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Hongkong: Angst vor Peking

PlaySkyline von Hongkong
Hongkong: Angst vor Peking | Bild: NDR / Mario Schmidt

Herrenhaarschnitte, Nassrasuren, wie seit 50 Jahren. Frisör Ko und seine Kunden sind gemeinsam alt geworden. Sie saßen und diskutierten hier schon, als Hongkong noch britische Kronkolonie war. So angespannt wie derzeit war es lange nicht mehr in der Stadt. Die Jugend habe viele Zukunftssorgen, Herr Ko kann sie verstehen: "Sie haben sehr viel Druck, die Lebenshaltungskosten sind zu hoch, die Einkommen zu niedrig", sagt er. "Sie können sich keine eigene Wohnung mehr leisten, das Geld reicht nicht."

Viele Bewohner fühlen sich abgehängt

Menschen in Hongkong
Von Optimismus vergangener Jahre ist in Hongkong nicht mehr viel zu spüren.  | Bild: NDR

Vom Optimismus vergangener Jahre ist nicht mehr viel übrig. Wohnungspreise explodieren. Viele Bewohner fühlen sich abgehängt. Und dann ist da die große Angst vor der kommunistischen Partei Chinas. Nathan Law war einer der Anführer der friedlichen Regenschirmproteste. Vor zwei Jahren besetzten hier überwiegend junge Hongkonger mehrere Wochen Teile des Finanz- und Regierungsviertels. Sie forderten mehr Demokratie. Die Wut richtete sich auch gegen die politische Führung Hongkongs, für die Demonstranten nur noch Marionetten des autoritären Pekings. Mit Regenschirmen wehrten sie sich gegen Tränengas und Polizeischläge.

Der 23-Jährige ist mittlerweile Abgeordneter im Stadtparlament, wo nur ein Teil der Sitze direkt gewählt werden darf. Die Regenschirmproteste haben keine demokratischen Reformen gebracht. Nathan Law will mehr Mitbestimmung in Hongkong, nicht weniger. Doch Pekings Einfluss breite sich immer weiter aus, meint er: "Pekings Regierung ist ganz klar eine Quelle der Unterdrückung. Die Werte, die sie schätzen, zum Beispiel die Nationale Sicherheit, oder das, was China unter Harmonie versteht, das sind nicht die Grundwerte Hongkongs wie Menschenrechte, Freiheit und der Respekt all dieser Bürgerrechte."

Sorge um den Rechtsstaat

Skyline von Hongkong
Der autoritäre Griff Pekings ist in Hongkong immer deutlicher zu spüren. | Bild: Picture Alliance / Sergi Reboredo

Im Alltag spüren die Hongkonger den autoritären Griff Pekings immer deutlicher. Die Medien berichten zurückhaltender, Journalisten üben häufiger Selbstzensur. Dabei gilt eigentlich Pressefreiheit. Kritische Bücher über Pekings Führer erscheinen zwar, auch die eher wenig seriösen sogenannten Enthüllungsbücher. Als aber Mitarbeiter eines Verlages monatelang in China von der Polizei festgehalten wurden, ging ein Schock durch die Gesellschaft, vor allem weil Pekinger Agenten einen Buchhändler mitten aus Hongkong verschleppten.

Auch Anson Chan macht sich seitdem Sorgen um Hongkongs höchstes Gut: den unabhängigen Rechtsstaat. Sie war international lange das politische Gesicht Hongkongs. Anson Chan war die Nummer 2 neben dem letzten britischen Gouverneur. Damals warb sie überall um Vertrauen in die Formel "Ein Land, zwei Systeme". Doch jetzt breche China zu klar die Regeln des Abkommens, sagt sie: "Das ist sehr beängstigend mit den Buchhändlern. Bis dahin dachten die meisten Leute, wir sind in unseren Betten sicher, solange wir keine Hongkonger Gesetze brechen. Aber durch die Buchhändler merkst Du, Du bist nicht sicher in Deinem Bett. Du hast Angst vorm Klopfen um Mitternacht, weil Du nicht weißt, was mit Dir passiert." Auch der Milliardär Xiao Jianhua verschwand jetzt trotz Bodyguards unter mysteriösen Umständen aus diesem Hotel – Richtung Peking, offiziell freiwillig, doch daran glaubt in Hongkong kaum jemand.

"Es gibt Redefreiheit, viele andere Freiheiten"

Frisör Ko
"Es gibt keinen Grund, Angst zu haben", sagt Frisör Ko. | Bild: NDR

Wer ins Visier der kommunistischen Partei Chinas gerät, ist in Hongkong nicht sicher, das meinen sie auch im Salon von Herrn Ko. Aber gefährdet sei doch nur eine kleine Gruppe, heißt es dort. Sie selbst fühlen sich nicht bedroht. Sie kennen noch das China unter Mao – seitdem habe sich doch viel verbessert. China wolle halt Stabilität, wie sie selber auch, und die Studenten, die sollten lieber lernen, und keine Politik machen. "Es gibt keinen Grund, Angst zu haben", sagt der Friseur. "Es gibt Redefreiheit, viele andere Freiheiten. Wenn ich mich in Asien umgucke, dann haben viele Länder weniger Freiheiten als wir in Hongkong."

Ende März wird gewählt

Hongkongs Parlament: Ende März wird hier wieder ein neuer Regierungschef unter mehreren Kandidaten gewählt. Doch nicht vom Volk, sondern von 1200 Vertretern der Gesellschaft – die meisten pekingtreu wie der Abgeordnete Horace Cheung. Auch er sieht die Probleme, spricht aber von Einzelfällen. Es gehe um die richtige Balance zwischen Hongkong und Peking, eine tägliche Herausforderung. Die nächste Führung müsse Vertrauen schaffen, besonders bei den Jungen, aber eben auch ein gutes Verhältnis zu Peking haben. "Die Wirtschaft Hongkongs hängt wesentlich vom Markt der Volksrepublik China ab", sagt er. "Das ist ziemlich wichtig. Wir brauchen die Unterstützung der Zentralregierung, damit wir überhaupt ein Verhandlungsgewicht haben, zum Beispiel bei Handelsvereinbarungen oder anderen internationalen Kooperationen."

Studenten haben Zukunftsängste

Nathan Law
Nathan Law war Mitorganisator der Regenschirmproteste, heute ist er Abgeordneter im Stadtparlament. | Bild: NDR

Am Abend diskutiert Nathan Law mit Studenten über ihre Zukunftsängste. Das Wort hoffnungslos fällt oft. Sie befürchten, auch die nächste Führung Hongkongs werde wieder nur Befehlsempfänger von Chinas Staatschef Xi Jinping sein. Dass Pekings autoritäre Machthaber auf Hongkongs Jugend zugehen – das glaubt hier niemand. "Ich denke, wir werden in Hongkong eine Menge politischer Unterdrückung erleben von der Pekinger Regierung", sagt Nathan Law.

Für die Wahl des neuen Regierungschefs hat Peking schon eine Wunschkandidatin benannt. Frisör Ko könnte mit ihr leben. Denn er hält gute Beziehungen zu Peking für wichtig. Schließlich sei man nun mal auch ein Land.

Autor: Mario Schmidt, ARD-Studio Peking

Stand: 14.07.2019 00:50 Uhr

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