Journalistinnen und Journalisten  | Bild: NDR

Der Brite Dom Philipps hat viele Jahre in Brasilien gelebt, er galt als erfahrener Journalist, der sich im Amazonas und in den Regenwäldern gut auskannte. Immer wieder hat er über illegale Rodungen und über die Gewalt berichtet, denen sich Indigene in Brasilien ausgesetzt sehen. Jetzt sind er und ein Begleiter bei einer Recherche brutal ermordet worden.

Das Ende eines brutalen Verbrechens: Abtransport der Überreste von Dom Phillips und Bruno Pereira. Der britische Journalist und der Indigenen-Experte wurden im Amazonas ermordet. Der Täter: Ein krimineller Fischer, der womöglich auch als Drogenkurier gearbeitet hat. Er wurde offenbar auf frischer Tat ertappt – und hat die beiden deshalb erschossen, verbrannt und vergraben, in einem abgelegenen Gebiet nahe der Grenze zu Peru und Kolumbien.

Die Reaktion von Brasiliens Präsident Bolsonaro nach dem Mord an einem Journalisten und einem Wissenschaftler ist zynisch: "Die beiden waren unerwünscht in dieser Region, weil sie immer wieder Berichte gegen Goldgräber und über Umweltverbrechen veröffentlicht haben. Sie waren einfach unbeliebt."

Landkonflikte sind sehr intensiv

Seitdem der rechtsextreme Jair Bolsonaro Präsident ist, nimmt die Gewalt gegen Journalisten zu. Vor allem im Amazonas – und dort, wo die Grenze zwischen Landwirtschaft und intaktem Urwald verläuft. Das haben wir bei unseren Dreharbeiten 2019 selbst erlebt: Wir recherchieren zu einem Landkonflikt zwischen Soja-Exporteuren und Kleinbauern. Ein Konflikt um Boden, bei dem sich die Kleinbauern immer mehr umzingelt sehen von mächtigen Großgrundbesitzern. Diese würden immer weiter vorrücken – auf das angestammte Gebiet der Alteingesessenen. Und Wege absperren. "Hier komme ich nicht mehr durch. Wenn ich weitergehe, schießen sie auf mich. Mir ist das passiert, als ich meine Rinder einsammeln wollte“, erzählt uns Kleinbauer Edinaldo Lopez.

Während wir ihn interviewen, tauchen vor dessen Haus plötzlich Bewaffnete auf. Sie schreien: "Runter mit der Kamera!" Die Männer sind nicht zimperlich und offenbar völlig überrascht, uns Journalisten vor dem Haus des Kleinbauern anzutreffen. Wir sollen die Dreharbeiten abbrechen. Einen Durchsuchungsbefehl haben sie nicht dabei. Erst spät geben sie sich als Militärpolizisten zu erkennen. Angeblich bei geheimen Ermittlungen, behaupten sie.

Wir haben der Militärpolizei den Vorfall offiziell gemeldet, eine Aussage gemacht und Aufklärung gefordert – mit Unterstützung deutscher Diplomaten. Doch bis heute – drei Jahre später: keine Antwort, keinerlei Aufklärung. Der katholische Entwicklungshelfer Martin Mayr aus Österreich, der uns damals begleitet, ahnt, was los ist. "Zurzeit sind die Landkonflikte wieder sehr intensiv. Das hat vermutlich auch mit der politischen Konjunktur zu tun. Die großen Agrarunternehmer, die großen Fazenderos, spüren sehr starken Rückenwind durch die Regierung Bolsonaro. Wir sehen, was das in der Praxis bedeutet kann."

Agrarunternehmen nehmen Recht in eigene Hand

Bewaffnete Männer
Während eines Drehs 2019 bei einem Kleinbauern tauchen plötzlich Bewaffnete auf. | Bild: NDR

Wir fragen nach – ganz in der Nähe, auf einer Agrarmesse im Bundesstaat Bahia. Hier sind auch deutsche Unternehmen vertreten. Der hiesige Agrar-Verbandspräsident gibt zu erkennen, dass die Großbauern das Recht im Zweifel in die eigene Hand nehmen. "Wir haben ein Abkommen mit der Militärpolizei geschlossen, die unsere Fazendas beschützt. Aber es ist unmöglich, dass die Militärpolizei effizient all unsere riesigen Ländereien bewacht. Was tun wir also? Wir schützen uns auch auf eigene Rechnung", sagt Celestino Zanella.

Haben Soja-Farmer die Militärpolizisten außerhalb der Dienstzeit angeheuert? Ohne gesetzliche Grundlage? Der Präsident des brasilianischen Verbands der Investigativ-Journalisten, Marcelo Beraba, erkennt in diesem Überfall ein typisches Muster: "Überall dort, wo sich die Agrar-Industrie ausbreitet, gibt es mehr und mehr Konflikte. Das wird von ganz oben, von der Regierung, angeheizt. Dadurch fühlen sich Kriminelle und ihre Verbündeten dazu aufgerufen und berechtigt, zu allen Mitteln zu greifen."

Gewalt gegen Journalisten – direkt vor dem Parlament

Eine Kameramann wird von einem Mob weggedrängt.
Unter Gewalt werden Kameramänner abgeführt. | Bild: NDR

Das haben wir im vergangenen Jahr am eigenen Leib erlebt. Zehntausende Anhänger von Jair Bolsonaro demonstrieren am Nationalfeiertag. Gegen Ende beginnen einige von ihnen, mit Gewalt Kameramänner abzuführen. In Sichtweite des Parlaments. Wir bereiten uns auf eine Live-Schalte vor, als die Bolsonaro-Fans auch uns entdecken, uns treten und dann wegdrängen. Keine Schalte – wir geben auf. Im Gedränge wird uns ein Mikrofon gestohlen, kurz bevor wir doch noch eine Schalte zustande kriegen. Während der gesamten Zeit war vor dem Parlament nicht ein Polizist zu sehen.

"Seit dem Amtsantritt Bolsonaros 2019 erleben wir nicht nur ein Unverständnis vieler Menschen gegenüber der Arbeit der Presse wie früher schon, sondern einen gezielt gesteuerten Verfall der Sitten mit dem Ziel, den Journalismus zu schwächen. Durch klare Bedrohungen, Beleidigungen, Einschüchterungen und auch durch körperliche Gewalt", sagt Marcelo Beraba. Gewalt, die den britischen Journalisten Dom Phillips und seinen Begleiter im Amazonas nun das Leben gekostet hat.

Dort wo illegale Goldgräber, Holzfäller oder Drogenkuriere sich ganz offensichtlich durch die Bolsonaro-Regierung ermutigt fühlen, rücksichtslos gegen Journalisten und Umweltschützer vorzugehen. Aber auch gegen Indigene – die Wächter des Amazonas. Sie stehen an vorderster Front im Kampf gegen Kriminelle im Urwald.

Autor: Matthias Ebert, ARD-Studio Rio de Janeiro

Stand: 19.06.2022 19:36 Uhr

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