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Ein Roadtrip durch Slowenien

Unterwegs mit den spannendsten Schriftstellern des Ehrengast-Landes

PlaySloweniens Hauptstadt Ljubljana bei Nacht – Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2023.
Ein Roadtrip durch Slowenien  | Video verfügbar bis 22.10.2024 | Bild: hr


Man muss erst durchs Dunkel, bevor sich die Schönheit zeigt: Ein Roadtrip nach Slowenien.

Ein Land voll überwältigender Natur. Hier wollen wir sie treffen, die interessantesten Schriftsteller dieses einzigartigen europäischen Schmelztiegels. Eine Gesellschaft zwischen sozialistischer Vergangenheit und einer Gegenwart der Vielen.

„Unsere Sprache ist die wichtigste Bastion unserer Kultur“, sagt Pia Prezelj, Schriftstellerin.

„Ich glaube nicht, dass es so etwas wie historisches Schreiben überhaupt gibt – all mein Schreiben ist immer auch Schreiben über das Jetzt, weil ich über existenzielle Probleme, weil ich über Menschen schreibe“, sagt Drago Jančar, Schriftsteller

„Das Gedicht kann alles, es ist überall, es ist da! Nur wir haben zu oft das Ohr für das Gedicht verstopft. Wir müssen es öffnen“, sagt Aleš Šteger, Lyriker, Autor und Verleger.

Rechtspopulismus? Abgewählt!

Slowenien ist angenehm anders drauf als der Rest Europas. Die Menschen hier haben letztes Jahr den Rechtspopulismus und Ministerpräsident Janez Janša abgewählt.

Und gerade auch eine Naturkatastrophe überstanden, gemeinsam. „Die Überschwemmungen, die Slowenien im August heimsuchten, betrafen zwei Drittel des ganzen Landes. Es war die größte Naturkatastrophe seit der Unabhängigkeit.

Und in diesem Fall hat es auch gezeigt, dass es in Slowenien zwar oft Neid und Missgunst gibt, aber in kritischen Momenten auch Solidarität“, sagt Pia Prezelj.

Sie hat einen hochgelobten Debütroman geschrieben: „Schweres Wasser“. Über das Leben auf dem Land – fern der Touri-Pfade. Eine fiktive Geschichte über das Dorf ihrer Kindheit, die von der einfachen Witwe Ida erzählt. Ihr Leben folgte den Regeln des Dorfes – Ehemann, Nachbarn, Kirche. Die Freiheit, ihr eigenes Leben zu leben, hatte sie nicht. Eine Geschichte, die für viele Frauenleben in der Peripherie Sloweniens steht.

„Ich werde oft gefragt, warum ich die Geschichte an einem solchen Ort spielen lasse. Warum erzähle ich eine Geschichte über eine Frau, die in ihrem Leben eigentlich nichts Außergewöhnliches geleistet hat? Und ich sage immer, dass genau das der Grund ist. Weil diese Geschichten erzählt werden müssen, weil sie im Prinzip nicht oft genug erzählt werden. Und weil auch Menschen, die keine Geschichte geschrieben haben, normale Frauen, es wert sind, literarisch behandelt zu werden“, sagt Pia Prezelj.

Debatten anstoßen

Goran Vojnović, Bestsellerautor und Regisseur in Ljubljana zu. Er hat der Vorstadtjugend – den „Čefurji“ – eine Stimme gegeben. Sein Roman und späterer Film „Čefurji raus!" waren ein Skandal. „Čefurji“ ist das Schimpfwort für Gastarbeiter aus den ehemaligen jugoslawischen Nachbarstaaten. „Ich glaube, sie brauchten etwas, was richtig widerlich und ätzend klang: „Čefurji“. Etwas, das stinkt, allein wenn man es ausspricht“, sagt Goran Vojnović.

Vojnović, der selbst kroatisch-bosnische Wurzeln hat, stieß dadurch eine überfällige Debatte an, über die Diskriminierung von Nichtslowenen. Jetzt hat er eine Fortsetzung geschrieben: "18 Kilometer bis Ljubljana". Seine Romane verhandeln Fragen von Zugehörigkeit, die viel mit dem Zusammenbruch Jugoslawiens zu tun haben. „Plötzlich konnte man nicht mehr Jugoslawe sein, weil es den Staat nicht mehr gab, und dann wurde in den 1990er Jahren eine sehr grausame Option eingeführt. Entscheide dich! Bist du Slowene, bist du Bosnier, was bist du? Im Grunde genommen haben wir damals alle einen Prozess durchlaufen, in dem wir unsere eigene Identität neu definieren mussten.“

Auch Suzana Tratnik schreibt darüber, was es heißt, in Slowenien zu den vermeintlich „Anderen“ zu gehören. Sie zeigt ein Foto, „das stammt aus dem Lesbenclub Monokel in den 1990er Jahren.“

Lesbisches Leben in Slowenien

Einst das zweite Wohnzimmer der Schriftstellerin und Aktivistin. Und auch zentraler Ort des Geschehens in ihrem Buch „Die Pontonbrücke“. Ein Roman über Partys, Drogen und lesbisches Leben. Er spielt hier in Metelkova, einer alten Kaserne – bis heute das alternative Kulturzentrum in Ljubljana.

„Ich wollte eine Geschichte erzählen, die sich in den 1990er Jahren in einer Lesben- beziehungsweise LGBT-Szene abspielte. Eine Lebensweise, die, wie ich sagen würde, in Slowenien immer noch ziemlich unsichtbar ist. Es gibt zwar schon Vorstellungen davon, wie das Leben für Schwule und Lesben hier sein könnte. Aber ich wollte eine Geschichte aus erster Hand erzählen, wie es wirklich ist - die ich noch nicht gelesen hatte und von der ich nicht glaube, dass sie jemand anderes hätte erzählen können“, sagt Suzana Tratnik.

Aleš Šteger: Dichter, Verleger, einer der bekanntesten slowenischen Schriftsteller. Wie blickt er auf sein Land, wie frei ist Slowenien? „Ich finde zum Beispiel die heutige Zeit viel weniger frei als zum Beispiel die 90iger, die frühen 2000er, wo wirklich so viel möglich zu sein schien.“

Die Vergangenheit Sloweniens ist kompliziert

Die Zeit des großen systemischen Umbruchs – das sogenannte „Ende der Geschichte“, das keines war. Es ist wohl kein Zufall, dass gerade jetzt sich wieder alle daran erinnern.

Drago Jančar, der große Erzähler, gräbt sich in seiner Literatur noch tiefer in die komplizierte slowenische Vergangenheit und öffnet damit den Blick für das, was heute wichtig ist.

„Ich denke, das ist die Aufgabe von Schriftstellern, Intellektuellen, Journalisten - von allen: für Toleranz zu arbeiten, es gibt keinen anderen Weg. In Slowenien ist es aber gerade so, egal worüber wir reden - zum Beispiel über Probleme im öffentlichen Nahverkehr – dass wir uns in Diskussionen verstricken, die damit enden, dass wir über den Zweiten Weltkrieg sprechen.“

Wer durch Slowenien reist, reist durch europäische Geschichte. Ein Land, für das Literatur existenziell ist. Nicht das Denkmal eines Kriegshelden, sondern dass eines Dichters steht im Zentrum der Stadt. Lange war Slowenien Spielball anderer. Hier weiß man sehr genau, wie sich Unfreiheit anfühlt. Im Schreiben liegt hier immer auch die Kraft des Widerstands. 

„Freiheit ist nie etwas Gegebenes, sie muss immer wieder erkämpft werden“, sagt Aleš Šteger.


Beitrag: Sven Waskönig

„18 Kilometer bis Ljubljana“
Goran Vojnović
Folio Verlag, 2023
26,00 Euro

„Das Lachen der Götter“
Aleš Šteger
Wallstein Verlag, 2023
22,00 Euro

„Die Pontonbrücke“
Suzana Tratnik
Konkursbuch Verlag, 2023
14,00 Euro

„Als die Welt entstand“
Drago Jančar
Hanser Literaturverlage, 2023
26,00 Euro

Stand: 23.10.2023 15:27 Uhr

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