Faktencheck zu "maischberger"
Sendung vom 01.10.2025
Faktencheck

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.
Und das schauen wir uns an:
- Wer hat den Vorschlag gemacht, den Pflegegrad 1 abzuschaffen?
Wer hat den Vorschlag gemacht, den Pflegegrad 1 abzuschaffen?
Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) und Grünen-Chef Felix Banaszak diskutierten in der Sendung u.a. über eine Reihe sozialpolitischer Fragen. In diesem Zusammenhang kritisierte Banaszak die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken dafür, die Abschaffung des Pflegegrads 1 vorgeschlagen zu haben, um die Finanzierungslücke in der Pflegeversicherung zu schließen. Frei widersprach und betonte, seine Parteikollegin habe diesen Vorschlag nicht gemacht. Die Hintergründe schauen wir uns hier genauer an.
Maischberger: "Soll der Pflegegrad 1 abgeschafft werden?"
Frei: "Wir haben eine entsprechende Kommission eingerichtet, die wird in wenigen Wochen bereits ihre Ergebnisse vorlegen, und dann werden wir sehen."
Maischberger: "Und was meinen Sie?"
Frei: "Ja, man setzt ja keine Kommission ein, wenn man glaubt, vorher schon alles zu wissen. (…) Wir werden ein paar Dinge ändern müssen, das ist, glaube ich, vollkommen klar, weil die demographische Entwicklung, der medizinisch-technische Fortschritt uns dazu zwingen, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren."
Maischberger: "Und ist der Pflegegrad 1 das Wesentliche?"
Frei: "Man kann das so pauschal nicht sagen."
Banaszak: "Ich halte das für einen Fehler. Das ist ein ganz schlechtes Signal an 863.000 Menschen, die einfach ganz normal ihr Leben weiterleben wollen, ohne jetzt in die stationäre Pflege zu gehen, aber ein bisschen Unterstützung brauchen. Und das ist einfach Ausdruck der sozial- und gesundheitspolitischen Ideenlosigkeit dieser Koalition und auch einer Ministerin, die noch gar nicht im Amt angekommen ist. Der Reformbedarf ist an anderen Stellen."
Frei: "Also, Entschuldigung, jetzt muss man ja mal eines sagen: Wer hat denn diesen Vorschlag gemacht, den Pflegegrad 1 abzuschaffen?"
Banaszak: "Frau Warken."
Frei: "Nein, das Zitat zeigen Sie mir bitte. Die Frau Warken hat das überhaupt nicht vorgeschlagen. Das stand in einer Zeitung am Sonntag, und das war’s. Ich kenne niemanden aus der Koalition, der diesen Vorschlag gemacht hätte."
Banaszak: "Aber sie hätte jetzt ja ein paar Tage Zeit gehabt zu sagen, nein, mit mir wird es das nicht geben."
Frei: "Sie hat den Vorschlag nicht gemacht, darauf können wir uns wahrscheinlich einigen."
Hintergrund: Wer hat den Vorschlag gemacht, den Pflegegrad 1 abzuschaffen?
Die Kosten für die Pflegeversicherung haben sich in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdreifacht und lagen nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums im Jahr 2024 bei 68,2 Milliarden Euro. Das sind 1,5 Milliarden Euro mehr, als man im selben Jahr über die Beitragszahlungen eingenommen hat. Und die Tendenz ist weiter steigend. Laut Bundesrechnungshof ist für das Jahr 2026 mit einem Defizit von 3,5 Milliarden Euro zu rechnen. Langfristig warnt die Behörde sogar vor einer Finanzlücke von 12,3 Milliarden Euro.
Wachsende Finanzlücke in der Pflegeversicherung
Um diese Lücke zu schließen, debattiert die Bundesregierung derzeit über mögliche Sparmaßnahmen. Am 28.9.2025 berichtete die Bild am Sonntag, dass in diesem Zusammenhang auch die Abschaffung des Pflegegrads 1 diskutiert werde. Die Zeitung berief sich in dem Bericht auf "führende Politiker von Union und SPD", ohne einzelne Namen zu nennen. Wie konkret die Pläne sind, wollte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums nicht sagen. Er verwies auf die aktuell beratende Kommission zur Pflegereform. Das Gremium will bis Mitte Oktober einen ersten Bericht vorlegen.
Was genau ist der Pflegegrad 1?
Grundsätzlich gibt der Pflegegrad an, in welchem Umfang eine pflegebedürftige Person Unterstützung erhält. Die Pflegegrade reichen von geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (Pflegegrad 1) bis zur schwersten Beeinträchtigung, die mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung einhergeht (Pflegegrad 5). Früher gab es drei Pflegestufen. Das System wurde vor knapp zehn Jahren reformiert, seit 2017 gelten die Pflegegrade. Ziel der Reform war es, Menschen mit geringem Pflegebedarf frühzeitig Hilfe zukommen zu lassen, damit auf lange Sicht nicht noch deutlich teurere Unterstützungsmaßnahmen notwendig werden, z.B. die Betreuung im Pflegeheim.
Ende 2024 waren nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums rund 863.000 Menschen im Pflegegrad 1 eingestuft. Für diese Gruppe bezahlt die Pflegeversicherung keine ambulanten Hilfen durch Pflegedienste. Diese sind den Pflegegraden 2 bis 5 vorbehalten. Allerdings haben Pflegebedürftige im ersten Grad Anspruch auf finanzielle Zuschüsse, wenn sie ihre Wohnung barrierefrei umbauen müssen. Außerdem steht ihnen ein monatlicher Entlastungsbetrag von bis zu 131 Euro zu.
Wie viel Geld sich durch die Streichung des Pflegegrads 1 einsparen ließe, ist nicht eindeutig festzustellen. Das RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung schätzt das Einsparvolumen auf rund 1,8 Milliarden Euro pro Jahr. Genaue Zahlen gibt es nicht. Denn zu berücksichtigen wären in dieser Rechnung auch Patienten, deren Zustand sich ohne Unterstützung gemäß Pflegegrad 1 so verschlechtern könnte, dass sie später deutlich teurere Pflegemaßnahmen brauchen. Klar beziffern lässt sich das nicht.
Gesundheitsministerin Warken schließt Abschaffung nicht aus
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) reagierte zunächst mit Zurückhaltung auf die Medienberichte. "Wir werden den Menschen nicht über Nacht etwas wegnehmen", sagte sie gegenüber RTL/ntv. Explizit ausschließen wollte sie eine Abschaffung des ersten Pflegegrads aber nicht. Das Pflegesystem sei eine große Errungenschaft. "Aber wir müssen jetzt notwendige Änderungen vornehmen, um auch in Zukunft den Menschen noch in gewohntem Umfang helfen zu können und das System generationengerecht zu machen", so Warken.
Widerspruch kommt aus der eigenen Regierungskoalition: SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schloss eine Abschaffung der Pflegestufe 1 kategorisch aus. Statt Leistungen zu kürzen, müsse die Effizienz im Pflege- und Gesundheitssystem erhöht werden, sagte Miersch. So könnten Milliarden eingespart werden. Auch die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Dagmar Schmidt erteilte den Überlegungen des Koalitionspartners eine deutliche Absage. "Wir wollen die Pflegeversicherung nachhaltig und langfristig auf eine stabile finanzielle Grundlage stellen. Dazu erarbeitet die Bund-Länder-Arbeitsgruppe derzeit Vorschläge, die wir abwarten müssen. Für uns als SPD ist klar: Leistungskürzungen lehnen wir ab", sagte Schmidt der Rheinischen Post.
Kritik kommt auch von der Opposition und von Verbänden. "Pflege darf nicht das Sparschwein verkorkster Haushaltspolitik sein", sagte der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen gegenüber dem Spiegel. Der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte eine mögliche Abschaffung des Pflegegrads 1 "ein fatales Signal". Denn davon seien nicht nur Menschen mit leichten Einschränkungen betroffen, sondern auch deren pflegende Angehörige.
Fazit: Wer genau den Vorschlag gemacht hat, den Pflegegrad 1 abzuschaffen, um die Finanzlücke in der Pflegeversicherung zu schließen, ist aktuell nicht eindeutig festzustellen. Medienberichte berufen sich auf "führende Politiker von Union und SPD". Konkrete Namen werden aber nicht genannt. Das Bundesgesundheitsministerium reagierte zurückhaltend auf die Berichte und verwies auf die aktuell beratende Kommission zur Pflegereform, die in Kürze erste Ergebnisse vorlegen will. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) schloss eine Abschaffung des ersten Pflegegrads nicht explizit aus.
Stand: 02.10.2025
Autor: Tim Berressem