Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 06.03.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Norbert Röttgen, Ralf Stegner
Die Gäste (v.l.n.r.): Norbert Röttgen, Ralf Stegner | Bild: WDR

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Hat der Bundeskanzler sein Nein zu Taurus-Lieferungen damit begründet, dass hierfür eine Beteiligung deutscher Soldaten notwendig wäre?

Hat der Bundeskanzler sein Nein zu Taurus-Lieferungen damit begründet, dass hierfür eine Beteiligung deutscher Soldaten notwendig wäre?

Norbert Röttgen (CDU) und Ralf Stegner (SPD) diskutierten in der Sendung über die Absage des Bundeskanzlers, Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern. Röttgen erklärte Scholz’ Argumentation, dass eine Lieferung nicht möglich sei, weil deutsche Soldaten zur Programmierung des Marschflugkörpers eingesetzt werden müssten, für nicht stichhaltig. Der CDU-Politiker verwies auf das geleakte Gespräch deutscher Bundeswehroffiziere, die dieser Argumentation widersprechen. Ralf Stegner hingegen betonte, der Kanzler habe nicht gesagt, ein Einsatz des Taurus sei technisch nur mit Hilfe deutscher Soldaten möglich.

Diskussion um Taurus: Wie begründet der Kanzler sein Nein? | Video verfügbar bis 06.03.2025

Röttgen: "Der oberste Luftwaffengeneral und andere Offiziere widerlegen in diesem Gespräch den Bundeskanzler. Beide Aussagen sind unvereinbar, und daraus folgt auch, dass der Bundeskanzler die Unwahrheit gesagt hat."

(…)

Maischberger: "Der Bundeskanzler hat gesagt, man braucht Soldaten in der Ukraine, um den Taurus zu bedienen. Diese Generäle, also diese vier, sagen, es ginge. Also die Zielgenauigkeit wäre vielleicht nicht die gleiche, aber es ginge auch ohne Soldaten. Deswegen doch noch mal die Frage, das ist jetzt kein innenpolitisches Spiel: Hat der Kanzler die Unwahrheit gesagt?"

Stegner: "Nein, der Bundeskanzler hat sich anders ausgedrückt. Er hat sich zunächst mal zu der Sache öffentlich nicht geäußert, weil man eigentlich sich über Strategien nicht öffentlich äußert, dann sind es nämlich keine. Das muss man sagen."

Maischberger: "Dann hat er es aber getan."

Stegner: "Und dann ist er gefragt worden und hat im Kontext mit dem, was ich gerade berichtet habe, was kritisiert worden ist, gesagt: Wir werden nicht ins Eskalationsrisiko steigen und ich sorge dafür, dass wir nicht Kriegspartei werden. Und er sieht Risiken, die andere nicht sehen. Das kann man unterschiedlich beurteilen. Er hat nicht die Aussage gemacht, es geht nicht. So hat er sich nicht –"

Röttgen: "Doch. Doch."

Stegner: "Entschuldigung, der Bundeskanzler –"

Röttgen: "Herr Stegner, ich hab’s dabei, was er gesagt hat. Ich bin bereit, es vorzulesen."

Stegner: "Ich weiß, was er gesagt hat."

Röttgen: "Ich hol’s gleich raus, wenn Sie es weiter so machen."

Stegner: "Das müssen Sie nicht tun. Er hat von Beteiligung an Zielführung gesprochen. (…) Der Bundeskanzler hat sich zu der technischen Frage nicht im Detail geäußert."

Maischberger: "Er hat gesagt, er möchte nicht, dass deutsche Soldaten daran beteiligt sind."

Stegner: "Er hat von Beteiligung an Zielführung gesprochen. Wie dem auch immer sei, ich finde die Frage –"

Maischberger: "Nee, nee, nicht wie auch immer. Nee, das geht nicht, Herr Stegner."

Stegner: "Wieso geht das nicht?"

Maischberger: "Nee, weil es wichtig ist, ob ein Bundeskanzler in der Öffentlichkeit die Wahrheit sagt oder nicht."

Stegner: "Er sagt die Wahrheit."

Maischberger: "Okay."

Stegner: "Er sagt die Wahrheit. Er hat sich nicht zu – es ist eine politische Frage am Ende. Die hat auch technische Komponenten. Es geht darum, sind deutsche Soldaten beteiligt? Ich verstehe davon übrigens nicht genug, um das technisch erklären zu können."

(…)

Maischberger: "Hat der Bundeskanzler in diesem Fall jetzt eben auch der Öffentlichkeit gegenüber eine falsche Spur gelegt? Ich möchte es mal so formulieren."

Stegner: "Das hat er nicht."

Maischberger: "Sagen Sie’s (gemeint ist Norbert Röttgen, Anm. d. Red.)."

Röttgen: "Ja, er hat es ganz eindeutig, weil der Bundeskanzler gesagt hat, dass es ausgeschlossen ist, dass deutsche Soldaten – ob in der Ukraine oder in Deutschland – für die Zielerfassung und Begleitung der Zielerfassung des Taurus zum Einsatz kommen. Dies sei aber notwendig, und so machten es auch die Briten und Franzosen, das hat er nebenbei dabei offengelegt, und das komme für Deutschland nicht in Frage. Und darum hat er wegen dieser technischen Situation – deutsche Soldaten müssen bei der Zielerfassung beteiligt sein, und weil das so ist, kommt der Taurus nicht in Frage. Er hat da diese technische Begründung benutzt, um Taurus-Lieferungen kategorisch auszuschließen. Das hat er getan. Und das steht im Gegensatz zu der Aussage der Offiziere und des Generals, dass dies nicht notwendig ist."

Stimmt das? Hat der Bundeskanzler sein Nein zu Taurus-Lieferungen damit begründet, dass hierfür eine Beteiligung deutscher Soldaten notwendig wäre?

Um sich dieser Frage zu nähern, sind vor allem drei zentrale Quellen zu beachten.

1. Olaf Scholz’ Begründung für seine Ablehnung des Taurus auf der dpa-Chefredaktionskonferenz am 26.2.2024. Bei diesem Termin, der nicht im vollständigen Wortlaut veröffentlicht ist, sagte der Kanzler folgendes:

"Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland."

"Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden."

Auch soll er geäußert haben, dass ein Taurus-Einsatz grundsätzlich mit einer Beteiligung des eigenen deutschen Personals – entweder vor Ort in der Ukraine oder in Deutschland – verbunden wäre. Deshalb komme dies für ihn derzeit nicht in Frage.

2. Olaf Scholz’ Äußerungen auf einem Termin in einer Berufsschule in Sindelfingen am 4.3.2024. "Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann", sagte Scholz hier wörtlich. "Und wenn man die Kontrolle haben will und das nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlossen." Und schließlich: "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das."

3. Ein abgehörtes Telefonat zwischen dem Generalleutnant der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, und drei hochrangigen Bundeswehroffizieren, das am 19.2.2024 stattgefunden haben soll und Anfang März von der russischen Propaganda-Plattform RT veröffentlicht wurde. Die Gesprächsteilnehmer kommen darin zu dem Ergebnis, dass ein Einsatz des Taurus technisch gesehen auch ohne deutsche Beteiligung möglich wäre.

Wie argumentiert Scholz gegen den Taurus?

Bereits im Oktober 2023 hatte Bundeskanzler Olaf Scholz entschieden, vorerst keine Marschflugkörper vom Typ Taurus in die Ukraine zu schicken. Eine öffentliche Begründung dafür gab er damals nicht. Ende Februar 2024 äußerte sich der Kanzler dann erstmals ausführlicher zu dem Entschluss. Auf der dpa-Chefredaktionskonferenz am 26.2.2024 bekräftigte er sein Nein zum Taurus und begründete dies mit dem Risiko einer Verwicklung Deutschlands in den Krieg. "Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland", so Scholz. Aus seiner Sicht wäre ein Taurus-Einsatz aber grundsätzlich mit einer Beteiligung des eigenen deutschen Personals – entweder vor Ort in der Ukraine oder in Deutschland – verbunden. Deshalb komme dies derzeit nicht in Frage.

Beim Taurus handelt es sich um eine Präzisionswaffe, die Ziele in 500 Kilometern Entfernung treffen kann, somit von der Ukraine aus z.B. auch den russischen Regierungssitz in Moskau. Anders als Deutschland haben Frankreich und Großbritannien bereits reichweitenstarke Marschflugkörper der Typen Scalp und Storm Shadow an die Ukraine geliefert. Es gibt Spekulationen darüber, dass die beiden Staaten ihre Waffensysteme selbst programmieren und dafür Personal in der Ukraine stationiert haben. Offiziell bestätigt wurde das nie.

Auf dem dpa-Termin nahm er hierauf Bezug und sagte, dass ein solches Vorgehen für die Bundesrepublik nicht in Frage komme. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", so Scholz. Hiermit spielt der Kanzler offenbar darauf an, dass zumindest wohl ein Bundestagsmandat erforderlich wäre, wollte man deutsche Soldaten zur Programmierung des Taurus in die Ukraine schicken. Anders als zum Beispiel die französische Armee ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee. Inwieweit für einen Einsatz von Deutschland aus – z.B. durch Fernprogrammierung oder die bloße Weitergabe von Geodaten an die Ukraine – ein Bundestagsmandat nötig wäre, ist umstritten.

Scholz will "Kontrolle" über den Taurus behalten

Scholz’ Äußerungen können als Argumentation verstanden werden, die eher auf politischer als auf technischer Ebene ansetzt. Auf dem Termin in Sindelfingen Anfang März (siehe oben) betonte der Kanzler, dass er die Kontrolle über den Taurus nicht vollständig abgeben wolle. Es könne nicht sein, so der Kanzler, dass man ein Waffensystem liefere, das sehr weit reiche, und man nicht darüber nachdenke, wie die Kontrolle über dieses Waffensystem stattfinden könne. "Und wenn man die Kontrolle haben will und das nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlossen." Scholz weiter: "Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das." Kritiker sehen hierin ein Anzeichen dafür, dass der Kanzler einen möglichen Missbrauch des Waffensystems in der Ukraine befürchten könnte.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat die ukrainische Regierung mehrfach versichert, dass man die von westlichen Verbündeten gelieferten Waffen nicht auf russischem Gebiet einsetzen werde. Dieses Versprechen wurde bislang stets eingehalten. "Wenn unsere Partner uns bitten, eine Garantie zu geben, dass diese oder jene Waffe nur auf dem Gebiet der Ukraine eingesetzt wird, dann geben wir diese Garantie und halten sie ein", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba im August 2023. Schon damals wurde in Deutschland intensiv über eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine diskutiert.

Wäre ein Taurus-Einsatz ohne deutsche Soldaten technisch möglich?

Ob rein technisch gesehen die Möglichkeit besteht, den Taurus auch ohne eine Beteiligung deutscher Soldaten einzusetzen, diskutierten hochrangige Bundeswehroffiziere in einem abgehörten Telefonat, das Anfang März 2024 von der russischen Propaganda-Plattform RT veröffentlicht wurde. Darin wird deutlich, dass die beteiligten Offiziere einen Taurus-Einsatz ohne deutsche Unterstützung technisch nicht ausschließen. Allerdings müsste die Ukraine in diesem Fall wohl Einbußen bei der Treffgenauigkeit und bei der Überlebensfähigkeit des Systems gegenüber der russischen Flugabwehr in Kauf nehmen. Auch sei mit Verzögerungen bis zur Einsatzbereitschaft zu rechnen.

In dem Telefonat, das am 19.2.2024 und damit eine Woche vor Scholz’ Einlassungen auf der dpa-Chefredaktionskonferenz stattgefunden haben soll, diskutierten die Bundeswehroffiziere auch mögliche Szenarien, einen Taurus-Einsatz in der Ukraine von Deutschland aus zu unterstützen, etwa indem wichtige Datensätze für die Programmierung des Taurus über eine sichere Leitung in die Ukraine transferiert werden.

Dass Olaf Scholz jegliche Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an einem Taurus-Einsatz – sowohl von Deutschland aus als auch vor Ort in der Ukraine – ablehnt, machte er später auf dem dpa-Termin und in Sindelfingen deutlich.

Die ukrainische Regierung hatte bereits im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflugkörper gebeten, um die russischen Nachschublinien weit hinter der Front treffen zu können. Auch die Union fordert die Freigabe. Die Koalitionspartner des Kanzlers, Grüne und FDP, sind ebenfalls größtenteils dafür. Ein Bundestagsbeschluss, in dem die Lieferung von Taurus ausdrücklich gefordert wird, scheiterte aber Ende Februar.

Wie am Donnerstag (7.3.2024) bekannt wurde, wollen CDU und CSU den Bundestag in der kommenden Woche erneut über die Lieferung des Marschflugkörpers abstimmen lassen.

Fazit: Bundeskanzler Olaf Scholz begründete sein Nein zu Taurus-Lieferungen an die Ukraine mit dem Risiko einer Verwicklung Deutschlands in den Krieg. Eine Beteiligung deutscher Soldaten an einem Taurus-Einsatz, sowohl von Deutschland aus als auch vor Ort in der Ukraine, kommt für Scholz nicht in Frage. Seine Argumentation kann dabei als eine verstanden werden, die eher politisch als technisch ist. Der Kanzler möchte die Kontrolle über den Taurus behalten. "Und wenn man die Kontrolle haben will und das nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlossen", sagte er wörtlich. Dass der Taurus rein technisch gesehen auch ohne deutsche Soldaten eingesetzt werden könnte, hat ein geleaktes Gespräch zwischen hochrangigen Bundeswehroffizieren gezeigt. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass der Taurus in diesem Fall nur eingeschränkt nutzbar wäre. Die Unions-Fraktion möchte den Bundestag nun erneut über eine mögliche Taurus-Lieferung abstimmen lassen.

Stand: 08.03.2024

Autor: Tim Berressem