SENDETERMIN So., 15.06.25 | 23:05 Uhr

Schuld und Verantwortung

Der Roman "Ungebetene Gäste" von Ayelet Gundar-Goshen

Sitzende Frau mit Buch auf dem Scho vor Pflanzenhintergrund
Ayelet Gundar-Goshen, Autorin | Bild: WDR

Ein Hammer fällt von einem Balkon und erschlägt einen Jugendlichen. Verhaftet wird der arabische Handwerker – zu Unrecht. In der Atmosphäre von Angst und Vorurteilen entstehen Rache und Gewalt. Und das, obwohl Naomi die Wahrheit kennt. Aber sie schweigt. Ayelet Gundar-Goshen inszeniert in ihrem neuen Roman "Ungebetene Gäste" den inneren Konflikt einer jungen Mutter und spiegelt in den daraus entstehenden Ereignissen die aktuelle Lage in ihrem Heimatland Israel.

Die 1982 geborene Ayelet Gundar-Goshen studierte Psychologie in Tel Aviv, später Film und Drehbuch in Jerusalem. Neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin und Drehbuchautorin arbeitet sie als Psychologin. ttt hat Ayelet Gundar-Goshen in Tel Aviv getroffen.

Menschliche Abgründe

Das Buch "Ungebetene Gäste" von Ayelet Gundar-Goshen am Strand.
Buch "Ungebetene Gäste" von Ayelet Gundar-Goshen | Bild: WDR

Ayelet Gundar-Goshen hat einmal gesagt, sie habe ein "tanzendes Herz," das immerzu hüpfen will. Das klingt fröhlich – in ihren Büchern aber öffnen sich Abgründe. Sie arbeitet auch als Psychologin, therapiert traumatisierte Menschen. Mit dieser psychologischen Expertise beleuchtet sie auch ihre Romanfiguren: "Die einzige Literatur, die ich schreiben möchte, ist die, die von der dunklen Seite des Menschseins erzählt; davon, worüber Menschen nicht reden wollen", so die Schriftstellerin. Das Schweigen, die Lügen benutzt sie, um den wahren Kern ihren Figuren offenzulegen – scheinbar gute Menschen: Ein Arzt begeht Fahrerflucht, ein Mädchen erfindet eine Vergewaltigung oder ein schüchterner Schüler: vielleicht ein Mörder? So thematisiert sie Rassismus, Missbrauch und Mobbing. Und nun in ihrem neuen Buch "Ungebetene Gäste", reißt eine junge Mutter mehrere Familien ins Unglück. "Diese 'Ungebetenen Gäste' sind die, die deine gesamte Existenz herausfordern: Ein Gast von der anderen Seite der Grenze oder jemand aus deiner Vergangenheit, ein ehemaliger Liebhaber", sagt Gundar-Goshen.

Angst vor dem Fremden

Hammer auf einer Balkonbrüstung.
Der Hammer eines Handwerkers ist Auslöser der Ereignisse. | Bild: WDR

Manchmal aber seien auch die eigenen Erinnerungen wie ungebetene Gäste. Das Buch beginnt mit einer Situation, die sie selbst erlebt hat, als junge Mutter: Ein palästinensischer Handwerker ohne Arbeitserlaubnis saniert die Wohnung der Familie. Plötzlich hat sie Angst, so allein mit dem Baby und dem Fremden, erschrickt über ihre ungewollt rassistische Reaktion – und ist deshalb besonders gastfreundlich. Dann im Radio die Nachricht, dass ein arabischer Handwerker einen Wohnungsbesitzer mit dem Messer attackiert hat. "Ich habe diesen Mann angeschaut und dachte: vielleicht hat er genauso viel Angst wie ich", erzählt die Autorin, "er hat die Nachricht auch gehört und weiß, dass ich vor ihm Angst habe und, dass ich ihm gefährlich werden kann, wenn ich zu viel Angst habe." Diese Situation spitzt sie im Roman zum tödlichen Drama zu. In einem unbeobachteten Moment schubst der Einjährige den Hammer vom Balkon... dieser erschlägt einen Teenager. Sofort fällt der Verdacht auf den palästinensischen Handwerker: Ein Attentäter! Naomi weiß, dass er es nicht gewesen sein kann. Doch sie schweigt.

Was machen wir mit unserer Schuld?

Naomi repräsentiere sehr stark die israelische Geschichte; eine Geschichte, die auf Angst und Traumata basiere, so die Autorin. "Und unsere Fähigkeit als Nation, den anderen nicht als Bedrohung wahrzunehmen – diese Fähigkeit ist seit dem 7. Oktober dramatisch beeinträchtigt." Naomis Schweigen zerstört das Leben ihrer Familie ebenso wie das der palästinensischen; der Sohn des Handwerkers fordert deshalb eine Entschädigung. Nach dem 7. Oktober konnte Ayelet Gundar-Goshen dieses Buch nicht weiterschreiben; sie wollte nur noch als Therapeutin helfen. Doch dann hat sie verstanden, wie wichtig ihre Geschichte gerade jetzt ist, für diese im Hass gespaltene Gesellschaft. Sie sagt: "Es war plötzlich kein intellektuelles Gedankenspiel mehr über Machtverhältnisse oder Schuld. Es war echtes Leben! Die Frage: was machen wir mit unserer Schuld?"

Foto eines schwarzen Mannes im Anzug und eines weißen Mannes in Uniform in einem Buch.
Ayelet Gundar-Goshen auf Spurensuche. | Bild: WDR

Um ihrer Schuld zu entkommen, zieht Naomis Familie nach Lagos in Nigeria. Ein medizinisches Notfall-Zentrum für die israelische Luftwaffe soll aufgebaut werden. Doch das "humanitäre" Engagement wirft Fragen auf – mehr soll nicht verraten werden. Die Geschichte ihres Großvaters hat die Autorin inspiriert: er hat für den Mossad gearbeitet und war mit Idi Amin befreundet, bevor dieser zum Diktator wurde. Ihr Opa: ein Idealist – aber auch so ein 'ungebetener Gast'. Er wollte Afrikas Befreiungsbewegung stärken und hat ihre Armeen trainiert. Hunderttausende starben später unter der Gewaltherrschaft von Idi Amin.

Kreislauf der Rache

Portrait einer Frau mit braunen Locken.
Die Schriftstellerin Ayelet Gundar-Goshen | Bild: WDR

"Die zentrale Frage des Romans ist, ob wir dazu verdammt sind, diesen Kreislauf der Rache ewig zu wiederholen? Oder haben wir eine Chance, zu heilen? Schaffen wir es, den Kreislauf zu stoppen?", fragt Ayelet Gundar-Goshen. Sie will diesen Kreislauf durchbrechen. Woche für Woche geht sie zu den Demonstrationen: kämpft für die Freilassung der Geiseln und gegen diesen Krieg. "Was gerade in Gaza passiert, das ist ein Kriegsverbrechen! Diese Regierung, die sich um die Menschen sorgen sollte, entscheidet sich tagtäglich dafür, die eigenen Leute im Stich zu lassen und das andere Volk durch Massenmord zu vernichten. Es ist ein andauerndes Trauma. Ich schäme mich, auf der Seite zu sein, die diese Kriegsverbrechen begeht", so die Schriftstellerin. Als Autorin weckt sie Mitgefühl für vermeintliche Feinde. Als politischer Mensch schlägt ihr Herz für die kämpferische Wut, um etwas zu verändern.

Autorin: Petra Dorrmann

Buchtipp
Ayelet Gundar-Goshen: Ungebetene Gäste
Kein & Aber
320 Seiten, 25 Euro
ISBN: 978-3-0369-5063-1

Lesereise
12. September 2025, Orell Füssli Zürich Bellevue
15. September 2025, Literarischer Salon Hannover
16. September 2025, Literaturhaus Köln
17. September 2025, Literaturhaus Stuttgart
18. September 2025, Literaturhaus München
19. September 2025, Buchhandlung Pustet, Regensburg
21. September 2025, Literaturhaus Basel

Stand: 14.06.2025 21:23 Uhr

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So., 15.06.25 | 23:05 Uhr

Produktion

Westdeutscher Rundfunk
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