Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 12.03.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Dietmar Bartsch, Kerstin Palzer, Wolfgang Bosbach, Maria Fiedler, Josef Ackermann, Konstantin Kuhle
Die Gäste (v.l.n.r.): Dietmar Bartsch, Kerstin Palzer, Wolfgang Bosbach, Maria Fiedler, Josef Ackermann, Konstantin Kuhle | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie soll die Aktienrente nach den Plänen der Ampel funktionieren?

Wie soll die Aktienrente nach den Plänen der Ampel funktionieren?

Konstantin Kuhle (FDP) und Dietmar Bartsch (Die Linke) diskutierten in der Sendung über die Einführung der sogenannten Aktienrente. Kuhle lobte das Konzept, das in seinen Augen dazu beitragen werde, das Rentensystem in Deutschland angesichts der alternden Gesellschaft langfristig zu stabilisieren. Bartsch sprach sich gegen die Aktienrente aus und forderte stattdessen, das Rentensystem an anderer Stelle zu reformieren. Als Vorbilder nannte er Österreich und die Schweiz.

Reformpläne der Ampel: Wie funktioniert die Aktienrente? | Video verfügbar bis 12.03.2025

Kuhle: "Ich glaube, das Rentenpaket, das die Koalition jetzt gerade beschlossen hat, setzt gute Akzente. Wir führen ja die Aktienrente ein – endlich. Wichtiger Aspekt des Koalitionsvertrags. (…) Ich glaube nicht, dass die Aktienrente in der Form, wie wir sie jetzt auf den Weg bringen, ausreichend ist. Aber wir haben zum allerersten Mal, zum ersten Mal, seit es das umlagefinanzierte Rentensystem gibt, endlich eine weitere Säule in dieses Rentensystem eingebaut, um Geld vom Kapitalmarkt ins Rentensystem zu schieben. Das verändert noch nicht die Grundtendenz. Aber es ermöglicht uns, über die Jahre immer mehr Geld anzulegen, damit das Rentensystem auch vom Kapitalmarkt profitiert."

(…)

Bartsch: "Schauen wir doch mal in so ein Land wie Österreich, wo die Rente um ein Vielfaches höher ist, 800 Euro im Durchschnitt. Da gibt es doch Gründe für, und darüber sollten wir nachdenken. Alle zahlen ein. Vielleicht werden auch die Beiträge moderat erhöht. Das sind doch Dinge, über die man reden kann und sollte. Aber in Österreich im Übrigen zahlen die Arbeitgeber mehr ein als die Arbeitnehmer. Ich will ja nur über diese Fragen reden. Die Aktienrente löst unser Problem nicht."

(…)

Maischberger: "Ich fasse das so zusammen: Sie glauben, wenn mehr einzahlen würden in dieses System, dann wäre die Demografie ausgeknockt?"

Bartsch: "Das ist ein Element."

Kuhle: "Denn die werden ja nicht alt? Das habe ich auch nie verstanden."

Bartsch: "Das ist ein Element, dass alle, auch wir Politiker, wir alle verpflichtend einzahlen."

Kuhle: "Denn die werden ja nicht alt und kriegen keine Rente, oder wie?"

Bartsch: "Herr Kuhle, lassen sie mich doch wenigstens die drei Sätze nacheinander sagen. Erstens: mehr einzahlen. Zweitens: Beitragsbemessungsgrenze. Warum gibt es die überhaupt? Warum zahlt man irgendwann nicht ein? Sie haben nachher Herrn Ackermann hier, fragen Sie ihn mal, wie das in der Schweiz ist. Schauen Sie im Übrigen nach Österreich, ich sage es noch einmal."

Hintergrund: Wie soll die Aktienrente nach den Plänen der Ampel funktionieren?

Das deutsche Rentensystem ins umlagefinanziert. Das bedeutet: Erwerbstätige zahlen in die Rentenkasse ein, das einbezahlte Geld wird an die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt. Weil die Gesellschaft jedoch immer älter wird, müssen immer weniger Beitragszahler für die Renten der immer zahlreicheren Ruheständler aufkommen. Schon seit Jahrzehnten reichen allein die Beiträge der Erwerbstätigen nicht mehr aus, um die Ausgaben der Rentenkasse abzudecken. Deswegen finanziert der Bund die Kasse durch Steuereinnahmen mit. Mit aktuell rund 100 Milliarden Euro decken die aus dem Bundeshaushalt gezahlten Mittel gut 30 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung.

Wie funktioniert die Aktienrente?

Mit der Einführung der sogenannten Aktienrente – von der Ampel selbst als "Generationenkapital" bezeichnet – soll nun erstmals eine neue Finanzquelle für die gesetzliche Rentenversicherung geschaffen werden. Dafür sollen jährlich Milliardenbeträge in einen Fonds eingezahlt werden. 2024 sollen es zwölf Milliarden Euro sein, bis 2035 soll dann ein Kapitalstock von mindestens 200 Milliarden Euro über Anlagen an den Finanzmärkten Renditen abwerfen, die dann an die Rentenversicherung fließen sollen. Nach Abzug der Finanzierungskosten soll das Generationenkapital langfristig zehn Milliarden Euro pro Jahr einbringen, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.

Fest steht: Bei den Plänen der Koalition für das Generationenkapital geht es ausdrücklich nur um das Geld des Staates. Rentenbeiträge, die von Erwerbstätigen in die Rentenkasse eingezahlt werden, fließen nicht in Aktienfonds.

Im Wahlkampf 2021 hatte die FDP noch dafür geworben, Beitragszahler mit ihrem eigenen Geld an einer kapitalgedeckten Vorsorge zu beteiligen. Die Rede war von zwei Prozent des Einkommens. Auch wenn sich die Reformpläne der Koalition nun zunächst auf die Anlage von Staatsgeldern beschränken, haben die Liberalen ihre Idee noch nicht aufgegeben. Das von FDP-Chef Christian Lindner geführte Bundesfinanzministerium spricht von einer möglichen Erweiterung der Rentenpläne, sodass Menschen zusätzlich individuell auch ihre Beiträge in den Kapitalstock einzahlen könnten. "Eine solche Lösung war innerhalb der Koalition nicht durchsetzbar, sie könnte aber in einem nächsten Schritt realisiert werden", heißt es aus dem Finanzministerium.

Welche Kritik gibt es an der Aktienrente?

Der CDU gehen die Pläne für die Aktienrente nicht weit genug. Sie spricht von einem "Scheinriesen", weil der angestrebte Ertrag von jährlich zehn Milliarden Euro zu gering ausfalle, um die Herausforderungen der nächsten Jahre zu bewältigen.

Die Linkspartei lehnt die Anlagen auf dem Kapitalmarkt grundsätzlich ab. Parteichef Martin Schirdewan bezeichnete die Rentenpläne der Ampel als "unanständig". Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht spricht zudem von einer "Casino-Rente". Die Bundesregierung zocke mit der Alterssicherung der Bürger. Sie fordert eine Volksabstimmung über die Rente.

Die Deutsche Rentenversicherung blickt zumindest skeptisch auf die Pläne für das Generationenkapital und will Risiken für Beitragszahler ausgeschlossen wissen. Für das Generationenkapital dürften keine Beitragsmittel verwendet werden, betonte die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach.

Dass allein das Generationenkapital die Rentenprobleme lösen wird, bezweifelt auch der Vizepräsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller. Gegenüber dem MDR betonte er, dass es einer breiteren Strategie bedürfe, die an verschiedenen Stellschrauben des Systems ansetzt. Komponenten wie Renteneintrittsalter, steuerliche Zuschüsse, Renten- und Beitragshöhe sowie die Kapitaldeckung müssten besser aufeinander abgestimmt werden. "Ohne einen solchen Plan wird man die Altersversorgung weder dauerhaft stabilisieren noch für die nächsten 50 Jahre sichern", so Holtemöller.

Stehen Rentner in Österreich besser da als in Deutschland?

Dietmar Bartsch plädierte in der Sendung für eine Ausweitung des Kreises der Beitragszahler. Bislang gibt es in Deutschland nämlich gewisse Berufsgruppen, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Dazu zählen z.B. Beamte, Richter oder Berufssoldaten. Sie beziehen im Alter keine Rente, sondern erhalten Pensionszahlungen, die aus der Staatskasse kommen. Selbstständige, darunter auch Großunternehmer, sind ebenfalls von der Versicherungspflicht ausgenommen. Bereits seit einigen Jahren wird über eine Abschaffung dieser Ausnahmen diskutiert, oft unter dem Begriff "Bürgerversicherung". Das Prinzip: Alle zahlen in dieselbe Rentenkasse ein, eine separate Pensionskasse gibt es nicht.

Österreich führte dieses System bereits im Jahr 2005 ein. Seitdem leisten auch Staatsbedienstete und Selbstständige ihren Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung. Auch Großunternehmer zählen dazu. Dies hat die Einnahmen der Rentenkasse deutlich gesteigert. Im Schnitt erhält ein österreichischer Rentner etwa 400 Euro mehr im Monat als ein deutscher Rentner (ca. 1900 Euro gegenüber ca. 1500 Euro). Anders als in Deutschland erhalten Rentner in Österreich außerdem Weihnachts- und Urlaubsgeld, also insgesamt 14 Gehälter pro Jahr. Berücksichtigt man diese Sonderzahlungen, ergibt sich eine Summe von etwa 720 Euro, die ein österreichischer Rentner pro Monat mehr bekommt als ein deutscher Rentner – nicht 800 Euro, wie Dietmar Bartsch in der Sendung sagte.

Dass die Renten in Österreich höher sind, liegt aber nicht allein am Prinzip der Bürgerversicherung. Grundsätzlich liegt der Beitragssatz in Österreich höher als in Deutschland. Während in der Bundesrepublik 18,6 Prozent des Bruttoeinkommens an die Rentenkasse fließen, sind es in Österreich 22,8 Prozent. Ein weiterer wichtiger Faktor, der zu höheren Renten führt, ist die Tatsache, dass man in Österreich mindestens 15 Jahre lang Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt haben muss, um überhaupt eine Rente zu erhalten. In Deutschland besteht bereits nach fünf Jahren ein Anspruch auf Rente. Es ist also denkbar, dass man 14 Jahre lang jeden Monat 22,8 Prozent des Gehalts an die Sozialversicherung abführt und am Ende nichts erhält. Das betrifft oft Eltern, die während der Kindererziehungszeiten nicht arbeiten können. Im deutschen Rentensystem werden diese Kindererziehungszeiten berücksichtigt, in Österreich nicht.

Dass Rentner in Österreich grundsätzlich besser dastehen als in Deutschland, kann also nicht pauschal gesagt werden.

Die Aussage von Dietmar Bartsch, dass die österreichischen Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten einen größeren Anteil in die Rentenkasse einzahlen als die Arbeitnehmer, stimmt. Der Anteil der Arbeitnehmer beträgt 10,25 Prozent des Bruttoeinkommens, der Arbeitgeber steuert 12,55 Prozent bei. In Deutschland teilen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Beitragssatz von 18,6 Prozent hälftig. Beide zahlen also 9,3 Prozent.

Gibt es in der Schweiz keine Beitragsbemessungsgrenze?

Dietmar Bartsch regte auch eine Reform der in Deutschland geltenden Beitragsbemessungsgrenze an. Die Beitragsbemessungsgrenze deckelt bislang die Beiträge zur Rentenversicherung. Überschreitet das Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze, steigen die Beiträge nicht weiter an, sondern bleiben konstant. Aktuell liegt diese Grenze bei 7.550 Euro monatlich (West) beziehungsweise 7.450 Euro monatlich (Ost). Wenn also beispielsweise ein Arbeitnehmer aus NRW 9.000 Euro im Monat verdient, zahlt er genau so viel in die Rentenkasse ein wie sein Nachbar, der 7.550 Euro monatlich verdient. Beide zahlen 9,3 Prozent von 7.550 Euro – also 702,15 Euro.

Dietmar Bartsch kritisierte das und verwies in diesem Zusammenhang auf die Schweiz, wo es eine solche Beitragsbemessungsgrenze nicht gebe. Das stimmt. Der dortige Beitragssatz, der mit 10,6 Prozent (5,3 Prozent Arbeitnehmeranteil) deutlich niedriger liegt als in Deutschland, gilt in jeder Einkommenshöhe. Gleichzeitig gibt es eine Maximalrente von derzeit 2.450 Franken im Monat. Es ist also möglich, dass ein Einkommensmillionär jährlich mehr als 100.000 Schweizer Franken in die Rentenkasse einbezahlt, ohne dass seine Rentenansprüche über 2.450 Franken pro Monat steigen. Die Maximalrente bekommt dabei nur, wer auf mindestens 44 Beitragsjahre kommt. Selbst wer Millionen eingezahlt, aber z.B. einige Jahre im Ausland gelebt hat, muss Abschläge in Kauf nehmen.

Das Schweizer Rentensystem basiert stark auf dem Grundgedanken der sozialen Umverteilung: Wer viel verdient, soll einen entsprechenden Beitrag zur Rentenversicherung leisten, um Menschen mit geringeren Einkommen zu unterstützen.

Mit der Beitragsbemessungsgrenze will man in Deutschland verhindern, dass die Rentenansprüche in der Zukunft unkontrolliert in die Höhe schnellen. Das Rentensystem soll so stabilisiert werden. In der Schweiz setzt man gewissermaßen auf der anderen Seite an, indem man nicht die Einzahlung, sondern die Auszahlung begrenzt. Inwieweit dieses Modell in Deutschland umsetzbar wäre, ist unter Juristen umstritten.

Fazit: Mit der sogenannten Aktienrente will die Ampel-Regierung das deutsche Rentensystem stabilisieren, das angesichts der alternden Gesellschaft vor großen Herausforderungen steht. Immer weniger Beitragszahler müssen für immer mehr Rentner aufkommen. Durch die Anlage staatlicher Gelder versprechen sich die Koalitionäre 10 Milliarden Euro jährlich, die an die Rentenversicherung fließen sollen. Das private Geld der Beitragszahler bleibt dabei aber unberührt. Kritiker bemängeln, dass die Aktienrente alleine nicht ausreichen werde, um die Probleme der Zukunft zu lösen. Unser Studio-Gast Dietmar Bartsch forderte stattdessen, auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen, und verwies dabei auf das Beispiel Österreich. Es stimmt, dass dort alle Erwerbstätigen, auch Großunternehmer, in dieselbe Rentenkasse einzahlen. Dass Rentner in Österreich deshalb besser dastehen als in Deutschland, kann aber pauschal nicht gesagt werden. Bartsch regte auch eine Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze nach dem Vorbild der Schweiz an. Inwieweit dieses Modell in Deutschland umsetzbar wäre, ist jedoch juristisch umstritten.

Stand: 13.03.2024

Autor: Tim Berressem