So., 18.05.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Südafrika: Kein Wasser für die Dörfer
Auf den letzten Metern vor dem Wasserloch wird es gefährlich. Steil geht es fast senkrecht einen Abhang hinunter. Die Frauen aus dem Dorf Lugada sind angespannt. Eine von ihnen ist hier vor Kurzem abgestürzt. Es ist der einzige Weg vom Dorf zum Wasserloch. Lungiswa Nongalo geht diesen Weg jeden Tag, seitdem sie sich erinnern kann. Die 29-Jährige hat keine Wahl: "Wir brauchen dieses Wasser. Manchmal müssen wir es sogar trinken, auch wenn es schmutzig ist. Wir trinken es, die Kühe trinken es. Dies ist der einzige Brunnen bei unserem Dorf."
Ein Brunnen für das Dorf
Oben im Dorf versammeln sich die Großmütter vor dem Haus der Familie Nongalo. Die 71-jährige Thokozile Nongalo schafft es nicht mehr den Abhang hinunter, auch sie ist den jahrzehntelang gegangen. "Manchmal ist es in dieser Gegend sehr heiß, und es regnet sehr wenig. Das Wasser wird knapp. Wir müssen dann Wasser von einem Bohrloch kaufen, aber dafür haben wir kein Geld. Ich bin mit unserer Situation überhaupt nicht einverstanden." Der Weg nach oben - mit zehn Litern auf dem Kopf besonders mühsam. Lungiswa ist jedes Mal am Ende ihrer Kräfte, wenn sie oben ankommt. "Gleich werde ich mich ein bisschen ausruhen, mit den anderen zusammen. Dann geht es zurück in unser Haus. Ja, das ist an trockenen Tagen, wenn es nicht geregnet hat, die einzige Möglichkeit für uns, an Wasser zu kommen. Und das hier ist der einzige Weg." In Südafrika beginnen jetzt die trockenen Monate. Bis Oktober wird es kaum Regen geben.
Der ehemalige Kindergarten von Lugada: Lungiswas Schwester Bulelwa hat ihn geleitet. Sie war es, die vor einigen Monaten den Abhang runtergestürzt ist. Sie hat sich an der Wirbelsäule verletzt, konnte lange nicht mehr arbeiten. Immer noch hat sie Schmerzen. Der Kindergarten wurde geschlossen. "Es ist auf dem Weg nach unten passiert, ich bin ausgerutscht. Ich hatte starke Schmerzen. Bis jetzt kann ich nur aufrecht sitzen", sagt Bulelwa Nongalo. Vor einer Woche hat es stark geregnet, auch dieses Wasser können sie nutzen. Diesmal müssen sie das Dreck-Wasser aus dem Brunnen nicht trinken, sie benutzen es nur zum Waschen.
Wasserreservoirs wurden nie in Betrieb genommen

Das Dorf Lugada liegt am Südrand der majestätischen Drakensberge. Über dem Dorf thront, wie eine mittelalterliche Burg, ein Wasserreservoir. Aber Wasser war noch nie darin. Rohre wurden vor zwei Jahren verlegt, Wasserhähne installiert. Sie haben nie funktioniert. Die 20-jährige Likho, Bulelwas Tochter, kann, – wie alle anderen Dorfbewohner –, nur vermuten, dass das gigantische Bauvorhaben Ergebnis eines Korruptions-Skandals ist. Über 200 Wasserreservoirs gibt es in den Dörfern der Gegend, kein einziges wurde jemals in Betrieb genommen.
Lokale Amtsträger und Baufirmen scheinen sich an Staatsgeld bereichert zu haben und hatten nach dem Ende der Bauarbeiten wohl kein Interesse mehr daran, die Reservoire auch anzuschließen. Die zehn Mitglieder der Familie Nongalo leben von der Rente der Großmutter, umgerechnet knapp 115 Euro. Manchmal können sie es sich leisten, Zutaten für Gebäck einzukaufen, im einzigen Laden des Dorfes. Strom müssen sie prepaid kaufen, und umgerechnet zehn Euro in einen Zähler eingeben. Der Regenwasser-Tank ist voll, das Wasser hier sauber. Das Gebäck verkaufen sie in der nahen Kleinstadt Matatiele, machen damit ein bisschen Geld, zusätzlich zur Rente der Großmutter. Aber Backen geht eben nur, wenn sie sauberes Wasser haben. Alles dreht sich im Dorf Lugada – und in den Nachbardörfern – um das Thema Wasser. "Ohne sauberes Wasser kein Backen, ohne Gebäck keine Zusatzeinnahmen. Wir bewerben uns oft, um eine Erwerbs-Arbeit zu bekommen, aber niemand will uns. Das Gebäck ist unsere einzige Chance, etwas Geld zu machen. Ohne das würden wir hier nur rumsitzen", sagt Bulelwa Nongalo.Auf diese Weise machen sie um die 25 Euro Gewinn, wenn es ein guter Monat ist.
Am Nachmittag kommen die beiden Jüngsten von der Schule nach Hause. Die Familie Nongalo besteht nur aus Frauen, die Männer sind entweder gestorben oder haben sich aus dem Staub gemacht. Hausaufgaben und darüber reden, worum es an diesem Tag in der Schule ging. Die Nongalos haben die Hoffnung aufgegeben, dass die Rohre, die Wasserhähne, das Reservoir jemals in Betrieb genommen werden. Die Behörden, sagen sie, haben uns vergessen. Und so machen sie sich jeden Tag erneut auf den Weg zum Wasserloch, durch den steilen Felsspalt. Die vergessenen Menschen aus dem Dorf Lugada, dem Dorf, in dem es noch nie Leitungswasser gab, dem Dorf am Rand Südafrikas, der größten Volkswirtschaft des afrikanischen Kontinents.
Autor: Richard Klug, ARD-Studio Johannesburg
Stand: 18.05.2025 21:25 Uhr
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