Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 09.05.2023

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Nikolaus Blome, Valerie Niehaus, Joachim Gauck, Tina Hassel
Die Gäste (v.l.n.r.): Nikolaus Blome, Valerie Niehaus, Joachim Gauck, Tina Hassel | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Würden durch ein Tempolimit mehr Autos durch die Ortschaften fahren?

Würden durch ein Tempolimit mehr Autos durch die Ortschaften fahren?

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) betonte in unserer Sendung, dass die Ampel-Regierung kein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen einführen werde. Zur Begründung führte er u.a. eine Analyse des Umweltbundesamts an, wonach eine solche Geschwindigkeitsbegrenzung dazu führen würde, dass der Verkehr vermehrt durch die Ortschaften fließen würde. 

Streit ums Tempolimit: Welchen Effekt hätte Tempo 120 für die Ortschaften?

Maischberger: "Die Mehrheit der Deutschen ist mittlerweile für ein Tempolimit, sogar Menschen, bei denen man das nicht erwartet hat. Hier ist eine Umfrage der Mitglieder des ADAC, und da kann man ganz gut sehen, wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat. Also, im Jahre 2000 etwa sehen Sie, die Mehrheit ist immer noch gegen das Tempolimit, und je weiter wir in die Jetzt-Zeit kommen – ab 2014 kehrt sich das komplett um und dann sind es 52 Prozent für ein Tempolimit, und 44 Prozent dagegen. Wie gesagt, ADAC-Mitglieder, also echte, echte Autofans. Wann machen Sie Politik für die Mehrheit?"

Wissing: "Naja, zunächst einmal zeigt das ja, dass die Gesellschaft in dieser Frage weitgehend gespalten ist, und es ist eine Maßnahme, die wenig Klimaschutz bringt und die die Gesellschaft maximal aufwiegelt. Und deswegen haben wir uns darauf im Koalitionsvertrag nicht verständigt, und deswegen gehen wir ganz andere Schritte, wir gehen große Schritte beim Klimaschutz. Übrigens, das Umweltbundesamt hat beim Tempolimit festgestellt, dass ein Tempolimit, wenn es beispielsweise 100 km/h ist oder 120 km/h, dass das Tempolimit dazu führt, dass Verkehre sich von der Autobahn wieder entfernen, durch die Ortschaften fahren. Das ist auch keine gute Prognose für die Bürgerinnen und Bürger, die dann wieder mehr Verkehrslärm haben. Denn wir haben ja diese Umgehungsstraßen und die Autobahnen mal gebaut, damit die Verkehre aus den Ortschaften rauskommen, und insofern – wir werden kein Tempolimit machen."

Stimmt das? Würden durch ein Tempolimit mehr Autos durch die Ortschaften fahren?

Im Januar 2023 veröffentlichte das Umweltbundesamt (UBA) einen Bericht mit dem Titel "Flüssiger Verkehr für Klimaschutz und Luftreinhaltung". Darin wird u.a. modelliert, wie sich ein allgemeines Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen auf die Routenwahl der Verkehrsteilnehmer auswirken würde. Tatsächlich stellen die Autoren fest, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung eine Verlagerung des Verkehrs ins sogenannte "untergeordnete Netz" zur Folge hätte. Konkret bedeutet das: Autofahrer würden vermehrt auf Landstraßen ausweichen, weil die Autobahn durch die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit an Schnelligkeit und somit an Attraktivität verliert. Das UBA geht dabei von einer Verlagerung um etwa 1 Prozent aus. Davon nicht betroffen seien schwere Nutzfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mindestens 3,5 Tonnen. Da für solche Fahrzeuge schon jetzt eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gilt, verliert die Autobahn für sie nicht an Attraktivität. 

Die Autoren gehen dabei auch explizit auf die möglicherweise als negativ empfundenen Effekte für die Bewohner der zu durchfahrenden Ortschaften ein. "In vielen Fällen", so heißt es, "werden diese Verlagerungen in das untergeordnete Netz und damit in sensiblere Gebiete als unerwünscht angesehen werden. Solche Mehrbelastungen sollten überprüft und ggf. lokal Gegenmaßnahmen bzw. generelle netzgestalterische Maßnahmen ergriffen werden."

Als mögliche Ausgleichsmaßnahme wird in der weiteren Analyse eine zusätzliche Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit außerorts von 100 km/h auf 80 km/h beschrieben. In diesem Szenario wäre der Verlagerungseffekt ins untergeordnete Netz zwar weiterhin vorhanden, jedoch nur noch gering ausgeprägt (0,3 Prozent mehr Fahrleistung auf anderen Straßen im Vergleich zu 1,0 Prozent bei einem ausschließlichen Tempolimit auf Autobahnen).

In einer Kurzstudie aus dem Februar 2023 kritisieren zwei Forscher der Zeppelin Universität Friedrichshafen und der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer die Methodik der UBA-Studie. Ein reines Autobahn-Tempolimit müsse nicht zwangsläufig zu einer Verlagerung auf die Landstraßen führen, so die Autoren. Dass Autofahrer bei den Ortsdurchfahrten oft auch mit Tempo-30-Zonen und Ampeln konfrontiert wären, werde in der UBA-Studie nicht hinreichend berücksichtigt. Auch sogenannte Habitualisierungseffekte, also Gewohnheitsmuster, die vor allem Pendler im Laufe der Zeit ausbilden, müssten stärker beachtet werden. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass die gewohnte Autobahnroute auch bei einem Tempolimit wie üblich weiter befahren würde, da "menschliches Verkehrsverhalten grundsätzlich stark gewohnheitsgetrieben" sei.

Das Potenzial, durch Tempolimits Treibhausgase zu sparen, liegt laut UBA deutlich höher, als man in den zurückliegenden Jahren angenommen hat. Ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen könnte die Emissionen des deutschen Straßenverkehrs um 4,2 Prozent (rund 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr, bezogen auf das Jahr 2018) reduzieren. Mit zusätzlich Tempo 80 auf Außerortsstraßen wäre insgesamt eine Minderung von 5,1 Prozent beziehungsweise bis zu rund 8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr möglich. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht davon aus, dass bei einem Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen etwa 11,1 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten. 

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa aus der ersten Mai-Woche 2023 sprechen sich 54 Prozent der Bundesbürger für ein generelles Tempolimit von 120 km/h auf deutschen Autobahnen aus. 44 Prozent fänden eine solche Begrenzung nicht richtig. 

Fazit: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) führte als Argument gegen das Tempolimit eine Analyse des Umweltbundesamts (UBA) an, wonach eine solche Geschwindigkeitsbegrenzung dazu führen würde, dass der Verkehr vermehrt durch die Ortschaften fließen würde. Tatsächlich prognostizierte das UBA im Januar 2023, dass sich der Verkehr im Falle eines generellen Tempolimits von 120 km/h um etwa 1 Prozent von den Autobahnen auf die untergeordneten Straßennetze, also vor allem Landstraßen, verlagern würde. Um die Mehrbelastung der betroffenen Ortschaften abzufedern, empfiehlt das UBA entsprechende Gegenmaßnahmen. Ein zusätzliches Tempolimit von 80 km/h auf Außerortsstraßen z.B. könnte die Verlagerung laut UBA-Modellierungen auf 0,3 Prozent begrenzen. Kritiker der Studie bemängeln, dass entscheidende Faktoren, wie z.B. die Gewohnheiten der Autofahrer, nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Die Verlagerung könnte demnach auch bei einem reinen Autobahn-Tempolimit geringer ausfallen. 

Stand: 10.05.2023

Autor: Tim Berressem