Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 19.03.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Christoph Schwennicke, Walter Sittler, Kristina Dunz, Rüdiger von Fritsch
Die Gäste (v.l.n.r.): Christoph Schwennicke, Walter Sittler, Kristina Dunz, Rüdiger von Fritsch | Bild: WDR / Thomas Kierok

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Was steckt hinter dem EU-Renaturierungsgesetz?

Was steckt hinter dem EU-Renaturierungsgesetz?

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (B’90/Grüne) äußerte sich in der Sendung zum sogenannten Renaturierungsgesetz, über dessen Verabschiedung aktuell auf EU-Ebene debattiert wird. Lemke erklärte, dass die Bundesregierung ihre internen Meinungsverschiedenheiten über das Gesetz inzwischen ausgeräumt habe und nun geschlossen hinter dem Vorhaben stehe. Was dieses Gesetz konkret vorsieht, schauen wir uns hier genauer an.

Mehr Naturschutz in Europa: Was steckt hinter dem EU-Renaturierungsgesetz?

Maischberger: "Ein wichtiges Projekt ist das Renaturierungsprojekt. Das ist also, beispielsweise, CO2 speichernde Moore sollen wieder zu Mooren gemacht werden. Es gab eine Entscheidung auf EU-Ebene, 20 Prozent der Meere und des Landes werden eben dazu gemacht. Jetzt hören wir, dass die FDP sagt, das wollen wir auf der EU-Ebene doch nicht so umsetzen. Das heißt, am Montag, wenn das noch mal bei den Umweltministern der EU beschlossen werden soll, müssen Sie, weil die FDP zuhause sagt, machen wir nicht, müssen Sie dann Nein sagen oder sich enthalten?"

Lemke: "Nein, das werde ich nicht müssen, weil die Bundesregierung dieses Gesetz unterstützt und das auch am Montag im Umweltministerrat von der deutschen Bundesregierung, vertreten durch mich, so unterstützt werden wird. Wir hatten diesbezüglich noch mal in der letzten Phase Diskussionen und Nachfragen, die sind alle ausgeräumt worden. Und deshalb steht die deutsche Zustimmung zu diesem Gesetz."

Hintergrund: Was steckt hinter dem EU-Renaturierungsgesetz?

Mit dem Renaturierungsgesetz sollen die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, bis zum Jahr 2050 die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um nahezu alle geschädigten Ökosysteme auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet wiederherzustellen. Alle Arten von Lebensräumen müssen dabei einbezogen werden – darunter Wälder, Moore, Wiesen, Seen, Flüsse und Meere.

Dies soll anhand eines Stufenplans geschehen: Als erste Zielmarke wird festgelegt, dass bis zum Jahr 2030 in mindestens 30 Prozent der Ökosysteme Maßnahmen angelaufen sein müssen, um diese in einen guten Zustand zu bringen. Das entspricht etwa 20 Prozent der Gesamtfläche der EU. Bis 2040 müssen die Staaten in 60 Prozent und bis 2050 in 90 Prozent der geschädigten Ökosysteme geeignete Maßnahmen zur Renaturierung ergriffen haben.

Zu den möglichen Maßnahmen zählen z.B. der Verzicht oder die Reduzierung von Düngern und Pestiziden in der Landwirtschaft, das Anlegen von naturnahen Vegetationsstreifen entlang von Bächen, das Anpflanzen von Hecken sowie die Bewässerung ausgetrockneter Moore. In Wäldern reichen die Maßnahmen von der Förderung einer größeren Baumvielfalt über das Belassen abgestorbener Bäume im Wald bis zur völligen Nutzungsaufgabe zu Gunsten von Wildnisgebieten. Im Meer sollen Maßnahmen gegen Schadstoffe, Lärm und Plastikmüll ergriffen werden.

Mit dem Gesetz will man auf den zunehmenden Verlust von Lebensräumen und der darin lebenden Tier- und Pflanzenarten reagieren. Laut Europäischer Umweltagentur sind inzwischen mehr als 80 Prozent aller Lebensräume in der EU in einem schlechten ökologischen Zustand. Viele Tier- und Pflanzenarten kämpfen deshalb ums Überleben. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES betont seit einigen Jahren, dass der bloße Schutz der noch vorhandenen Lebensräume nicht mehr ausreiche, um den Artenverlust zu stoppen. Das Renaturierungsgesetz folgt dieser Analyse. Findet es die nötige Mehrheit unter den EU-Mitgliedstaaten, wäre es das weltweit erste Gesetz, das eine ganze Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, Natur nicht nur zu bewahren, sondern zusätzlich bereits zerstörte oder geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen.

Das EU-Parlament hatte dem Gesetz bereits Ende Februar 2024 zugestimmt. Bevor es in Kraft treten kann, muss nun noch die Mehrheit der 27 Mitgliedstaaten einwilligen. Deutschlands Zustimmung galt zunächst als ungewiss, nachdem Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am vergangenen Montag (18.3.2024) angekündigt hatte, dem Vorhaben nicht zustimmen zu wollen. Als hauptsächlichen Grund für Lindners Veto sehen Beobachter die andauernden Proteste der Bauern, die mit dem Gesetz neue Auflagen und zusätzliche Bürokratie befürchten.

Am heutigen Mittwoch (20.3.2024) heißt es jedoch aus Regierungskreisen, die Ampel habe sich auf einen Kompromiss geeinigt. Als Zugeständnis an Lindners FDP habe man eine Protokollnotiz vereinbart, die der Abstimmung in Brüssel angehängt werde. "Deutschland wird dem EU Nature Restoration Law zustimmen und zu Protokoll geben, dass bei der Umsetzung keine zusätzlichen Belastungen für Landwirte entstehen sollen", so ein Sprecher des Bundesumweltministeriums gegenüber dem Recherche-Portal RiffReporter.

Ohne das Einlenken der FDP hätte sich die Bundesregierung bei der Abstimmung im Rat der Umweltminister am kommenden Montag (25.3.2024) enthalten müssen, was wohl das Scheitern des Gesetzes bedeutet hätte. Denn für das Inkrafttreten ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Konkret bedeutet das: 15 Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der Europäer repräsentieren, müssen dem Gesetz zustimmen. Fünf Staaten (Niederlande, Italien, Polen, Finnland und Schweden) haben bereits angekündigt, dagegen stimmen zu wollen. Belgien und Österreich wollen sich der Stimme enthalten. Damit wäre ein knappes "Ja" von 20 Ländern möglich, die zusammen gerade über die 65-Prozent-Grenze kommen. Viele dieser Länder haben allerdings noch nicht bekanntgegeben, wie sie abstimmen werden. Ob eine qualifizierte Mehrheit tatsächlich erreicht wird, ist also noch unklar.

Fazit: Mit dem Renaturierungsgesetz sollen die EU-Mitgliedstaaten zu einer weitgehenden Wiederherstellung ihrer beschädigten Ökosysteme (Wälder, Moore, Flüsse, etc.) verpflichtet werden. Die EU reagiert damit auf den zunehmenden Verlust von Lebensräumen und der darin lebenden Tier- und Pflanzenarten. Das EU-Parlament hatte dem Gesetz bereits Ende Februar 2024 zugestimmt. Damit es in Kraft treten kann, muss nun noch eine qualifizierte Mehrheit der 27 Mitgliedstaaten einwilligen. Nachdem die FDP ihre Blockadehaltung bezüglich des Gesetzes aufgegeben hat, gilt die Zustimmung der Bundesregierung als sicher. Ob damit aber die notwendige Mehrheit der Mitgliedstaaten erreicht wird, ist noch unklar.

Stand: 20.03.2024

Autor: Tim Berressem