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Afghanistan: Kabul fällt

PlayRauchschwade in Kabul
Afghanistan: Kabul fällt  | Bild: picture alliance/dpa/AP / Rahmat Gul

Die Nachrichten aus Afghanistan überschlagen sich: Die Taliban kontrollieren offenbar die Hauptstadt Kabul. Einige Polizeistützpunkte in der Stadt haben sie bereits übernommen. Afghanistans Noch-Regierung und die Taliban-Führung verhandeln über eine "friedliche Machtübergabe". Präsident Ghani soll bereits das Land verlassen haben. In einer Blitzoffensive nahezu ohne Gegenwehr haben die Taliban das ganze Land eingenommen. Angst und Verzweiflung beherrschen die Menschen.

Weil sie Sandalen trugen: Mädchen von Taliban ausgepeitscht

Familie in einem Zelt.
Auf der Flucht vor den Taliban in Kabul gestrandet. | Bild: NDR

Frauen sind mit ihren Familien auf der Flucht. Mit ihren sechs Kinder wollte Nilofar wie alle anderen den Taliban entkommen. Die Heimat-Provinz der Frau ist bereits in der Hand der Kämpfer. Nun sitzt die Lehrerin in einem Flüchtlingscamp in Kabul fest. Und berichtet, was sie in den vergangenen Tagen erlebt hat: "Ein paar Mädchen wollten in einem Tuk-Tuk vom Unterrichtszentrum nach Hause. Sie wurden von den Taliban angehalten und ausgepeitscht, weil sie Sandalen trugen. 'Ihr tragt sie, um junge Männer anzuziehen', sagten sie." 

Was sie beschreibt ist genau das, was die Frauen Afghanistans befürchtet haben. Die Taliban wollen das Rad zurückdrehen. Viele sind aus den Provinzen in die Hauptstadt gekommen. Unter Schock und voller Sorgen, vor dem, was nun folgt. Nilofar berichtet weiter: "Niemand durfte ohne männliche Begleitung auf den Markt gehen. Was passiert mit denen, die keine haben? Viele haben keine Ehemänner. Die Frauen haben ihre jungen Männer verloren, viele sind erst in den 20ern. Sie haben niemand, der sich um sie kümmert. Wie werden sie überleben?"

Frauenrechtlerin: "Ich weiß, dass wir getötet werden"

Taranom Seyedi im Interview.
Taranom Seyedi ist verzweifelt. | Bild: NDR

Taranom Seyedi hat für die Rechte der Frauen gekämpft. Die Unternehmerin hatte sich gegen die patriarchale Gesellschaft Afghanistans gestemmt.  Nun hat sie Todesangst: "Wenn ich sehe, dass wir kurz davor sind, alles zu verlieren, verliere ich alle Hoffnung. Ich versuche nur noch meine Freunde zusammenzubringen, damit unsere Zukunft besprechen können, damit wir diese Pläne verwirklichen können, wenn einer von uns lebend aus dieser Situation heraus kommt. Ich bitte sogar einige meiner Freunde um Verzeihung, wenn ich ihnen jemals Unrecht getan habe, denn wenn die Taliban kommen, wird keiner von uns überleben. Mehr kann ich dazu nicht sagen, ich weiß, dass wir getötet werden."

In Kabuls Außenbezirken ziehen die Taliban ein. Mit der Hauptstadt fällt der letzte Rückhalt der afghanischen Regierung. Die Taliban sind sich ihrer Sache bereits sicher und sehen Kabul in den Händen der radikalen Gotteskrieger. Die US-Amerikaner fliegen seit heute morgen ihr diplomatisches Personal aus. Helikopter bringen die Botschaftsmitarbeiter zum Flughafen. Auch die Deutsche Botschaft wurde dorthin evakuiert. Der afghanische Präsident Ashraf Ghani hält fast zeitgleich seine wohlletzte Ansprache. Er macht den Afghanen noch Hoffnung, obwohl es scheint, dass nichts mehr zu retten ist: "Es ist notwendig, neben der Polizei und den nationalen Streitkräften auch die nationale Sicherheit zu gewährleisten. Ich habe das Verteidigungsministerium angewiesen, die volle Verantwortung für die Sicherheit aller Einwohner zu übernehmen. Das ist unsere Verantwortung. So Gott will, werden wir diese Verantwortung auch wahrnehmen.”

Er wirkt sichtlich irritiert. Nach dieser Ansprache flieht der Präsident. Nach Tadschikistan, heißt es. Jetzt geht es um die Übergabe der Macht. Während in einigen Orten die Taliban-Kämpfer freudig begrüßt werden, wächst in Kabul die Angst.

Autorin: Sibylle Licht, ARD Neu-Delhi

Stand: 15.08.2021 20:25 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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