Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 03.06.2025
Faktencheck

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Wie bewertet das Berliner Verwaltungsgericht die Begründung der Bundesregierung für die Zurückweisung von Asylsuchenden?
Wie bewertet das Berliner Verwaltungsgericht die Begründung der Bundesregierung für die Zurückweisung von Asylsuchenden?
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) äußerte sich in der Sendung zum Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das die Zurückweisung dreier Asylsuchender an der deutsch-polnischen Grenze für rechtswidrig erklärte. Dobrindt räumte ein, dass die Bundesregierung ihr Vorgehen nicht ausreichend begründet habe. Dies wolle man aber in einem weiteren Verfahren nachholen. Was das Gericht konkret entschieden hat und wie die Bundesregierung dagegen argumentiert, schauen wir uns hier noch mal genauer an.
Maischberger: "Sie hätten prüfen müssen, wo das Asylgesuch zu stellen ist. Das haben Sie nicht getan. Und es gibt eine Begründung in diesem Urteil des Verwaltungsgerichts. Die sagen, weil Sie sich auf diese EU-Ausnahmeregel dann offensichtlich beziehen, oder so geht das Gericht davon aus: 'Es fehlt (…) an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung.' Wenn es die gäbe, könnten Sie zurückweisen. Also, wo ist die Gefahr für die Sicherheit und Ordnung, die Sie dargelegt haben?"
Dobrindt: "Erst mal sagt das Verwaltungsgericht, ja, wir müssen prüfen, welches Land zuständig ist für den Asylantrag. Das ist der Auftrag des Verwaltungsgerichts, dem kommen wir selbstverständlich nach. Wir sind im Rechtsstaat. Wenn das Gericht das für diese drei Somalier sagt, dann machen wir das so entsprechend. Das haben wir jetzt auch mitgeteilt, dass wir das tun werden, damit das in einem geordneten Verfahren stattfindet. Und dann werden wir das genau so durchführen."
Maischberger: "So müssten Sie es eigentlich bei allen Asylsuchenden machen."
Dobrindt: "Das Gericht hat für diese drei das entschieden."
Maischberger: "Richtig. Aber Sie wissen, dass die EU-Rechtslage das eigentlich für alle sagt."
Dobrindt: "Dann hat das Gericht ja gesagt, ihr beruft euch darauf, dass ihr nationales Recht anwenden wollt, nämlich dass diese Zurückweisungen gehen. Und das nationale Recht wendet ihr an, weil ihr euch auf eine Ausnahme im europäischen Recht beruft. Aber dazu habt ihr keine ausreichende Begründung geliefert. Die muss stärker werden. Wir haben einen Auftrag, wir müssen diese Begründung entsprechend liefern."
Maischberger: "Aber Sie könnten es ja jetzt schon mal durchklingen lassen: Wo ist die Gefahr für die Sicherheit und Ordnung Deutschlands, die so stark ist, dass Sie EU-Recht brechen können?"
Dobrindt: "Ich glaube, dass ganz viele von den Menschen, die da auch heute zuschauen, erkennen, dass es eine Überforderung in Deutschland gibt. Und erkennen, dass wir mit vielen Systemen einfach am Limit sind. Dass eine Integrationsleistung eines Landes, auch Deutschlands, seine Grenzen hat. So, und das spürt man heute – in der Kita, in den Schulen. Das spürt man bei den Sprachkursen, bei den Integrationskursen, die müssen ja irgendwie von irgendwem gemacht werden. Wir stellen fest, dass wir das nicht ausreichend leisten können. Am Wohnungsmarkt merkt man das doch deutlich, die Kommunen sind überfordert."
Hintergrund: Wie bewertet das Berliner Verwaltungsgericht die Begründung der Bundesregierung für die Zurückweisung von Asylsuchenden?
Menschen, die bei Kontrollen auf deutschem Staatsgebiet ein Asylgesuch äußern, dürfen nicht ohne Durchführung des sogenannten Dublin-Verfahrens zurückgewiesen werden. Das entschied das Berliner Verwaltungsgericht am vergangenen Montag (2.6.2025).
Geklagt hatten zwei Männer und eine Frau aus Somalia. Sie reisten Anfang Mai per Zug aus Polen nach Deutschland ein und wurden am Bahnhof in Frankfurt (Oder) von Bundespolizisten kontrolliert, wie es hieß. Im Zuge dessen hätten die Reisenden ein Asylgesuch geäußert, seien aber noch am selben Tag nach Polen zurückgewiesen worden. Die Beamten hätten die Maßnahme mit der Einreise aus einem sicheren Drittstaat begründet.
Verwaltungsgericht: Deutschland muss Zuständigkeit für Asylverfahren prüfen
Die Betroffenen wandten sich daraufhin mit Eilanträgen an das Verwaltungsgericht Berlin, welches das Vorgehen der Bundespolizei schließlich für rechtswidrig befand. Die Begründung: Deutschland sei im Rahmen der sogenannten Dublin-Verordnung der Europäischen Union dazu verpflichtet, bei Asylgesuchen, die hierzulande gestellt werden, das vorgesehene Verfahren einzuhalten. Und das besagt, dass geprüft wird, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist.
Dieses Verfahren hätte in Deutschland durchgeführt werden müssen, teilte das Gericht mit. Asylsuchende könnten allerdings über den Grenzübertritt hinaus nicht verlangen, in das Bundesgebiet einzureisen. Die Dublin-Verordnung gestatte es, Verfahren an der Grenze oder im grenznahen Gebiet durchzuführen.
Die Bundesregierung begründete die Zurückweisungen mit einer Ausnahmeregel im EU-Recht. Konkret geht es um den Artikel 72 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dieser erlaubt es den Mitgliedsstaaten der EU, die europäischen Regeln zu Asyl- und Migrationsfragen – in diesem Fall die Dublin-Verordnung – vorübergehend nicht mehr anzuwenden. Die Voraussetzung: Es muss eine Gefahr für die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung" oder den "Schutz der inneren Sicherheit" vorliegen.
Bundesregierung pocht auf Ausnahmeregelung
Dieser Argumentation widersprach das Verwaltungsgericht jedoch. In der Urteilsbegründung heißt es, für eine solche Ausnahme fehle es "an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung".
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will vorerst trotzdem an den Zurückweisungen von Asylsuchenden festhalten. "Es gibt keinen Grund aufgrund einer Gerichtsentscheidung, die heute hier erfolgt ist in diesem Einzelfall, unsere Praxis zu verändern", sagte er nach dem Urteilsspruch in Berlin.
Es stimmt, dass sich die Gerichtsentscheidung ausschließlich auf den Fall der drei Asylsuchenden aus Somalia bezieht – jedenfalls rein formal. Beobachter wie der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam betonen jedoch, dass die Bewertung als reine Einzelfallentscheidung zu kurz greife. Die Begründung des Verwaltungsgerichts Berlin, so Bräutigam, gehe weit über den konkreten Fall hinaus. Sie sei sehr allgemein gefasst und ausführlich. Es gehe dort nicht nur um die konkreten Umstände der einzelnen Fälle. Offenbar war sich auch das Berliner Verwaltungsgericht der Tragweite seiner Entscheidung sehr bewusst: Wie Frank Bräutigam berichtet, habe die ursprünglich zuständige Einzelrichterin den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten "wegen grundsätzlicher Bedeutung" auf eine Kammer aus insgesamt drei Richterinnen und Richtern übertragen.
Dobrindt will bessere Begründung liefern
Innenminister Dobrindt kündigte an, den Fall in einem sogenannten Hauptsacheverfahren neu verhandeln zu wollen. In diesem Rahmen wolle er das Aussetzen der Dublin-Verordnung besser begründen. Ob er die Gelegenheit bekommt, ist aktuell aber unklar. Frank Bräutigam geht davon aus, dass das Verwaltungsgericht den Fall der drei Somalier für erledigt erklärt und die Bundesregierung ihre neuen Argumente erst vortragen kann, sobald weitere Asylsuchende wegen Zurückweisungen vor Gericht ziehen.
Als zentrales Argument für die Zurückweisung von Asylsuchenden nannte Dobrindt in unserer Sendung eine Überlastung der Kommunen in diversen Bereichen des alltäglichen Lebens. Winfried Kluth, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration, bezweifelt die Tragfähigkeit dieser Argumentation: "Ob man von der Lage in einzelnen Kommunen auf ganz Deutschland schließen kann", sei "sehr fraglich", erklärte Kluth gegenüber der dpa.
Migrationsforscher Gerald Knaus sieht das ähnlich. "Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren, bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch durchziehen will", sagte Knaus im Podcast "5-Minuten-Talk" des Magazins "Stern".
Migrationsrechtler Daniel Thym schätzt das anders ein: Seiner Meinung nach könnten die großen Herausforderungen bei der Integration Geflüchteter eine geeignete Begründung sein, warum Deutschland von den EU-Regelungen abweichen darf.
Grundsätzlich müsste aber belegt werden, dass die angespannte Lage in den Kommunen durch die Zahl neu ankommender Menschen begründet ist. Ein so deutlicher Zusammenhang ist aber in vielen Bereichen nicht festzustellen. Alexander Dobrindt sprach in der Sendung z.B. den Wohnungsmarkt an, der durch die Zuwanderung überlastet sei. Diese Analyse greift aber bei genauerer Betrachtung zu kurz. Tatsächlich gibt es zahlreiche Einflussfaktoren, die für Probleme auf dem Wohnungsmarkt sorgen.
Angespannter Wohnungsmarkt: Zuwanderung nur ein Faktor von vielen
So ist die Zahl neu gebauter Wohnungen seit Jahren zu niedrig. Dabei war die Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) 2021 mit großen Ambitionen gestartet: 400.000 neue Wohnungen pro Jahr wollte man bauen. Erreicht wurde dieses Ziel jedoch in keinem einzigen Jahr der Legislatur. Und der Trend zeigt weiter abwärts: Im Jahr 2024 wurden gerade einmal 251.900 Wohnungen fertiggestellt, wie das Statistische Bundesamt unlängst mitteilte. Das ist der niedrigste Wert seit 2015. Verstärkt wird diese Baukrise durch den allgemeinen Fachkräftemangel, steigende Baukosten, hohe Zinsen und langwierige Genehmigungsverfahren. Bundesweit fehlen aktuell mehr als eine halbe Million Wohnungen, heißt es in einer Studie des Bündnisses Soziales Wohnen.
Speziell der Bestand an Sozialwohnungen ist zuletzt stetig gesunken. Aktuell belaufe sich die Zahl in Deutschland auf etwa eine Million, sagt Dietmar Walberg, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE). Dem gegenüber ständen 23 Millionen Haushalte, die berechtigt wären, in einer Sozialwohnung zu leben. "Das ist ein beschämender Faktor", so Walberg. In den letzten Jahrzehnten sei in Deutschland zu teuer gebaut worden. Dazu komme, dass Förderungen nicht langfristig zur Verfügung stünden, was Planungen über einen längeren Zeitraum hinweg verhindere.
Zwar weisen Sachverständige wie der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) oder das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) darauf hin, dass auch die Zuwanderung in vielen Kommunen ein Faktor ist, der fraglos zu einer weiteren Anspannung des Wohnungsmarkts beiträgt. Doch wie oben gezeigt, gehen die grundlegenden Probleme auf politische Versäumnisse zurück, die erst einmal nichts mit der Migrationspolitik zu tun haben.
Vor diesem Hintergrund ist fraglich, inwieweit der angespannte Wohnungsmarkt als Argument für eine Aussetzung des europäischen Asylrechts gelten kann.
Wie geht es weiter?
Nun bleibt abzuwarten, ob das Berliner Verwaltungsgericht – wie von Alexander Dobrindt angestrebt – in einem weiteren Verfahren über die Begründung der Bundesregierung entscheiden wird. Denkbar ist auch, dass ein vergleichbarer Fall von einem anderen Verwaltungsgericht entschieden wird. Sollte z.B. ein Asylsuchender an der Grenze zu Österreich abgewiesen werden, könnte dieser vor das Verwaltungsgericht München ziehen. Theoretisch könnten die Richter den Fall dann auch dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Prüfung vorlegen, weil es in der Sache wesentlich um EU-Recht geht. Auf diese Weise würde man Klarheit auf höchster gerichtlicher Ebene herbeiführen.
Übrigens: Ob die drei Kläger aus Somalia Asyl bekommen, steht durch den aktuellen Beschluss des Berliner Gerichts nicht fest. Zunächst ging es allein um die Feststellung, welcher EU-Staat das Asylverfahren durchführen muss. Das eigentliche Asylverfahren erfolgt dann im nächsten Schritt.
Fazit: In einem Eilverfahren erklärte das Berliner Verwaltungsgericht die Zurückweisung dreier Asylsuchender an der deutsch-polnischen Grenze für rechtswidrig. Nach geltendem EU-Recht muss Deutschland prüfen, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist, heißt es in dem Urteil. Die Bundesregierung besteht hingegen darauf, eine Ausnahme machen zu dürfen, weil der Staat durch eine hohe Zahl Asylsuchender überfordert sei. Das Gericht überzeugte diese Argumentation nicht. In unserer Sendung wiederholte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) seine Begründung und verwies u.a. auf den angespannten Wohnungsmarkt in Deutschland. Zwar weisen Sachverständige darauf hin, dass Zuwanderung in vielen Kommunen durchaus ein Faktor ist, der zu einer weiteren Anspannung des Wohnungsmarkts beiträgt. Doch die grundlegenden Probleme gehen auf politische Versäumnisse zurück, die nichts mit der Migrationspolitik zu tun haben. Deshalb könnte die Gültigkeit dieses Arguments fraglich sein. Andererseits, und das müssen die Gerichte klären, könnte der Auslöser der gegenwärtigen Probleme in den Kommunen für die Begründung unerheblich sein. Ob das Berliner Verwaltungsgericht – wie von Alexander Dobrindt angestrebt – in einem weiteren Verfahren über die Begründung der Bundesregierung entscheiden wird, ist aktuell unklar.
Stand: 04.06.2025
Autor: Tim Berressem