So., 15.06.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Myanmar: Entführt von der Cybermafia

Es sollte ein Karrieresprung werden. Das Jobangebot klang vielversprechend. Ankunft am Flughafen Bangkok in Thailand nach zehn Stunden Flug aus Nairobi in Kenia. Und bis hierhin fühlt sich auch alles noch gut an für den 30-jährigen James. Der neue Arbeitgeber schickt extra einen Fahrer zum Flughafen: "Ich sollte Küchenchef werden. Ich bin gelernter Koch, und deshalb war klar, dass ich in Bangkok als Koch, als Chefkoch arbeiten würde."
Doch die Fahrt dauert stundenlang. Er bekommt ein ungutes Gefühl und filmt mit dem Handy den Fahrer und die Gegend. Er filmt seine eigene Entführung.
Verschleppt nach Myanmar
Er wird verschleppt ins Nachbarland Myanmar, landet in einem sogenannten Betrugszentrum. Den Pass muss er abgeben, auch sein Handy. Er hat ein zweites, das versteckt er. Von jetzt an muss er täglich Menschen betrügen, vom Computer aus: "Wir haben Fake-Profile von Frauen benutzt und dabei vorgetäuscht, eine Business Lady, eine Geschäftsfrau zu sein. Wir haben ihnen gezeigt, wie sie Geld investieren sollen, um reicher zu werden. Und sie haben uns vertraut, weil wir ja reich waren. Es gab für sie keinen Grund, uns nicht zu vertrauen."
In der Corona-Pandemie und danach hatte sich die Betrugsindustrie rundum Myanmar ausgebreitet. Damals waren es vor allem Opfer aus der Region, aus China, Thailand, Laos und Kambodscha. Mittlerweile werden sie von überall aus der Welt rekrutiert.
Stéphanie Baroud arbeitet bei Interpol in der Abteilung Menschenhandel. Sie spricht von einer global wachsenden Gefahr: "Unsere Schätzungen haben ergeben, das hunderttausende Opfer aus über 65 Ländern weltweit in diese Region in Südostasien verschleppt wurden mit finanziellen Verlusten von mehreren Milliarden Dollar."
Opfer Aryan
Auch Aryans Leben hat nach einem Jobangebot eine dramatische Wendung genommen. Wir treffen den Mann aus Bangladesch. Er hat ein Martyrium hinter sich. Auch er musste unter Zwang andere Menschen betrügen: "Wir haben Essen bekommen und gearbeitet. Wir durften nicht mit unseren Familien sprechen oder das Gelände verlassen, nur arbeiten."
Wer steckt dahinter? Dieser Grenzübergang führt von Thailand rüber nach Myanmar. Die meisten hier wissen, dass auf der anderen Seite ein rechtsfreier Raum ist. Myanmar ist Bürgerkriegsland. In diesem Chaos hat sich die chinesische Mafia breit gemacht, vor allem chinesische Kriminelle bauen und betreiben die lukrativen Betrugszentren.
Den Opfern zu helfen, ist eine sehr riskante und schwierige Aufgabe. Wo Behörden versagen, da steigt Jay mit ihrer Hilfsorganisation ein. Auch James hatte sich bei der Thailänderin gemeldet. Sie organisiert Hilfe, kontaktiert die Polizei und die Botschaften der Länder, aus denen die Opfer kommen. Sie hat Verbindungen auch in Myanmar. Jay bleibt oft nachts wach, wenn die geheimen Nachrichten kommen. Bei Jay gehen täglich Hilferufe ein, manchmal 100. Sie dokumentiert alle Fälle, bittet die Opfer um Beweisfotos aus den Betrugszentren, auch wenn das gefährlich ist. Es kann ihnen später helfen.
James hat es geschafft. Er ist zurück in Kenia nach vier Monaten als Betrugssklave, seine Flucht geglückt. Als er seine Aussage macht bei der thailändischen Polizei unterstützt ihn Jay. Sein Albtraum: vorbei. Aber es werden weiter von überall auf der Welt Menschen angelockt, betrogen, um andere zu betrügen.
Christiane Justus, ARD Singapur
Stand: 16.06.2025 00:44 Uhr
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