So., 15.06.25 | 23:05 Uhr
Mehr als Nägel
Zum Tod des Künstlers Günther Uecker

Ein poetisches Spiel mit Licht und Schatten und einer ganz eigenen Dynamik – geschaffen mit einem so profanen Gegenstand wie einem Nagel. Die Reliefs von Günther Uecker sind unverwechselbar. Doch er schuf auch Lichtkunst, reagierte mit "Aschebildern" auf die Katastrophe von Tschernobyl und entwarf zahlreiche Bühnenbilder. Im Dezember 2024 wurden die von ihm entworfenen Fenster für den Schweriner Dom eingeweiht. Am 10. Juni 2025 ist Günther Uecker im Alter von 95 Jahren in Düsseldorf gestorben.
Kirchenfenster als letztes großes Werk
"Lichtbogen": Die Kirchenfenster im Schweriner Dom waren sein letztes großes Werk – Verbindung zwischen irdischer Realität und dem Blau des Himmels. "Durch Licht erhalten meine Arbeiten ihre Wirklichkeit" – das war Günther Ueckers Credo über sechs Jahrzehnte lang. Bei der Einweihung der Fenster war der Künstler im Dezember noch persönlich vor Ort und kommentierte: "Es ist immer noch in Verbindung zu sehen mit dem Suchen, Finden und dem Gestalt geben, was einem manchmal gelingt. Dass ein Werk gut gelungen ist, das ist ein freudvoller Augenblick."
Nagel statt Bleistift
Die Kirchenfenster sind ein stilles Werk. Weltberühmt wurde Günther Uecker aber mit seiner energetischen Kunst. Ein Kraftmensch, der viel ausprobiert, Gebrauchsgegenstände benagelt und anstatt in Galerien auch schon mal in Schaufenstern ausstellte. Entdeckt hat er den Metallstift als Ausdrucksmittel für seine Emotionen als junger Kunststudent. "Da fing es an, den Bleistift zu ersetzen durch einen Nagel", erzählte Uecker später "Wenn man da einen Stab hat, das gibt einen Schatten, und der wandelt sich durch das Tageslicht. Man ist in einem kosmischen Zusammenhang mit Natur verbunden, wie wenn Sie über ein Kornfeld schauen, wie ich das als Kind erlebt habe."
Kunst der Stunde Null
Poesie aus Nägeln als Verweis auf seine Herkunft, denn Uecker ist auf der Halbinsel Wustrow in Mecklenburg aufgewachsen, bodenständig, naturnah. Nach dem gescheiterten Aufstand vom Juni 1953 verlässt er die DDR und geht 1955 an die Kunstakademie in Düsseldorf, wird dort später Professor und lehrt hier über 20 Jahre Bildhauerei. Schon Ende der 50er ist Uecker Teil der Rheinischen Kunstszene, gehört zur Zero-Bewegung um Heinz Mack und Otto Piene. Eine Gruppe, die gemeinsam den Neuanfang in der Kunst sucht. Die Stunde Null als Startpunkt: ideologisch und ästhetisch.
Kulturvermittler und Vielarbeiter
Doch Uecker sucht auch immer seinen eigenen Weg, schafft mit Nägeln seine poetischen Bilder, hart und zart zugleich. Unermüdlich arbeitet er sich an die Spitze der internationalen Avantgarde. Die weiße Latzhose war sein Markenzeichen. Uecker, der Kunstarbeiter bleibt Individualist, mit viel Wut gegen das Behagliche und Eingefahrene. Er nutzt seine Kraft, zertrümmert Etabliertes. Ein Weckruf um Neues zu schaffen. Und er sucht den Kontakt zu anderen Kulturen, stellt auch in autokratischen Regimen aus. Ein Kulturvermittler, der den Dialog jenseits politischer Grenzen anregt. Vietnam, China, Iran, Ägypten, Kuba. – 57 Länder in 20 Jahren. "Da habe ich natürlich die Fähigkeit im Bildnerischen etwas in die Welt zu stellen, das unübersehbar ist und das in besten Fällen dann doch zum Dialog führt. Und das ist glaube ich das, was die Kunst leisten kann", erklärt er 2015. Günther Uecker, ein Weltkünstler mit humanitärer Botschaft: Zeichen setzen, wo Sprache versagt. Das trieb den Vielarbeiter immer an.
Autor: Dirk Fleiter
Stand: 13.06.2025 15:06 Uhr
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