Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 08.04.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Markus Feldenkirchen, Dagmar Rosenfeld, Eckart von Hirschhausen, Jörg Pilawa
Die Gäste (v.l.n.r.): Markus Feldenkirchen, Dagmar Rosenfeld, Eckart von Hirschhausen, Jörg Pilawa | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wieso wurde Markus Söder nicht Kanzlerkandidat der Union?

Wieso wurde Markus Söder nicht Kanzlerkandidat der Union?

Mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder sprach Sandra Maischberger u.a. über die Bundestagswahl 2021 und die Frage, warum er damals nicht als Kanzlerkandidat der Union ins Rennen ging, sondern der damalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet. Söder widersprach der Darstellung, er habe aus eigenem Antrieb einen Rückzieher gemacht, wie es Wolfgang Schäuble in seinen Memoiren beschreibt. Stattdessen verwies er auf ein Buch des Journalisten Robin Alexander, der die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur treffender dargestellt habe.

K-Streit in der Union: Wieso wurde Markus Söder nicht Kanzlerkandidat der Union? | Video verfügbar bis 08.04.2025

Maischberger: "Wolfgang Schäuble ist gestorben am 26. Dezember. Wir haben jetzt erfahren, er hat bis zuletzt an seinen Memoiren geschrieben, und die sind heute veröffentlicht."

Söder: "Habe ich gesehen, jaja."

Maischberger: "Darin beschäftigt er sich auch mit der Frage, warum Sie damals gegen Laschet in dieser sagenumwobenen Nacht einen Rückzieher gemacht haben. Und er schreibt Folgendes: '[…] wieso Söder eigentlich aufgegeben hatte, warum ihn, den Machtmenschen, dann doch der Mut verließ, das Duell auszukämpfen – zumal die Mehrheitsverhältnisse alles andere als klar waren, er sogar noch immer mit großer Unterstützung durch die Fraktion rechnen konnte.' Wenn man Herrn Schäuble liest, dann haben Sie den Rückzieher gemacht. Sie sind nicht rausgedrängt worden. Warum?"

Söder: "Ruhe in Frieden, und großen Respekt vor Wolfgang Schäuble. Aber wenn Sie das Buch, die Auszüge gesehen haben, dann erleben Sie, dass er eine sehr einseitige Sicht immer auf die CSU hatte. Er war selbst übrigens in der Zeit, hat aktiv sogar Vorsitzende, Ex-Vorsitzende und Ehrenvorsitzende angerufen, um da eine Veränderung herbeizuführen. Das ist sein gutes Recht gewesen, aber die Sicht ist aus meiner Sicht einseitig. In dieser besagten Nacht – in dem Buch von Robin Alexander wird das sehr, sehr genau und detailliert beschrieben, das trifft es deutlich genauer als das, was Wolfgang Schäuble sagt."

Maischberger: "Also, es war die Entscheidung der CDU und nicht Ihre, zurückzuziehen?"

Söder: "Nein. Ich hab’s angeboten, und die CDU hat dann eine Diskussion geführt. Und es war auch so, die Bereitschaft vom CDU-Vorsitzenden war zum Beispiel: unter gar keinen Umständen ein Votum von Partei oder Fraktion, das anders ausfallen würde, als den CDU-Vorsitzenden [als Kanzlerkandidaten] zu akzeptieren. Und das wäre dann tatsächlich eine maximale Spaltung gewesen, und deswegen habe ich gesagt, das muss die CDU entscheiden. Ein CSU-Vorsitzender kann ja nur sozusagen anbieten – entscheiden tut die Mehrheit, die CDU."

Hintergrund: Wieso wurde Markus Söder nicht Kanzlerkandidat der Union?

"Die Würfel sind gefallen", erklärte Markus Söder am 20.4.2021, knapp ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, und betonte, er werde die Kanzlerkandidatur des CDU-Vorsitzenden Armin Laschet unterstützen. Vorausgegangen war eine Abstimmung des CDU-Vorstands, der sich mit 31 zu neun Stimmen für Laschet als Kandidaten aussprach. "Wir werden ihn ohne Groll und mit ganzer Kraft unterstützen", sagte Söder. Er selbst habe mit seiner Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur ein Angebot gemacht, wolle die Entscheidung der CDU-Führung aber akzeptieren.

Wie in unserer Sendung bereits deutlich wurde, gibt es unterschiedliche Sichtweisen darüber, wie Söder zu diesem Entschluss kam. Wolfgang Schäuble schreibt in seinen posthum erschienenen Memoiren, er sei überrascht gewesen von Söders Entschluss, das Votum des CDU-Vorstands zu akzeptieren. Denn obwohl Schäuble selbst der Meinung gewesen sei, dass Laschet als CDU-Parteivorsitzender auch Kanzlerkandidat werden müsse, habe Söder weite Teile der Unionsfraktion auf seiner Seite gehabt. Mehr noch: "Am Wochenende vor der nächsten Fraktionssitzung rief mich nachmittags CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak an und teilte mir mit, dass inzwischen im Präsidium nahezu alle umgefallen seien und Laschet zum Nachgeben raten würden", schreibt Schäuble. Kurz darauf kamen Armin Laschet, Markus Söder, Wolfgang Schäuble, die beiden damaligen Generalsekretäre Paul Ziemiak und Markus Blume, sowie Volker Bouffier und Alexander Dobrindt zu einem spätabendlichen Gespräch im Reichstagsgebäude zusammen, um die Frage der Kanzlerkandidatur zu diskutieren. Schäuble dazu in seinen Memoiren:

"Nach etwa neunzig Minuten wurde das Gespräch beendet. Söder und Laschet hatten inzwischen hinlänglich ihre jeweilige Sicht dargelegt, warum sie sich für den aussichtsreicheren Kandidaten hielten. Söder schloss mit dem Hinweis, er werde das jetzt für sich bewerten und morgen seine Entscheidung treffen. Wir verabschiedeten uns freundlich. Ich hatte keine Ahnung und, soweit ich es verstand, Laschet und die anderen CDU-Kollegen auch nicht, wie Söder sich am nächsten Vormittag entscheiden würde."

Der bayerische Ministerpräsident entschied sich am nächsten Tag, die Kandidatur seines Kontrahenten zu akzeptieren.

Der stellvertretende "Welt"-Chefredakteur Robin Alexander beschreibt dieses Treffen ebenfalls in seinem 2021 erschienenen Buch "Machtverfall: Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik". Er schreibt Schäuble allerdings eine deutlich aktivere Rolle bei der Entscheidung über die K-Frage zu, als dieser es in seinen Memoiren tut. Robin Alexander über Schäuble:

"Der 78-Jährige ist der erfahrenste deutsche Politiker, er hat den deutsch-deutschen Einigungsvertrag verhandelt und als Finanzminister den Euro gerettet. Heute ist er fest entschlossen, noch einmal Geschichte zu schreiben. Er will entscheiden, wer der nächste Bundeskanzler wird. Vor allem: wer es nicht wird."

Parteiintern habe Schäuble immer wieder betont, dass eine Kandidatur Söders der Union schaden werde, schreibt Alexander. So auch bei besagtem Treffen spätabends im Reichstagsgebäude:

"Schäuble erteilt sich selbst das Wort. Die CDU sei in einem jammervollen Zustand, sagt er. Seit Jahren schon. Sie müsse sich erneuern. Nicht in der Opposition, sondern an der Macht. Das gehe nicht mit einem Kanzler von der CSU. Deshalb könne Söder nicht Kanzler werden."

Dieser Einschätzung schloss sich Alexanders Schilderungen zufolge auch Armin Laschet an: "'Mit dir verlieren wir die Wahl', sagt er Söder eiskalt ins Gesicht." Die anwesenden CSU-Vertreter sollen indes mit Söders damals starken Umfragewerten sowie der großen Unterstützung in der Bundestagsfraktion argumentiert haben. Alexander Dobrindt soll sogar angeregt haben, die Fraktion über die Kanzlerkandidatur abstimmen zu lassen. Laschet soll dies mit der Begründung abgelehnt haben, dass allenfalls der CDU-Vorstand über den Kandidaten entscheiden könne. Söder, so schreibt es Robin Alexander in seinem Buch, soll daraufhin angedroht haben, den CSU-Vorstand gegen ein Votum des CDU-Vorstands für Armin Laschet in Stellung zu bringen. Bei Uneinigkeit der beiden Parteivorstände hätte man sich auf einen dritten Kandidaten verständigen müssen, den es realistischerweise nicht gab.

Robin Alexander zeichnet das Bild zweier zerstrittener Schwesterparteien, die auch am Ende jenes Abends nicht zueinander finden können. Es scheint, dass vor allem die Vertreter der CDU das Söder-Lager mit Bestimmtheit zur Aufgabe bewegen wollten. Die CSU-Vertreter seien sich einig gewesen, so Alexander: "Laschet wird den Weg für Söder niemals freigeben. Das ist ihnen bei diesem denkwürdigen Treffen klar geworden. Es bliebe nur noch die totale Konfrontation der Schwesterparteien – damit jedoch wäre der Wahlkampf schon verloren, bevor er richtig begonnen hat."

Am nächsten Tag beriet der CDU-Vorstand über die K-Frage und stellte sich erwartungsgemäß hinter Armin Laschet. Söder machte den Weg frei.

In seinen Memoiren geht Wolfgang Schäuble ausdrücklich auch auf die Schilderungen in Robin Alexanders Buch ein. Die "entscheidenden Tage" in der Diskussion über die Kanzlerkandidatur seien darin "ziemlich wirklichkeitsnah wiedergegeben". Gleichwohl habe er Grund zu vermuten, dass Robin Alexanders "Hauptquelle für die internen Gespräche und Verhandlungen hinter verschlossener Tür wohl vor allem in München lag. Mit mir hat er jedenfalls nicht gesprochen." Insgesamt sieht Schäuble seinen politischen Einfluss auf die Kandidatenentscheidung oft falsch dargestellt:

"Irritiert hat mich die mediale Überbewertung meiner Rolle als Einzelner innerhalb einer großen und vielstimmigen Volkspartei. Vor allem blieb in der Öffentlichkeit völlig unterbelichtet, wieso Söder eigentlich aufgegeben hatte, warum ihn, den Machtmenschen, dann doch der Mut verließ, das Duell auszukämpfen – zumal die Mehrheitsverhältnisse alles andere als klar waren, er sogar noch immer mit großer Unterstützung durch die Fraktion rechnen konnte."

Wie sich die Entscheidungsfindung rund um die Kanzlerkandidatur der Union im Jahr 2021 im Einzelnen zugetragen hat, kann also angesichts der beiden oben betrachteten Quellen nicht eindeutig festgestellt werden.

Fazit: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder widersprach in der Sendung einer Passage aus Wolfgang Schäubles Memoiren, wonach er die Kanzlerkandidatur im Jahr 2021 aus eigenem Antrieb Armin Laschet überlassen habe. Dies sei nicht zutreffend, sagte Söder und verwies in diesem Zusammenhang auf ein Buch des Hauptstadtjournalisten Robin Alexander ("Die Welt"), der das Zustandekommen der Entscheidung treffender beschreibe. Die Lektüre beider Texte – Schäubles "Erinnerungen" und Robin Alexanders "Machtverfall" – zeigt: Während Schäuble sich in seinen Memoiren überrascht darüber äußert, dass Söder Laschet den Vortritt ließ, beschreibt Robin Alexander die beiden Schwesterparteien CDU und CSU als tief zerstritten. Dabei hätten vor allem Schäuble und Laschet der CSU signalisiert, dass eine Kanzlerkandidatur Söders für sie nicht in Frage käme. Söders Rückzug liest sich bei Robin Alexander wie ein notwendiger Schritt, um einen noch tieferen Streit innerhalb der Union zu verhindern. Wie sich die Entscheidungsfindung im Einzelnen zugetragen hat, kann nach Lektüre beider Quellen aber nicht eindeutig festgestellt werden.

Stand: 09.04.2024

Autor: Tim Berressem