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Ukraine: Witwer will Russland zur Rechenschaft ziehen

Ukraine: Witwer will Russland zur Rechenschaft ziehen | Bild: NDR

Videos aus dem privaten Archiv der Familie Basylewytsch. Vater Jaroslaw, Mutter Jewhenija und ihre drei Töchter Jaryna, Darija und Emilija. Eine glückliche Familie aus dem Westen der Ukraine. Mit vielen Plänen und großen Träumen. Heute sind die wichtigsten Frauen im Leben von Jaroslaw Basylewytsch tot. "Meine Familie war der Sinn meines Lebens. Jetzt ist davon nichts mehr übrig."

Am 4. September 2024 schlägt eine russische Hyperschallrakete in das Wohnhaus der Familie in Lwiw ein. Mutter Jewhenija und die drei Töchter befinden sich zu diesem Zeitpunkt unten im Treppenhaus – der vermeintlich sicherste Ort im Haus. Als Jaroslaw ihnen aus der Wohnung im oberen Stockwerk nach unten folgen will, hält ihn die heftige Explosion davon ab. "Ich saß oben auf den Trümmern unserer Wohnung. Unsere Küche war völlig zerstört, ich konnte auf einem Auge nichts mehr sehen. Aber weil meine Frau und meine Töchter im Treppenhaus nach unten gelaufen sind, war ich überzeugt, dass sie dort in Sicherheit waren."

Bilder des trauernden Vaters gehen um die Welt

Aus den Trümmern des Altbaus ziehen Rettungskräfte die leblosen Körper. Auch Hunderte Kilometer von der Front entfernt, reißen russische Luftangriffe ukrainische Familien auseinander. Der Moment, in dem Jaroslaw erfährt, dass er seine gesamte Familie verloren hat. Die Bilder des trauernden Vaters gehen um die Welt. Am Tag der Beerdigung ist die Anteilnahme in Lwiw überwältigend. Diese Solidarität gibt Jaroslaw Basylewytsch Kraft, sagt er. Doch dass seine Familie für immer fort ist, kann er bis heute nicht fassen. Sie wollten trotz des Krieges zusammen sein. Frau Jewhenija, Marketing-Expertin, liebte Yoga, Mode, Düfte und die französische Kultur. Die älteste Tochter Jaryna, Projektmanagerin, gesellschaftspolitisch aktiv, tatkräftig. Darija studierte Kulturwissenschaften, hinterfragte alles. Und die kleine Emilija, gerade mal in der zweiten Klasse, wusste immer genau, was sie wollte. Der russische Angriffskrieg hat sie für immer getrennt. Jaroslaw Basylewytsch: "Ich habe ein Gefühl der Leere in mir, ein Gefühl der Einsamkeit. Aus irgendeinem Grund empfinde ich keinen Hass. Vielleicht habe ich nicht die Kraft dazu. In mir ist immer noch alles leer."

Trotz der inneren Leere hat sich Jaroslaw Basylewytsch eine Aufgabe gegeben: Er will die Erinnerung an seine Familie wach halten. Er will, dass die Welt ihr Schicksal nicht vergisst. Dafür spricht er mit Politikern und Journalisten – obwohl es weh tut. Worum es Basylewytsch geht, ist Gerechtigkeit: "Die Unterstützung muss fortgesetzt und Gerechtigkeit hergestellt werden. Russland muss bestraft werden. Es müsste einen Gerichtsprozess geben, in dem alle Kriegsverbrecher, Putin eingeschlossen, verurteilt werden. Denn Putin ist nicht der Einzige, der diesen Krieg führt. Meiner Meinung nach braucht es eine Form von Gerechtigkeit."

EU will Schaffung eines internationalen Sondertribunals

Einsatzkräfte bergen eine Leiche nach einem Luftangriff auf ein Haus.
Am 4. September 2024 schlägt eine russische Hyperschallrakete in das Wohnhaus der Familie in Lwiw ein. | Bild: NDR

Mit diesem Wunsch steht Basylewytsch nicht allein. Auch Europas Außenminister fordern das immer wieder. Am 9. Mai haben sie in seiner Heimatstadt Lwiw den Weg für die Schaffung eines internationalen Sondertribunals geebnet. Damit die Täter vor Gericht gestellt werden. "Es darf nicht geschehen, dass dieser völkerrechtswidrige Krieg ohne Folgen bleibt. Diejenigen, die Verantwortung dafür tragen, müssen auch von einem legitimierten Gericht zur Verantwortung gezogen werden", sagt Bundesaußenminister Johann Wadephul. Ellina Valtonen, Außenministerin Finnlands, sagt: "Natürlich wird es nicht von heute auf morgen sein, dass wir Putin oder Russland für dieses Verbrechen in Verantwortung ziehen können. Aber das ist schon mal der erste Schritt, dass wir uns geeinigt haben, wie das rechtlich geschehen wird." Kaja Kallas, EU-Außenbeauftragte, erklärt: "Wir haben die UN-Charta, die besagt, dass man ein anderes Land, seine territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit, nicht angreifen darf. Aber es muss eine Rechenschaftspflicht geben. Was passiert, wenn jemand so etwas tut? Um es auch in Zukunft zu verhindern. Es geht also nicht nur um die Ukraine, sondern darum, dass wir keine Kriege in der Welt haben."

Damit andere Familien vor seinem Schicksal bewahrt werden. Menschen im ganzen Land bangen täglich um das Überleben ihrer Liebsten. Daran ändern auch die direkten Verhandlungen zwischen den Delegationen aus Russland und der Ukraine nichts. Wie die Mehrheit der Ukrainer glaubt Jaroslaw Basylewytsch, dass Russland nur durch wirtschaftlichen und militärischen Druck zum Frieden bewegt werden kann: "Wenn du einem Aggressor zeigst, dass er damit durchkommt, 20 Prozent eines anderen Landes zu erobern, und keine Konsequenzen fürchten muss. Dass die Sanktionen aufgehoben werden und er weiterhin Öl, Gas und so weiter verkaufen kann – was wird ihn dann aufhalten? Danach wird er weitermachen. Warum auch nicht?"

Am Grab seiner Frau und seiner Töchter sind QR-Codes angebracht. Sie führen zu Fotos, Videos und Kurzbiografien. Damit die Erinnerungen an Jewhenija, Jaryna, Darija und Emilija Basylewytsch in den Köpfen und Herzen weiterleben können.

Autor: Vassili Golod, ARD-Studio Kiew

Stand: 18.05.2025 21:24 Uhr

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