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Iran: Zivilisten sterben bei israelischen Angriffen

Iran: Zivilisten sterben bei israelischen Angriffen | Bild: picture alliance/dpa/AP | Vahid Salemi

Das israelische Militär greift nach eigenen Angaben im Iran lediglich militärische Ziele, Führungsfiguren des Regimes und Nuklearstandorte an. Doch bei den Angriffen sterben auch Zivilisten. Die Menschenrechtsorganisation Hengaw zählt nach einer Woche Krieg 86 getötete Zivilisten, darunter 21 Kinder. Auch iranische Behörden teilen Namen und Fotos getöteter Zivilisten. Ihr Schicksal gerät derzeit dennoch nur schwer an die Öffentlichkeit: Angehörige der Getöteten verlieren aufgrund von Internetbeschränkungen Kontakt zur Welt außerhalb des Iran. Und die Angst, sich zu äußern, ist groß.

Angriff auf Teheran: "Jede Nacht war die Hölle"

Vor wenigen Tagen an der türkisch-iranischen Grenze. Narin hat es geschafft. Raus aus dem Iran. Sie ist gerade zu Besuch bei ihrer Familie in Teheran, als die israelischen Angriffe beginnen. "Es ist beängstigend. Mitten in der Nacht, wie ein Gewitter, man weiß nicht, was los ist, es geht einfach immer weiter und weiter." Ihre Mutter und ihre Schwester bleiben im Iran. Narin will zurück nach Kanada, wo sie studiert und ihr Partner auf sie wartet.  Auch wir verlassen die Grenze. Werden Narin später aber wiedertreffen. Dann wird sie uns mehr erzählen, was sie in den Tagen im Iran erlebt hat. Dort greift das israelische Militär von Beginn an auch Ziele in iranischen Städten an, v.a. in der Hauptstadt Teheran. Bewohner werden vom israelischen Militär aufgefordert, Gebiete zu verlassen. Veröffentlicht allerdings über soziale Netzwerke. Und das obwohl kaum ein Iraner darauf aktuell zugreifen kann, denn das iranische Regime schränkt das Internet stark ein, legt es zwischenzeitlich komplett lahm.  

Feuerwehr-Drehleiter und Arbeiter mit Besen bei Aufräumarbeiten
Aufräumarbeiten nach einem israelischen Angriff  | Bild: SWR

Davon berichtet uns auch Narin, die wir zufällig in Istanbul auf der Rückreise wiedertreffen. Mehrere Tage konnte sie außerhalb des Irans niemanden erreichen, hatte keinerlei Zugriff auf Apps. Jede Nacht war die Hölle, sagt sie. Spricht von stundenlangen Explosionen und Angriffen. Konntest du dir die Zerstörung selbst anschauen? "Nein, ich hatte solche Angst, rauszugehen, konnte nicht einmal durchs Fenster schauen. Ich bin nicht in die Nähe der Angriffssorte gegangen. Aber vor zwei Tagen, als ich beschloss, das Land zu verlassen, da ging ich los, um Dinge wie Safran und Pistazien zu kaufen. Ich sah den Rauch in verschiedenen Stadtteilen. Es war so schlimm." 

 Zivilisten als "Kollateralschäden"

Aufnahmen von Opfern dringen selten aus dem Iran. Doch auf Social Media entdecken wir Fotos, sie sollen getötete Zivilisten zeigen. Besonders häufig sie: Parnia Abbasi. Lyrikerin und Englischlehrerin. Awyer Shekhi, von der Menschrechtsorganisation hengaw, sammelt dazu Beweise. Zwar überwiege die Zahl der getöteten Militärs, aber bis jetzt haben sie und ihre Kollegen bereits 98 Fälle getöteter Zivilisten dokumentiert, die Dunkelziffer vermutlich höher. Die Lyrikerin Parnia Abbasi soll eine der Ersten gewesen sein. Und sie starb nicht allein. "Ihre gesamte Familie wurde getötet. Parnia war Englischlehrerin und sie war auch eine Dichterin, veröffentlichte ihre Gedichte bei einem Verlag in Teheran."

Lyrikerin Parnia Abbasi
Die Lyrikerin Parnia Abbasi ist bei einem Angriff ums Leben gekommen | Bild: SWR

Awyer und ihre Kollegen recherchieren in Parnias Umfeld, kontaktieren Freunde. Die Familie soll keine Verbindungen zur iranischen Führung oder Nuklearwissenschaftlern gehabt haben. Nach Informationen der Organisation hengaw und weiterer Quellen vor Ort stirbt die Familie in dem Stadtviertel Sattarkhan in Teheran.  Nach ARD-Informationen in diesem Wohnkomplex. Auch der amerikanische Sender CNN nennt diesen Ort, beruft sich auf geleakte Dokumente. Ziel des Angriffs war ein Nuklearwissenschaftler, er soll im gleichen Wohnkomplex gewohnt haben wie Parnia und ihre gesamte Familie. Dort wurde noch mindestens ein weiterer Zivilist getötet. Das bestätigen uns Angehörige, die Aufnahmen davon auf Instagram veröffentlichen. Aber nicht vor der Kamera sprechen wollen. 

Die Aufnahmen zeigen eine Leiter und eine direkt daneben abgebrochene Fassade – genau diese Details entdecken wir auch in Aufnahmen einer iranischen Nachrichtenagentur, die eines der Angriffsziele zeigen soll. Wir sind uns sicher: das gleiche Haus. Um einschätzen zu lassen, wie hier vorgegangen wurde, telefonieren wir mit einem Militäranalysten der Bundeswehruniversität München. Er sagt: Das Haus wurde durch eine Fliegerbombe zerstört, und zwar eine so schwere Bombe, die sicherstelle, dass die Zielperson auch wirklich stirbt. Sogenannte “Kollateralschäden” seien in dem Fall für die israelische Luftwaffe zu erwarten und einkalkuliert gewesen. 

Iran unterdrückt Informationen

Wir konfrontieren das israelische Militär mit dem Angriff und unseren Recherchen, dass dort mindestens fünf unbeteiligte Zivilisten ums Leben gekommen sind. Die Antwort: Die Armee wende den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei jedem Angriff an. Wir haben Angehörige und Freunde von Getöteten kontaktiert. Vor der Kamera sprechen will niemand. Warum, erzählt uns die Menschrechtsorganisation hengaw. "Wir haben Informationen, dass das Regime Druck auf die Familien der Opfer ausübt, nicht über ihre getöteten Angehörigen zu sprechen, keine Informationen über sie weiterzugeben", sagt Awyer Shkeki.  Warum das so ist, bleibt fraglich. Fest steht: Bei den israelischen Angriffen sterben Zivilisten – wie Dichterin Parnia.

Frau in hellblauem Shirt sitz in Auto
Narin sorgt sich um ihre Familie im Iran  | Bild: SWR

Auch Narin hat große Sorgen um ihre Familie, die im Iran zurückbleibt. Ihre Mutter und Schwester sind mit ihr noch bis an die Grenze gebracht. "Ich habe sie umarmt und ihnen gesagt, dass ich sie so schnell wie möglich wiedersehen möchte, dass es allen gut gehen wird und dass nichts passieren wird." Ihre Hoffnung scheint nun erstmal in noch weitere Ferne gerückt. Wenige Tage nach unserem Treffen greifen auch die USA Ziele im Iran an.  

Autorinnen: Nadja Armbrust und Katharina Willinger, ARD-Studio Istanbul

Stand: 23.06.2025 15:28 Uhr

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