Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 21.05.2025
Faktencheck

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Wie hat sich die Haltung der Union zum Taurus seit dem Regierungswechsel entwickelt?
- Haben die europäischen NATO-Mitglieder höhere Militärausgaben als Russland?
Wie hat sich die Haltung der Union zum Taurus seit dem Regierungswechsel entwickelt?
Unsere Kommentatoren diskutierten in der Sendung über Friedrich Merz’ Position in der Frage, ob Deutschland den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefern sollte. Melanie Amann und Robin Alexander erinnerten daran, dass Merz sich vor seiner Wahl zum Bundeskanzler deutlich für die Lieferung ausgesprochen und die Union diesen Standpunkt sogar durch zwei Anträge im Bundestag untermauert habe. Nun aber, in Regierungsverantwortung, trete Merz auf die Bremse.
Amann: "Ein Oppositionsführer hat viel mehr Freiheiten als ein Kanzler. Der kann Dinge fordern, der kann Dinge versprechen. Nur, je vehementer man fordert – und den Taurus hat Friedrich Merz ja selber zum Maß aller Dinge erklärt und zum Lösungsmittel für diesen Konflikt, und er hat Olaf Scholz ja wirklich an den Pranger gestellt. Und wenn du eben mit der Bugwelle anrollst und dann nachher heißt es, eigentlich wollte ich die Debatte gar nicht führen und das war ein Fehler und jetzt lenke ich davon ab und tue so, als hätten alle anderen mir das aufgezwungen, das ist natürlich ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust oder ein weiteres gebrochenes Versprechen."
(…)
Alexander: "In dieser Frage muss ich Frau Amann völlig Recht geben. Die Union hat zweimal Anträge im Bundestag gestellt für den Taurus."
Maischberger: "Schon im November 2023 den ersten."
Alexander: "Die Ironie ist ja, Olaf Scholz hat uns Journalisten immer gesagt, ihr seid ja doof, ihr fragt nach dem Taurus, wie kann man das machen, das sollten wir gar nicht besprechen. Und dann stand im SPD-Wahlprogramm, wir liefern nicht den Taurus. Und Friedrich Merz hat als Oppositionsführer gesagt, Taurus, Taurus, Taurus, und jetzt als Kanzler: Wie könnt ihr mich fragen!"
Hintergrund: Wie hat sich die Haltung der Union zum Taurus seit dem Regierungswechsel entwickelt?
Tatsächlich forderte die Union bereits im Herbst 2023 die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Auf einer Klausurtagung der Unionsfraktion in Schmallenberg am 1.9.2023 sagte der damalige Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz: "Diese Marschflugkörper sollten geliefert werden, so wie Frankreich und Großbritannien ja auch Marschflugkörper bereits liefern, um der Ukraine weiter auch aus der Luft heraus zu helfen." Zwei Monate später unterstrich die Fraktion ihre Forderung in einem entsprechenden Bundestagsantrag mit der Überschrift "Unterstützung für die Ukraine konsequent fortsetzen – Lieferung des Taurus-Marschflugkörpers beschließen".
Darin forderte die Union die von Bundeskanzler Scholz geführte Ampel-Regierung nicht nur zu einer "unverzüglichen Lieferung" auf, sondern auch zur Ausbildung ukrainischer Soldaten im Umgang mit dem Waffensystem. Der Antrag scheiterte jedoch im Januar 2024. In namentlicher Abstimmung entschieden sich 485 Abgeordnete dagegen, 178 dafür. Damit erhielt der Antrag weniger Unterstützung, als die Unionsfraktion Sitze hatte. Im damaligen Parlament verfügte sie über 197 Mandate.
Union forderte Taurus-Lieferung in zwei Anträgen
Trotzdem hielten Merz und seine Fraktion an ihrer Position fest. In einem weiteren Antrag ("Für eine echte Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik"), der am 20.2.2024 ins Parlament eingebracht wurde, forderten CDU und CSU die Ampel zu einer Reihe von Maßnahmen auf, um der neuen Sicherheitslage in Europa gerecht zu werden, die sich durch den russischen Angriff auf die Ukraine verschärft habe. Eine dieser Forderungen lautete, "die Ukraine durch unverzügliche Lieferung von erbetenen und in Deutschland verfügbaren Waffensystemen (u. a. TAURUS) sowie Munitionssorten im Kampf gegen Russland zu unterstützen und dabei europäische Führung und Koordinierung zu übernehmen".
Auch dieser Antrag fand keine Mehrheit im Parlament. 480 Abgeordnete stimmten dagegen, 181 dafür.
Doch auch diesmal beharrte die Union weiterhin auf ihrem Standpunkt. Im März 2024 stellte sie den ersten Antrag, der im Januar 2024 schon einmal gescheitert war (siehe oben), zur erneuten Abstimmung. Johann Wadephul, damals noch Merz’ Stellvertreter an der Fraktionsspitze, warb noch einmal eindringlich dafür, Taurus-Lieferungen an die ukrainische Armee zu ermöglichen. Es brauche Entschlossenheit und Klarheit in der Unterstützung der Ukraine. "Wir werden mit der Ukraine gewinnen oder mit der Ukraine verlieren. Es gibt keinen dritten Weg", so der heutige Bundesaußenminister vor der Abstimmung. Friedrich Merz selbst kritisierte den damaligen Kanzler Scholz, der eine Lieferung des Marschflugkörpers strikt ablehnte und zur Begründung immer wieder betonte, weder die Bundeswehr noch die NATO dürften sich direkt am Krieg in der Ukraine beteiligen. Merz warf dem Kanzler deshalb vor, "mit Kriegsängsten der deutschen Bevölkerung" zu spielen. Um eine Eskalation des Krieges zu verhindern, so argumentierte Merz, müsse man Russland deutliche Grenzen aufzeigen. Nicht zu helfen, erhöhe die Kriegsgefahr nur, warnte er: "Wenn die Ukraine verliert, verlieren wir alle. Und dann kommt der Krieg näher." Darum müsse Deutschland der Ukraine "mehr helfen, diesen Krieg zu gewinnen".
Aber auch bei der erneuten Abstimmung blieb die Union ohne Erfolg. 484 Abgeordnete stimmten gegen den Antrag, 188 dafür.
Im Oktober 2024 bekräftigte der damalige Oppositionsführer Merz seine Forderung in der ARD-Sendung "Caren Miosga". Diesmal knüpfte er die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aber an konkrete Bedingungen. "Ich würde es nicht einfach so tun", sagte Merz. "Ich würde sagen: Wenn das nicht aufhört mit den Bombardements, dann ist der erste Schritt der: Reichweitenbegrenzung (der bereits an die Ukraine gelieferten Waffen, Anm. d. Red.) aufheben. Und der zweite Schritt der, dass wir die Taurus liefern." Merz ergänzte: "Und dann hat Putin es in der Hand, wie weit er diesen Krieg noch weiter eskalieren will." Er erklärte zudem, dass er eine mögliche Lieferung zuvor mit den europäischen Partnern abstimmen würde.
Merz nach Kanzlerwahl: Taurus-Lieferung stehe "im Augenblick" nicht an
Ein halbes Jahr später, am 6.5.2025, wurde Friedrich Merz von der Mehrheit des Parlaments zum Bundeskanzler gewählt. Seitdem äußert er sich zurückhaltender in Sachen Taurus. In der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" vom 15.5.2025 sagte er, es sei derzeit keine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine geplant: "Es steht im Augenblick auch nicht an". Merz betonte, dass er die Debatte in Zukunft nicht öffentlich führen werde und es ein Fehler gewesen sei, das zu tun, weil man Russland auf diese Weise einen strategischen Vorteil verschaffen würde. Regierungssprecher Stefan Kornelius bekräftige später auf einer Pressekonferenz: "Die Bundesregierung wird Details von Waffenlieferungen nicht mehr öffentlich kommentieren und diskutieren."
Kritiker mutmaßen, dass Merz mit dieser Entscheidung verschleiern will, seine vormalige Position aus Oppositionszeiten aus Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner SPD geändert zu haben. Die Bundesregierung führt hingegen taktische Gründe für die neue Geheimhaltung an.
Fest steht: Dem Parlament gegenüber hat die Bundesregierung eine Berichtspflicht. Demzufolge ist davon auszugehen, dass der Verteidigungsausschuss im Bundestag über eine Taurus-Lieferung an die Ukraine informiert werden würde. Wahrscheinlich würde eine solche Information aber als geheim eingestuft werden, sodass sie den Verteidigungsausschuss nicht verlassen dürfte.
Fazit: Tatsächlich hat sich die öffentliche Positionierung der Union in der Frage, ob Deutschland den Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefern sollte, zuletzt deutlich verändert. Als größte Oppositionsfraktion, die die Union in den letzten Jahren stellte, forderte sie die Ampel-Regierung wiederholt dazu auf, das Waffensystem zu liefern. Dreimal ließ sie darüber im Bundestag abstimmen – jedoch stets ohne Erfolg. Speziell Parteichef Friedrich Merz kritisierte den früheren Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder scharf für seine Entscheidung, den Taurus nicht zu liefern. Doch seitdem Merz selbst Bundeskanzler ist, äußert er sich zurückhaltender in der Debatte. Eine Lieferung stehe "im Augenblick" nicht an, sagte er kürzlich. Das ist weder eine Zu- noch eine Absage. Die Bundesregierung kündigte unterdessen an, in dieser Sache künftig keine Details mehr öffentlich mitzuteilen.
Haben die europäischen NATO-Mitglieder höhere Militärausgaben als Russland?
In der Diskussion über die Sicherheitslage in Europa sagte Politikwissenschaftler Johannes Varwick, die NATO sei militärisch deutlich stärker als Russland. Allein die europäischen Bündnisstaaten – ohne die USA – gäben mehr Geld für Rüstung aus als die Regierung in Moskau, so Varwick. Wir schauen uns die genauen Zahlen an.
Varwick: "Ich will überhaupt nicht sagen, dass man schutzlos sein soll gegen ein aggressives Russland, das ist auch überhaupt nicht das Thema. Aber wir sind doch sehr viel stärker. Lassen Sie uns doch mal über Verteidigungshaushalte reden, was die NATO zusammen ausgibt. Selbst wenn die Amerikaner weg wären, geben die Europäer noch 450 Milliarden Euro jedes Jahr für Militär aus. Die Russen liegen bei 130 Milliarden. Wenn man die Kaufkraftparitäten abzieht, sind sie vielleicht bei 300 Milliarden. Das heißt, wir sind viel stärker als Russland. Und wir tun so, als ob wir schwach sind."
Maischberger: "Entschuldigung, nehmen Sie die USA mal ganz kurz aus der Gleichung. Wie stark sind wir dann?"
Varwick: "Ja, habe ich doch gerade gesagt. Selbst wenn wir die rausnehmen: Die Europäer geben zusammen 450 Milliarden jedes Jahr für Rüstung aus. Die Russen – das sind schwer vergleichbare Zahlen, weil die Kaufkraft dahintersteht, aber sagen wir mal hochgegriffen 300 Milliarden. Das heißt, wir tun so, als ob wir schutzlos wären gegen ein aggressives Russland. Das zeichnet kein realistisches Bild der Lage."
Stimmt das? Haben die europäischen NATO-Mitglieder höhere Militärausgaben als Russland?
Aktuelle Zahlen über die weltweiten Militärausgaben liefert regelmäßig das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. Demnach stieg der Wert im Jahr 2024 auf ein Rekordniveau von etwa 2,7 Billionen US-Dollar. Das bedeutet einen Anstieg von 9,4 Prozent gegenüber 2023. Laut dem Bericht bleiben die USA mit einer Summe von 997 Milliarden US-Dollar mit weitem Abstand das Land mit den größten Militärausgaben. Auf Platz zwei steht China (schätzungsweise 314 Milliarden US-Dollar), gefolgt von Russland (schätzungsweise 149 Milliarden US-Dollar).
Mehr als die Hälfte der weltweiten Militärausgaben entfielen laut der Analyse 2024 auf die NATO-Staaten. Die Mitglieder des westlichen Verteidigungsbündnisses gaben vergangenes Jahr demnach zusammen 1,5 Billionen US-Dollar für das Militär aus. Das bedeutet auch: Die insgesamt 32 NATO-Mitglieder investierten 2024 zusammengenommen etwa 10-mal so viel Geld ins Militär wie Russland.
Zieht man den Anteil der nicht-europäischen NATO-Staaten USA und Kanada ab, bleiben immer noch knapp 500 Milliarden US-Dollar, die allein die europäischen Mitglieder für Militär ausgegeben haben. Das ist etwa drei- bis viermal so viel wie Russland.
Wie aber schon Johannes Varwick in der Sendung sagte, gibt das Verhältnis der Militärausgaben nur bedingt Aufschluss über die tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnisse zwischen den Staaten. Das liegt vor allem an der unterschiedlichen Beschaffenheit der Volkswirtschaften. Mit diesem Problem der Vergleichbarkeit haben wir uns bereits mehrfach ausführlicher beschäftigt, z.B. im Faktencheck zur Sendung vom 12.6.2024.
Fazit: Den aktuellen Zahlen zufolge gaben die europäischen NATO-Staaten im Jahr 2024 insgesamt knapp 500 Milliarden US-Dollar für das Militär aus. Das ist ungefähr drei- bis viermal so viel, wie Russland im selben Jahr ausgegeben hat. Johannes Varwick hat also Recht, wenn er sagt, dass allein die europäischen Bündnisstaaten – ohne die USA – mehr Geld in Rüstungsgüter investieren als die Regierung in Moskau. Experten weisen jedoch immer wieder darauf hin, dass das reine Verhältnis der Militärausgaben nur bedingt Aufschluss über die tatsächlichen militärischen Kräfteverhältnisse zwischen den Staaten gibt.
Stand: 22.05.2025
Autor: Tim Berressem