So., 10.08.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Proteste in Serbien
Wachsender Druck auf die Kulturszene

Seit Monaten wird in Serbien protestiert: gegen Korruption, Machtmissbrauch und den autoritären Regierungsstil von Präsident Aleksander Vučić. Auslöser war der Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad im November 2024. Die Reaktion der Führung auf die Proteste wird immer heftiger – und zunehmend gerät auch die Kulturszene unter Druck. ttt hat in Novi Sad die Journalistin Ksenija Pavkov getroffen und in Belgrad die erfolgreiche Theatermacherin Maja Pelević sowie den Schriftsteller und Philosophen Dejan Atanacković.
Zustände wie in Belarus

Maja Pelević ist eine bekannte Theatermacherin. Nun trifft man sie in Belgrad meist bei Protesten. Mit ihren Blockaden prägen Studierende die Bewegung von Anfang an. Auch Maja blockiert. Sie engagiert sich jetzt in einem Bürgerrat und will erst wieder Theater machen, wenn das Regime gestürzt ist und sagt: "Wenn wir die Regierung nicht spätestens innerhalb des nächsten Jahres stürzen, dann wird das hier wie Belarus, es wird ein schrecklicher Ort sein, um zu leben. Denn die Repressionen der Regierung werden immer schlimmer. Sie werden die Kulturinstitutionen platt machen, das serbische Filmzentrum, alles würde den Bach runtergehen."
Durchhalten!

Der Schlachtruf der Bewegung: Pumpaj – Pumpen –steht fürs Durchhalten. Immer mehr Bürger machen mit, seit neun Monaten! Gegen die autokratische Regierung wird seit Jahren demonstriert, aber diese Proteste sind anders. Der Auslöser: ein verpfuschter Bahnhofsvorbau in Novi Sad, 16 Menschen starben. Korruption und Misswirtschaft, wie so oft. Dieses Mal war es einfach zu viel. Die Journalistin Ksenija Pavkov berichtet von Anfang an über die Proteste für N1, einen unabhängigen TV-Sender. 90 Prozent der Medien sind in der Hand der Regierung. Eine ganze Reihe Boulevardzeitungen würden von der Regierung finanziell unterstützt, erzählt sie, ihr einziger Zweck sei es Kritiker des Regimes ins Visier zu nehmen, zu schikanieren und zu verteufeln. Wer für andere, unabhängige Medien, arbeitet, lebt gefährlich. Sie fühle sich nicht sicher, wenn sie mit ihrem N1-Mikro unterwegs sei, sagt auch Ksenija Pavkov, "ich wurde schon mehrfach von Wildfremden auf der Straße körperlich angegriffen, belästigt, sogar mit dem Tod bedroht, nur weil ich Journalistin bin." Die Angriffe würden mehr und heftiger.
Kultur als Feind

Auch die Kultur wird unter Druck gesetzt, etwa "Exit" in Novi Sad, eines der bedeutendsten Musik-Festivals Europas. "Exit" unterstützt die Proteste, gibt Studierenden gar die Bühne. Die Regierung hat alle Gelder gestrichen, das Festival wird Serbien verlassen. "Jeder, der sich mit den Studierenden und Bürgerprotesten solidarisiert hat, wurde bestraft", meint der Schriftsteller Dejan Atanacković "diese ignorante Regierung sieht die Kultur als Feind. Das regierende Regime hat nur ein wesentliches Ziel: öffentliche Gelder zu stehlen." Dejan Atanacković ist auch Künstler und Aktivist und wird gehandelt als einer der Experten für eine mögliche Übergangsregierung. Lange hat er für den Erhalt der Save-Brücke gekämpft. Das Wahrzeichen Belgrads wird geopfert für ein dubioses Bauprojekt. Die Brücke war auch ein Symbol für Serbiens komplexe Geschichte in der NS-Zeit. Die Brücke sei ein Opfer von Korruption, ein Opfer der kriminellen Pläne der Regierung und zugleich ein Opfer der Absicht der Regierung, einen wichtigen Teil der antifaschistischen Geschichte der Stadt auszulöschen, meint Atanacković, "wir haben es mit einem räuberischen Regime zu tun."
Denkmal für die Korruption
Dejan Atanacković kämpft seit Jahren gegen den kulturellen Raubbau. Der schöne historische Bahnhof etwa wurde stillgelegt, dafür beherrscht ein grotesk überdimensioniertes, nationalistisches Denkmal den Platz. "In Wahrheit ist dies ein riesiges Denkmal für die Korruption des Regimes von Aleksandar Vučić", empört sich Dejan Atanacković, "so viele Gelder, die eigentlich für die Kultur gedacht waren, wurden in den letzten Jahren für reine Geldwäsche missbraucht."
Zuversicht
Das Regime wehrt sich mit allen Mitteln gegen die Proteste, lehnt Neuwahlen ab. Die sind die zentrale Forderung der Protestierenden. Bei den letzten Demos zeigte sich zugleich, dass die Bewegung vielstimmiger wird. In Novi Sad, an der Uni, wo viele Studierende seit Monaten leben, planen sie jetzt kleinere Aktionen und setzen auf den Herbst. "Diese Menschen werden nicht klein beigeben. Ich glaube, dass die Proteste ab September sogar noch größer werden und noch mehr Menschen mitmachen", prognostiziert die Journalistin Ksenija Pavkov und die Dramatikerin Maja Pelević ist sich sicher: "Diese Bewegung ist nicht zu stoppen. Weil wir alle uns vollkommen bewusst sind, dass wir am Ende erfolgreich sein werden."
Autorin: Claudia Kuhland
Stand: 09.08.2025 19:04 Uhr
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