So., 18.05.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
USA: West Virginia – die vergessenen Bergarbeiter-Städte
Almost Heaven – fast wie im Himmel. So besang John Denver einst den US-Bundesstaat West Virginia. Eine Hymne – bis heute identitätsstiftend für die, die hier in Appalachen leben. Dabei ist der Alltag eher mühsam als himmlisch. Mark Wooldridge ist 64. Wenn er sauberes Trinkwasser möchte, muss er zu einem Wasserfall am Straßenrand. Marks Haus wurde wie viele hier nicht an die Wasserversorgung angeschlossen, und das Wasser aus seinem Brunnen ist voller Schadstoffe. "So ist das im ganzen Bezirk. Wenn Sie weiterfahren, kommen Sie noch an andere Quellen, aus denen sich die Leute ihr Wasser holen, weil sie Zuhause nicht ans Wassernetz angeschlossen sind." Die USA – eines der reichsten Länder der Welt. Und dennoch gibt es extrem arme Ecken wie das McDowell County in West Virginia. "Keiner interessiert sich für uns. So sehe ich das. Es ist ihnen egal, ob wir Wasser haben", sagt Mark. Alle drei Wochen fährt er Wasser holen. Bei sich Zuhause zeigt er uns, wie sein Brunnenwasser aussieht: "Anfangs ist es klar, aber wenn es sich setzt, wird es gelb und dann rot. Wir duschen damit. Wäsche waschen wir damit auch. Aber wenn du weiße Sachen wäschst, kommen sie braun heraus."
Infrastruktur aus den goldenen Zeiten des Kohleabbaus verfällt
McDowell County ist Kohlerevier, auch heute noch. Einst lebten hier 100.000 Menschen, jetzt keine 20.000 mehr. Die glorreichen Zeiten sind längst vorbei. Alle Orte der Gegend wurden gegründet von Kohle-Firmen. Die haben hier Häuser für die Arbeiter gebaut, die Wasserversorgung eingerichtet. Doch die Infrastruktur aus den goldenen Zeiten verfällt, seitdem sich die Firmen zurückgezogen haben. Dieses Pumpwerk ist über 100 Jahre alt und müsste dringend ersetzt werden. Mawis Brewster leitet das lokale Versorgungswerk. Das hat in den 1990er-Jahren die marode Infrastruktur übernommen, arbeitet gemeinnützig. Mawis weiß nicht, wie lange sie dieses Pumpwerk noch betreiben können. "Das hier gehörte zwischenzeitlich einem privaten Unternehmen, das sich nicht um den Erhalt kümmerte. Also hat man uns gefragt, ob wir die Anlage übernehmen können, weil viele Menschen oft wochenlang ohne Wasser waren. Aber es ist auch für uns wirklich schwer, so ein altes System am Laufen zu halten. Vor allem, weil man uns die Systeme übergegeben hat, aber keinerlei Geld für den Unterhalt." Und es gibt noch ein Problem, wie uns diese Anwohnerin zeigt. "Dieses schwarze Rohr da: das ist ungefiltertes Abwasser. Alle Abwasserrohre gehen hier direkt rein. Da ist eins, da sind noch zwei. Und das landet dann in unseren Brunnen", sagt Bobby Hunt.
Viele Häuser in der Gegend sind nicht an die Kanalisation angeschlossen. Auch das wollen Mavies und ihre Kollegen Schritt für Schritt beheben: "Es gibt das noch sehr oft hier und das ist traurig! Bei uns kann man so gut angeln, aber dann muss man die Fische wieder zurückwerfen, weil man die absolut nicht essen kann." Coalwood ist die erste Gemeinde, für die das Versorgungswerk eine neue Kläranlage bauen konnte. 71 Haushalte und eine Tankstelle sind nun an die Kanalisation angeschlossen. Mehr als 20 Jahre hat es gedauert, bis diese Kläranlage fertig war – vor allem, weil es schwer war, die Finanzierung zusammenzubekommen. Pfarrer Brad Davis verteilt regelmäßig Trinkwasser. Denn auch bei den Menschen, deren Häuser – anders als das von Mark – ans Wassernetz angeschlossen sind, fällt das Wasser oft aus oder ist nicht trinkbar. Dabei sei es doch die grundlegendste Aufgabe eines Staates, für eine funktionierende Infrastruktur zu sorgen. "Jeder hat ein Recht auf sauberes Wasser, aber die Menschen hier ganz besonders. Denn sie waren es, die mit dem Kohleabbau West Virginia und die ganzen USA aufgebaut haben. Sie haben es verdient, dass bei ihnen sauberes Trinkwasser aus dem Hahn fließt", sagt Brad Davis.
Wasserkanister schleppen

Mark Wooldridge glaubt nicht, dass sich bald etwas zum Positiven verändert. Wenn er die Wasserkanister nicht mehr selbst schleppen kann, wird er wohl seinen Sohn schicken. "Ich setze keine große Hoffnung in die Politik. Aber ich hoffe, wir bekommen trotzdem irgendwann eine Wasserleitung – und, dass die dann funktioniert. Denn auch bei den Nachbarn, die schon angeschlossen sind, kommt oft kein Wasser heraus."
"West Virginia, Mountain Mama" – der Song über West Virginia kennt in den USA wohl jeder. Aber dass dort viele Menschen ohne sauberes Trinkwasser leben – das weiß auch hier kaum jemand.
Autorin: Kerstin Klein, ARD-Studio Washington
Stand: 18.05.2025 21:26 Uhr
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