SENDETERMIN So., 29.03.20 | 19:25 Uhr | Das Erste

Spanien: Helden des Alltags

PlayEin Fischhändler hinter seiner Theke
Spanien: Helden des Alltags | Bild: NDR

Es sind kleine Gesten, die in diesen Tagen den Menschen in Spaniens Hauptstadt Madrid Mut machen und den Zusammenhalt stärken: Wieder sind sie an ihren Fenstern und auf den Balkonen zum täglichen Applaus für das Krankenhauspersonal. Mittlerweile ist es auch eine Gelegenheit, mal nach den Nachbarn zu schauen. Für Carmen Garrido ist es tröstlich zu sehen, dass da draußen überhaupt noch jemand ist. Sie ist 73, hat Diabetes und darf jetzt gar nicht mehr aus dem Haus. "Manchmal denke ich: Wo sind bloß all die Leute hin? Das ist wirklich, als ob hier eine Atombombe eingeschlagen hätte. Als ob alle von diesem Planeten verschwunden wären."

Fischlieferung an die Haustür

Ein Fischhändler hinter seiner Theke
Den älteren Kunden bringt dieser Fischhändler die Ware nach Hause. | Bild: NDR

Javier Ramos hat viele Kunden wie Carmen. Sein Fischladen ist in Zeiten von Corona nur noch ein paar Stunden pro Tag geöffnet. Aber ganz dicht machen will er nicht. Javier führt das Geschäft in der vierten Generation. Ein Familienunternehmen, seit 1936 im Viertel. Er kennt fast alle Kunden persönlich – undenkbar, sie jetzt im Stich zu lassen: "Wir sind hier im Viertel wie eine Familie. Viele haben mich schon gekannt, als ich noch klein war. Wir duzen uns, und in der Situation jetzt ist es wichtig, auch mal einen Schwatz zu halten und für gute Laune zu sorgen."


Und für die, die gar nicht mehr kommen können, gibt es Javiers Gehilfe Kike. Er macht sich auf die Mittagstour zum Ausliefern. An einen alten Herrn zum Beispiel, der um die Ecke lebt und der kein Fleisch verträgt. Heute hat Kike eine Portion Seehecht für ihn. Auf dem Tisch im Hausflur liegt schon das Trinkgeld. "Er ist ein sehr guter Kunde, der eigentlich jeden Tag Fisch kauft. Und für Menschen wie ihn bieten wir diesen Service – irgendetwas müssen sie ja essen", sagt Kike Álvarez.
Bis 14.30 Uhr ist der Laden geöffnet. Danach gibt es sowieso nichts mehr zu verkaufen – die Lieferungen aus Frankreich und Marokko sind komplett eingestellt. Bis Mai, sagt Javier, kommt er so noch halbwegs über die Runden. Danach wird es eng.

Für Spanier heißt Leben: draußen sein, Zusammensein mit anderen. Und weil das jetzt nun mal nicht mehr geht, machen sie sich eben auf Distanz Mut. Polizisten in Madrid fahren nach der Schicht vors Krankenhaus – Polizeisirenen an für Ärzte, Ärztinnen, Pfleger und Krankenschwestern. Und die revanchieren sich mit einer Gesangseinlage. "Resistiré" – eine etwas angestaubte Pop-Hymne, die plötzlich wieder in Mode ist. "Resistiré" heißt: "Ich halte durch".

Tapas-Essen in einer Videokonferenz

Mehrere Frauen in einer Videokonferenz.
Gegen den Lagerkoller hilft ein kleines Stück aus dem alten Leben. | Bild: NDR

Sofia Cabral hat für ihre Freundinnen ein gemeinsames Tapas-Essen organisiert. Die "Copita", das Gläschen nach Feierabend, fehlt allen schrecklich – sie arbeiten jetzt nur noch von zu Hause. Gegen den Lagerkoller hilft ein kleines Stück aus dem alten Leben. Schinken, Rotwein – alles wie sonst, nur angestoßen wird per Videokonferenz. "So eine Ausgangssperre ist für alle hart – aber für uns Spanier ist es eine echte Feuerprobe. Es ist jetzt nicht dasselbe per Video, aber wir kommen uns schon ziemlich nah. Zusammen essen gehen, mal über was anderes reden als die Arbeit – das fehlt", sagen die drei Frauen.

Carmen Garrido ist lieber auf ihrer Terrasse – da ist man den Nachbarn irgendwie näher. Und es gibt was zu feiern. Virgilio aus dem Nebenhaus hat Geburtstag. In normalen Zeiten hätten sie bei ihm oben ein Gläschen geleert. Aber jetzt muss es halt mal so gehen – ist ja nicht für immer. "Du wirst schon sehen: Wenn wir wieder raus dürfen, machen wir ordentlich Krach. Wir Spanier sind ja gerne laut", sagt Carmen.

Man muss einfach rückwärts zählen, sagen sich die Nachbarn. Jeder Tag, der vorbeigeht, ist ein Tag weniger Ausgangssperre. Und irgendwann werden sie schon noch kommen – die Zeiten, in denen Madrid wieder ganz die alte ist.

Autorin: Natalia Bachmayer, ARD Studio Madrid

Stand: 29.03.2020 19:38 Uhr

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