So., 10.08.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
„Die echtere Wirklichkeit“
Raphaela Edelbauers Roman über eine philosophische Terrorgruppe

Die Aktivistengruppe Aletheia kämpft für die absolute Wahrheit. Denn ihrer Meinung nach sind Verschwörungstheorien, Fehlinformationen und alternative Wahrheiten die größten Probleme unserer Zeit. Durch künstlerische Interventionen will die Gruppe die Öffentlichkeit bekehren – doch reicht das aus? Sie müssen radikaler werden. So absurd der Roman "Die echtere Wirklichkeit" auch ist, spiegelt er doch unsere Gegenwart mit ihren salonfähig gewordenen Fake News. ttt hat Raphaela Edelbauer in ihrer Heimatstadt Wien getroffen.
Alles kreist um die Wahrheit
Bewusst unscharf und ein bisschen absurd klingt "Die echtere Wirklichkeit", der Titel des neuen Romans von Raphaela Edelbauer. Und so hat auch die Geschichte, in deren Mittelpunkt der Begriff der Wahrheit steht, immer einen doppelten Boden. "Ich habe das Gefühl, dass in den letzten zehn Jahren die Frage nach der Wahrheit immer akuter geworden ist. Einfach indem ihre Rahmenbedingungen, die sagen wir vor einiger Zeit noch vom sogenannten gesunden Menschenverstand, was auch immer das ist, geregelt wurden, sich Stück für Stück auflösen", meint Raphaela Edelbauer.
Philosophische Aktivisten
An der Universität Wien hat die 35-jährige ihren Master in Philosophie gemacht. Die traditionsreiche Uni ist ein wichtiger Schauplatz ihres vierten Romans. Im Mittelpunkt steht die Aktivistengruppe Aletheia, die für die absolute Wahrheit kämpft. Zwei Männer, zwei Frauen, schräge, studierte Typen geeint in der festen Überzeugung, dass Verschwörungstheorien und alternative Wahrheiten die größten Probleme unserer Zeit sind. Zu dieser prekär lebenden Kommune stößt eine junge, querschnittgelähmte Frau, die sich – zumindest scheinbar – den philosophischen Zielen der Gruppe verschreibt.
Ist die Wahrheit aus der Mode?
Im Zentrum des Romans steht die Frage, was die Lüge so salonfähig gemacht hat, dass sie sich auf der politischen Bühne ungeniert als Waffe einsetzen lässt. Und die Frage: Warum die Wahrheit scheinbar so aus der Mode gekommen ist?
Raphaela Edelbauer zieht die Verbindung zwischen Fiktion und Realität: "Donald Trump hat natürlich in seiner ersten Amtszeit schon sehr vieles anklingen lassen von dem, was im Roman vorkommt. Und Corona war auch ein sehr wichtiges Thema. Das ist schon was Systematisches. Wenn wir an Wladimir Putin denken und daran, dass man den Krieg nicht als Krieg bezeichnen kann und dadurch versucht wird, an der Wirklichkeit zu schrauben, dann ist das etwas, das sich durchzieht durch die Politik."
Bomben für Fakten
Aus Aktivisten werden im Laufe der absurd-witzigen Handlung philosophische Terroristen, die nicht länger nur mit Worten kämpfen, sondern auch Bomben bauen. Edelbauer macht aus dieser Gruppe selbstgerechter Fanatiker keine Helden, im Gegenteil. Und dennoch formulieren sie Thesen, die durchaus mit Edelbauers eigener Sicht auf den grassierenden Wahrheits-Verlust übereinstimmen: "In einer Gesellschaft, wo es überhaupt keine festen Daten mehr gibt, auf die wir uns einigen können, versagt der Diskurs. Und das ist etwas, das wir in den letzten Jahren verstärkt gesehen haben. Meiner Ansicht nach, dass erstens unter den verschiedenen Lagern überhaupt keine Verständigung über die absolut basalen Fakten mehr möglich ist und auf der anderen Seite, dass es als sehr liberal gesehen wird, Wahrheit in einer absoluten Minimalvariante oder in gar keiner Variante mehr zu vertreten."
Rätselhafte Geschichte
Kommt es am Ende tatsächlich zu einem Anschlag auf das österreichische Parlament und die Universität? Und ist die Ich-Erzählerin überhaupt diejenige, die sie vorgibt zu sein? Die spannende Auseinandersetzung mit philosophischen Themen verbindet sich mit einer immer unwirklicheren und rätselhafter werdenden Geschichte. Es gibt in diesem Roman keine einfachen Antworten und schon gar keine einfache Logik.
Autor: Peter Scharf
Stand: 07.08.2025 15:37 Uhr
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