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Bulgarien: Einmal Prinzessin

PlayEine junge Frau vor Limousinen mit Musikern
Bulgarien: Einmal Prinzessin | Bild: Anna Tillack / BR

7.30 Uhr morgens. Seit heute ist Natalie keine Schülerin mehr. Für die 19-jährige Abiturientin ist dieser Tag einer der wichtigsten in ihrem Leben. Tagelang hat sie mit ihrer Mutter alles vorbereitet – heute will sie einmal Prinzessin sein. Für einen Morgenkaffee ist gerade noch Zeit, gleich hat sie einen Termin für Make-Up und Haare, es soll sein wie in Hollywood. Für das Fest hat Mutter Daniela sich verschuldet: "Mit der ganzen Vorbereitung und der Feier kostet es an die 3000 Euro. Da ist das Restaurant dabei, das Outfit, das Make-Up, der Frisör, all die Accessoires und anderen Details. Das Geld muss man lange Zeit ansparen. Die meisten Leute nehmen dafür einen Kredit auf, so finanzieren wir alles im Leben. Das kann man jedenfalls nicht auf einmal vom Lohn bezahlen."

Ein Kredit fürs Abiturfest

Als Buchhalterin hat Natalies Mutter einen durchschnittlichen Verdienst – in Bulgarien sind das nur rund 500 Euro monatlich. Damit müssen Mutter und Tochter über die Runden kommen. Bulgarien ist eines der ärmsten Länder Europas. Derzeit kann mehr als die Hälfte der Bevölkerung ihre Ausgaben nicht decken.

Dann der Moment, auf den Natalie den ganzen Morgen schon wartet – das Kleid. 400 Euro hat es gekostet. Drei Monate lang hat sie haben sie nach genau diesem gesucht.
Beim Mittagessen mit der Familie wird Natalie reich beschenkt. Auf der Party lässt es sich zwar keiner anmerken, aber viele haben Zukunftsangst. Die wirtschaftlich ohnehin angespannte Situation hat sich durch den Ukraine-Krieg noch verschärft. Die Inflation liegt inzwischen bei 14,4 Prozent.

Natalies Mutter Daniela hat sich für ihre Tochter in Unkosten gestürzt. Die Ausgaben für das Familienfest sind in den letzten Wochen explodiert: "Alles ist teurer geworden, alles, Brot, Käse, Fleisch. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Hähnchenfilet kostete 3,50 Euro pro Kilo, momentan sind es sieben Euro. Vor ein paar Monaten hätte mich das Fest vielleicht die Hälfte gekostet."

Nach dem Essen trifft Natalie ihre Mitschüler. Viele mieten sich extra für diesen Tag ein Auto, man zeigt was man hat, zumindest heute… Vor der orthodoxen Kirche, dem Wahrzeichen Sofias zählen die Abiturientinnen ihre 12 Schuljahre, dann startet die Party.

Die meisten Abiturienten hier auf der Party blicken optimistisch in die Zukunft, obwohl Bulgarien mit starker Abwanderung zu kämpfen hat. In den letzten zehn Jahren ist die Bevölkerung um 12 Prozent geschrumpft, auch weil gerade junge, gebildete Menschen das Land verlassen.

Morgen kommen wieder die Alltagsgedanken, knappes Geld, steigende Preise, neue Nachrichten vom Krieg – jetzt ist aber erstmal Hollywood, zumindest noch heute Nacht.

Autorin: Anna Tillack, ARD Wien

Stand: 12.06.2022 19:55 Uhr

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Bayerischer Rundfunk
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