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Iran: Wie die Regionalmacht an Kraft verliert

Demonstranten in Teheran schwenken iranische und Hisbollah-Fahnen
Demonstranten in Teheran schwenken iranische und Hisbollah-Fahnen | Bild: picture alliance/dpa/AP | Vahid Salemi

Jahrzehntelang baute der Iran seine Macht in den Nachbarstaaten aus. Die Taktik: Unterstützung sogenannter Proxies, militärische nichtstaatliche Gruppen. Jahrelang ging das gut: die Hisbollah, Freischärler im Irak, die Huthis im Jemen und auch ein Staat war dabei, Syrien. In weniger als zwei Jahren löste sich dieser "Schiitische Halbmond" fast vollständig auf. Iran war keine schlagkräftige Regionalmacht mehr. Aber heißt das, dass die verbündeten Proxies ganz ausgeschaltet sind? Muss man mit ihnen noch rechnen?

Iran baut ein Netz von Verbündeten auf

2003, die Geburtsstunde des mächtigen Iran. Nach 9/11 gehen die USA nicht nur gegen die Terroristen von Al-Kaida in Afghanistan vor, sondern stürzen Saddam Hussein, den irakischen Präsidenten – zur übergroßen Freude Teherans. "Saddam Hussein zu beseitigen hieß, den bedeutendsten Gegner des Iran zu beseitigen", sagt die Geheimdienst- und Iranexpertin Sima Shine. Ausgerechnet die USA verleihen dem Iran Flügel, der sich nun peu à peu zur Regionalmacht mausert. Der Iran erschafft ein Geflecht von Verbündeten: neben der Hamas im Gazastreifen vor allem die libanesische Hisbollah, die er mit Waffen versorgt. Und jetzt kommt auch der Irak dazu, Verbündeter Nummer drei. Denn die Mehrheit der Irakerinnen und Iraker sind Schiiten, wie die Iraner. Und die schiitischen Milizen im Irak folgen nun bereitwillig den Befehlen der Mullahs. Der Irak wird also von Teheran praktisch vereinnahmt.

Fahrzeuge mit Raketen auf Militärparade der Huthi im Jemen
Militärparade der Huthi im Jemen | Bild: SWR

Ende 2011 beginnt der Bürgerkrieg in Syrien. Präsident al-Assad schlägt die Aufstände blutig nieder, ist aber zu schwach, Syrien wieder ganz unter seine Kontrolle zu bringen. Assads Helfershelfer sind: die Hisbollah, ferner Wladimir Putin, der Zivilisten mit Fassbomben töten lässt und schließlich – der Iran. Syrien ist dankbar und wird zu Irans Partner Nummer vier. Die Bäume Teherans scheinen in den Himmel zu wachsen. Auch Syrien ist jetzt Teil des zusammenhängenden, von Teheran dominierten Machtblocks, der sogar einen eigenen Namen bekommt: der schiitische Halbmond. Der Iran – auf der Siegerstraße. Die Mullahs rüsten außerdem die ebenfalls schiitischen Huthis im Jemen hoch. Ihre Raketen, Cruise Missiles und Drohnen können jede Stadt in Israel treffen – und tun es auch. Niemals war der Iran mächtiger als zu Beginn der 2020er Jahre. Der Machtzuwachs der Mullahs – mit nunmehr fünf Verbündeten – scheint zu diesem Zeitpunkt unaufhaltsam zu sein.

Niedergang der "Achse des Widerstands"

Doch dann kommt der 07. Oktober 2023. Eine Zäsur von weltgeschichtlicher Dimension. Die Hamas überfällt Israelis in Grenznähe zum Gazastreifen. Israel rächt sich mit alttestamentarischer Härte: unverhältnismäßig, sagen Kritiker. Als ob für jedes zerstörte Haus in Israel ein ganzer Straßenzug in Gaza zerbombt wird. Als die Hisbollah vom Libanon aus ihre Raketen auf Israel abfeuert, natürlich auf Geheiß Teherans, schlägt Israel auch hier zurück. Hassan Nasrallah wird getötet, Teherans Statthalter im Libanon. Zeitenwende – der Iran verliert einen seiner wichtigsten Waffenbrüder. "Als es die südlichen Vororte von Beirut bombardierte, gelang es Israel, Nasrallah zu töten und die Hisbollah zu schlagen", sagt Islamexperte Gilles Kepel. "Heute ist die Hisbollah also militärisch zerstört. Und das ist ein gigantischer Umbruch." Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Durch die Niederlage der Hisbollah gerät auch das syrische Regime ins Trudeln, nachdem alle seine Unterstützer geschwächt sind.

2024. Syrische Milizen der HTS, unterstützt von der Türkei, erobern Ende letzten Jahres, fast ohne Gegenwehr der syrischen Armee, eine Großstadt nach der anderen. Assad stürzt und flieht nach Moskau. Zunächst bricht der Libanon weg, dann auch Syrien. Das Kartenhaus der iranischen Großmachtstellung stürzt ein. Der schiitische Halbmond löst sich auf. "So viel Unterstützung ist seitens Irans in dieses Regime von Assad geflossen. Und im Prinzip hat der Iran dafür nichts wieder bekommen", so die Syrien-Expertin Bente Scheller. "Ich glaube nicht, dass Iran jemals so schwach war wie heute und vor allen Dingen so öffentlich und ersichtlich schwach."

Der iranische Präsident Peseschkian bei einer Rede
Irans Präsident Peseschkian sieht den Einfluss seiner Verbündeten schwinden  | Bild: SWR

10. Februar 2025. Revolutionsfeier in Teheran. Die Sätze von Präsident Peseschkian wirken wie hölzerne Durchhalteparolen, die Feierlichkeiten ziehen nur noch eingefleischte Regimeanhänger an. Und das war BEVOR Israel die wichtigsten iranischen Verteidigungslinien und sein Nuklearprogramm zerstören konnte.

16. Juni 2025. Der israelische Premier scheint vor Kraft kaum laufen zu können. Er hat nach dem Kriegseintritt der USA heute Nacht das erreicht, was er seit vielen Jahren angestrebt hatte: die Niederlage seines schärfsten Gegners. "Wir sind dabei, das Antlitz der ganzen Region zu verändern", sagt Benjamin Netanjahu. "Das kann weitreichende Folgen haben, auch für den Iran." Netanyahu will offenbar die ganze Region dominieren, nicht nur militärisch. Aber: ist der Iran schon wirklich am Ende? Oder kann sein Netzwerk im schiitischen Halbmond Israel doch noch gefährlich werden?

Autor: Thomas Aders

Stand: 22.06.2025 20:53 Uhr

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