Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 27.05.2025
Faktencheck

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Wie viele Menschen sind trotz Vollzeitbeschäftigung auf staatliche Unterstützung angewiesen?
Wie viele Menschen sind trotz Vollzeitbeschäftigung auf staatliche Unterstützung angewiesen?
In der Diskussion über Arbeitszeit und Löhne in Deutschland sagte Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU), wer hierzulande in Vollzeit arbeite, verdiene genug Geld, um davon zu leben. Grünen-Politikerin Ricarda Lang widersprach und verwies auf die Zahl der sogenannten Aufstocker, die neben ihrer Beschäftigung zusätzliche Unterstützung vom Staat benötigen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Frei: "Warum gibt es in Deutschland 650.000 Menschen, die Vollzeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, aber darüber hinaus noch einen Minijob haben? Das haben sie deshalb, weil Überstunden nicht lukrativ sind. Die werden viel zu stark besteuert, und deswegen ist ein Vorschlag von uns, dass wir die Überstundenzuschläge steuerfrei machen möchten. Das heißt, wir brauchen echte Anreize für Menschen, die mehr arbeiten wollen, die sich reinhängen, die sich engagieren. Darum geht es."
Lang: "Also, sorry, wenn jemand Vollzeit sozialversicherungspflichtig arbeitet und dann einen Minijob daneben braucht, dann ist nicht das Problem die Überstunden, sondern dass die Person nicht genug verdient, um zu leben. Wir müssen dafür sorgen, dass es einen Mindestlohn gibt, der 15 Euro hat, d.h. auch existenzsichernd ist, 60 Prozent des Medianeinkommens gesetzlich absichern. Das ist nämlich die Grenze für relative Armut. Und die Tarifbindung nach oben bringen, sodass die Leute auch tatsächlich von ihrer Arbeit leben können. Aber ist jetzt Ihr Ziel, dass Leute Vollzeit arbeiten und daneben noch dauerhaft Überstunden machen müssen?"
Frei: "Wer Vollzeit arbeitet, hat so viel Geld, dass er davon leben kann."
Lang: "Das ist nicht richtig. Das ist schlichtweg nicht die Wahrheit. (…) Wenn Sie sagen, es gibt niemanden, der in diesem Land Vollzeit arbeitet und nicht davon leben kann, ist das falsch. Wir haben 830.000 Aufstocker."
Frei: "Genau."
Lang: "Das heißt: Menschen, die arbeiten und nebenher noch soziale Unterstützung bekommen müssen."
Hintergrund: Wie viele Menschen sind trotz Vollzeitbeschäftigung auf staatliche Unterstützung angewiesen?
Wer in Deutschland erwerbstätig ist, aber trotzdem nicht genug verdient, um seinen Lebensunterhalt vollständig selbst zu bestreiten, kann sein Einkommen mit Hilfe des Bürgergelds aufstocken. Wie hoch die staatliche Unterstützung dabei ausfällt, hängt einerseits vom Einkommen, andererseits vom individuellen Bedarf ab. Dieser Bedarf setzt sich aus den Kosten für den Lebensunterhalt sowie Unterkunft und Heizung zusammen.
Die konkrete Berechnung erfolgt nach einer Tabelle. Beispielsweise werden für den Lebensunterhalt einer alleinstehenden Person monatlich 563 Euro veranschlagt. Hinzu kommen die Wohnkosten, die bis zu einer "angemessenen" Höhe ebenfalls vom Staat getragen werden. Dieser Betrag variiert je nach Stadt. Für eine alleinstehende Person in Berlin z.B. gilt eine monatliche Miete von etwa 450 Euro als angemessen. Zählt man die Heizkosten noch hinzu, ergibt sich ein monatlicher Bedarf von insgesamt etwa 1.100 Euro.
Verdient eine alleinstehende Person netto weniger als diese 1.100 Euro, kann die Differenz durch den Bezug von Bürgergeld ausgeglichen werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine Teilzeitkraft für 20 Stunden pro Woche zum aktuellen Mindestlohn von 12,82 Euro arbeitet. Am Ende des Monats kommt diese Person auf einen Nettoverdienst von knapp 800 Euro. Daraus folgt ein Bürgergeldanspruch in Höhe von 300 Euro.
Nach aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit haben im Januar 2025 insgesamt 822.565 Erwerbstätige ihr Einkommen auf diese Weise aufgestockt.
Knapp 80.000 Vollzeitbeschäftigten reicht der Lohn nicht aus
Wie viele davon in Voll- bzw. Teilzeit gearbeitet haben, erhebt die Bundesagentur separat und deshalb zeitverzögert. Die aktuellen Zahlen beziehen sich auf den Oktober 2024. Demnach arbeiteten 254.548 Aufstocker in Teilzeit, während 83.730 in Vollzeit angestellt waren. Den größten Teil aber machten geringfügig Beschäftigte, also sogenannte Minijobber, aus (278.006).
Dass jeder Vollzeitbeschäftigte in Deutschland von seinem Lohn leben kann, stimmt also offensichtlich nicht. Das ist aber stark abhängig von den jeweiligen Lebensumständen. Ein Alleinstehender, der Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, kommt auf einen monatlichen Nettoverdienst von ca. 1.500 Euro und liegt damit über dem Bedarf, den das Bürgergeld vorsieht.
Für eine fünfköpfige Familie kann das aber schon wieder ganz anders aussehen. Hier besteht laut Tabelle ein Bedarf von monatlich etwa 2.500 Euro. Angenommen, es gibt in dieser Familie nur einen Alleinverdiener, der Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, kann das Einkommen um fast 1.000 Euro Bürgergeld aufgestockt werden. Das gilt jedenfalls, bis alle drei Kinder das dritte Lebensjahr vollendet haben. Danach wird der Elternteil, der bislang nicht erwerbstätig war, von der Bundesagentur dazu aufgefordert, einen geeigneten Job anzunehmen, wenn die Kinderbetreuung sichergestellt ist.
Mindestlohnerhöhung: Bundesregierung ist noch uneinig
Vor diesem Hintergrund fordern Arbeitnehmerverbände eine Erhöhung des Mindestlohns. Und tatsächlich ist im Koalitionsvertrag von Union und SPD eine entsprechende Anhebung von 12,82 Euro auf 15 Euro vorgesehen. Doch über die Umsetzung sind sich die Koalitionäre bislang nicht einig.
Grundsätzlich ist für die Anpassung des Mindestlohns eine Expertenkommission zuständig, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen vertreten sind. Das Gremium, das politisch unabhängig agiert, will laut einer im Januar 2025 aktualisierten Geschäftsordnung die EU-Empfehlung berücksichtigen, wonach der Mindestlohn bei 60 Prozent des mittleren Einkommens liegen soll. Ökonomen zufolge könnte das eine Erhöhung auf etwa 15 Euro bedeuten – allerdings nur, wenn die Kommission das als tatsächlichen Zielwert versteht und nicht als grobe Orientierung. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch deutete im April 2025 an, die Mindestlohnerhöhung zur Not auch per Gesetz durchsetzen zu wollen – und die Kommission damit zu umgehen. Die Union lehnt das bislang ab. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schloss einen "politischen Mindestlohn" aus.
Fazit: Wer in Deutschland erwerbstätig ist, aber trotzdem nicht genug verdient, um seinen Lebensunterhalt vollständig selbst zu bestreiten, kann sein Einkommen mit Hilfe des Bürgergelds aufstocken. Aktuell trifft das auf knapp 820.000 Menschen zu. Davon sind etwa 80.000 in Vollzeit angestellt. Dass jeder Vollzeitbeschäftigte in Deutschland von seinem Lohn leben kann, stimmt also offensichtlich nicht. Das ist aber stark abhängig von den jeweiligen Lebensumständen. Um das Einkommen der Erwerbstätigen grundsätzlich zu erhöhen, peilt die schwarz-rote Bundesregierung im Koalitionsvertrag eine Anpassung des Mindestlohns auf 15 Euro an. Über die Umsetzung sind sich Union und SPD bislang aber nicht einig.
Stand: 28.05.2025
Autor: Tim Berressem