So., 15.06.25 | 23:05 Uhr
Das Auge der Republik
Der Fotograf Jupp Darchinger

Der Fotograf Jupp Darchinger prägte das visuelle Gedächtnis einer ganzen Epoche: Vom Wirtschaftswunder der Adenauer-Ära bis zur Wiedervereinigung Deutschlands begleitete er das politische Geschehen der Bonner Republik kritisch mit seiner Kamera. Anlässlich des 100. Geburtstags des Bildjournalisten zeigt das LVR-Landesmuseum Bonn bis zum 14. September 2025 die Ausstellung "Jupp Darchinger. Das Auge der Republik". ttt war dort und hat mit Klara Niemann, freie Kuratorin für die Friedrich-Ebert-Stiftung, die die den Nachlass von Jupp Darchinger bewahrt und erschließt und der Kuratorin Adelheid Komenda vom LVR-Landesmuseum Bonn gesprochen.
Warten auf den perfekten Moment

Bonn und das Regierungsviertel sind Jupp Darchingers Biotop – über 40 Jahre lang. Der Autodidakt arbeitet freiberuflich. Seine Gabe: wirklich in den Kontakt gehen und dennoch Distanz halten. Und das heißt auch oft: Stundenlang warten, immer auf der Suche nach dem einen Moment, der ein Foto besser macht. So fängt er Helmut Schmidt ungewohnt verwegen ein, hält 1981 fest, wie Erich Honecker ihm in Güstrow am Bahnhof ein Bonbon in die Hand drückt. "Das ganze Treffen verlief politisch relativ ereignislos. Er hat gesehen: okay, hier passiert nichts mehr, hier ist alles vonseiten der DDR gestellt, das ist alles uninteressant – ich gehe schon mal an den Bahnhof und warte", so die freie Kuratorin für die Friedrich-Ebert-Stiftung Klara Niemann. Gemeinsam mit Adelheid Komenda verantwortet sie die Bonner Ausstellung über den Fotografen.
Zwei Kuratorinnen, zwei Generationen

"Für mich ist es so, dass ich mir die historischen Kontexte erarbeiten muss, während meine Kollegin sich dann direkt an gewisse Dinge erinnert", so Niemann. Adelheid Komenda vom LVR-Landesmuseum Bonn ist im Osten der Republik sozialisiert: "Das ist einfach ein großes Thema, so oder so schon für mich gewesen. Darchinger hat auf einer Rückseite auf einer Bildbezeichnung geschrieben, dass es so visionär von Brandt war, was er da mit der sozialliberalen Koalition, mit den Ostverträgen auf den Weg gebracht hat, dass das letzten Endes vielleicht mal zu einer deutschen Einheit führen könnte. Das muss man sich mal vorstellen: wir sprechen von 1972."
Politik rein männlich
Zu Darchingers Zeit war Politik eine Boygroup. Wo man hin schaut: Anzüge und Krawatten. Frauen wie Annemarie Renger oder Gesundheitsministerin Käthe Strobel waren Ausnahmen. Das Unternehmen Darchinger war ein Familienbetrieb. Ehefrau Ruth schmiss den Laden. Von der Retusche bis zum Versand. "Zum Beispiel so’n bisschen Pickelchen, die nicht immer vorhanden sind beim Menschen, sondern grad während der Aufnahme, die schabe ich dann mit der Rasierklinge weg", erzählte Ruth Darchinger 1986. Manchmal greife sie auch in seine Bildauswahl ein und nehme Bilder die ihr nicht ganz passend erschienen vor dem Versand aus dem Umschlag.
Chronist einer Epoche

Die Ausstellung in Bonn holt eine Zeit zurück, in der Politiker noch spontaner und nahbarer sein konnten. Ein Foto von Darchinger zeigt, wie die erste große Koalition an einem warmen Julitag 1967 spontan entscheidet, im Park des Palais Schaumburg zu tagen. Der Sozialdemokrat Darchinger hat das ganze Spektrum der demokratischen Parteien abgebildet. Ohne Ausnahme. Ob er heute die AfD fotografiert hätte? Adelheid Komenda glaubt, er hätte das abgelehnt, „weil das einfach mit seinem Gewissen, mit seiner inneren Haltung nicht vereinbaren kann. Job hin oder her.“ Klara Niemann ergänzt: "Aber ich glaube nicht, dass er sie innerhalb des Bundestages ignoriert hätte. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen." "Da hätte er nicht retuschieren lassen", meint auch Adelheid Komenda.
Wer zu nah ran geht sieht nichts, war Jupp Darchingers Credo. Mit dieser Methode wurde er zum Chronisten einer Epoche – das Auge der Republik halt.
Autorin: Anke Rebbert
Stand: 14.06.2025 20:39 Uhr
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