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„Zauber der Stille“

Florian Illies‘ wunderbares Buch über Caspar David Friedrich

Play„Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (1818) befindet sich in der Hamburger Kunsthalle.
„Zauber der Stille“ | Video verfügbar bis 22.10.2024 | Bild: hr

Die Frankfurter Schirn ist der Tatort der vielleicht unglaublichsten Räuberpistole, die sich rund um Caspar David Friedrich zugetragen hat. Am 29. Juli 1994 berichtet die Tagesschau vom Diebstahl dreier Gemälde von William Turner und Caspar David Friedrich. Die Täter waren spurlos entkommen.

Florian Illies, Autor, Journalist und Kunsthistoriker, erzählt von der schnellen Verhaftung der Diebe, die offenbar mit der jugoslawischen Mafia in Kontakt standen. Zwei der Gemälde von William Turner seien irgendwann von Scotland Yard in Frankfurt gefunden worden. Der Friedrich aber sei weiterhin verschwunden geblieben.

Das ist nur eine von vielen Anekdoten und Geschichten über Caspar David Friedrich, die Florian Illies in akribischer Detektivarbeit recherchiert hat. Er wollte herausfinden, wer er war, dieser große Maler der deutschen Romantik.

Der Mensch hinter den weltberühmten Bildern

Es ist ihm für seinen neuen Roman „Zauber der Stille“ fulminant gelungen. Illies kommt Friedrich nah, lässt den Menschen hinter den weltberühmten Bildern hervortreten. Illies charakterisiert Friedrich:Das war, würde man heute sagen ein Sonderling, ein schwerer Melancholiker, depressiv eventuell. Und was das alles leider verstärkt hat: Er war bettelarm eigentlich. Er hatte eine kurze Periode seines Lebens, wo seine Bilder verkauft wurden, aber davor und danach hatte er nie Geld und musste sich irgendwie über Wasser halten.“

Nach seinem Tod wird Caspar David Friedrich lange vergessen. Auch, weil viele seiner Bilder verbrannt sind. Zum Beispiel 1931 beim verheerenden Feuer im Münchner Glaspalast. 110 romantische Gemälde wurden hier zu Asche, neun davon von Friedrich. Feuer, Wasser, Erde, Luft. Das mal Gewaltvolle, mal Zarte in der Natur – ihm hat Friedrich seine ganze Malerei gewidmet. Die vier Elemente sind auch der rote Faden in Illies‘ Buch.   

Im 20. Jahrhundert werden Friedrichs Landschaften wiederentdeckt, aber völlig unterschiedlich interpretiert. Illies erklärt weiter: „Walt Disney war so fasziniert von diesen Landschaften von Friedrich, dass er seinen Zeichnern sagte, Bambi darf nur durch Landschaften laufen, die sehen aus wie Friedrich.“

Seine Kunst wird instrumentalisiert

Doch diese Landschaften, sie werden bald auch zu propagandistischen Zwecken genutzt.

In den Dreißigern instrumentalisieren die Nazis Friedrich. Hitler glaubt, in diesen Alpengemälden das „Urgermanische“ zu erkennen. Dass Friedrich obendrein selbst nationalistisch war und die französischen Besatzer seiner Heimat gehasst hat, macht ihn für die Nazis zum Helden.

„Als die deutschen Soldaten in den Krieg zogen in den 40er Jahren, da gab es eine kleine Broschüre, das Büchlein, ein Caspar David Friedrich-Almanach.“, verrät Illies. „Den konnten Sie sich und sollten Sie sich hier in die Brusttasche Ihrer Uniform stecken. Da waren 30 Schwarz-Weiß-Aufnahmen der wichtigsten Friedrich Gemälde drin, und da standen auch Texte wie: Das ist die Kunst, die sollt ihr verteidigen, das ist unser Deutschland, für das ihr jetzt kämpft. Also er wurde wirklich zu einem Bild gewordenen Symbol für Germanien, für das Nordische, das Deutsche, was an der Front des Zweiten Weltkriegs verteidigt werden musste.“

Klimaprotest in Museen

Heute verstehen Friedrichs Kunst manche wieder ganz anders: Den „Wanderer über dem Nebelmeer“ haben zum Beispiel dieses Jahr Klima-Aktivisten zum Teil ihres Protests gemacht, um auf die Zerstörung unserer Wälder aufmerksam zu machen.

„Die sehen in ihm plötzlich den Mensch, der die Natur sieht, liebt, der schon im Jahr 1810, 1820, also vor 200 Jahren, die Natur als etwas Gefährdetes sieht, als etwas Kostbares, was wir bewahren müssen, obwohl die ganze Industrialisierung noch gar nicht angefangen hat. Da ist er wirklich prophetisch in seiner Weise, wie zärtlich, wie ernsthaft, wie liebevoll er mit Natur umgeht. “, kommentiert der Autor die Aktionen.

Friedrich fühlt sich in der Natur auch dem Göttlichen verbunden und lässt dieses Gefühl in seine Bilder einfließen. Genau dieses Transzendente, Melancholische macht seinen Zeitgenossen Goethe wütend. Der Maler buhlt um die Gunst des großen Dichters. Goethe aber will erhebende Kunst.

Florian Illies erklärt den Zwist des großen Dichters: „Es gibt einen Wutausbruch von Goethe, der 1815 stattfindet. Da sagt er: Diese Bilder von Friedrich machen ihn wahnsinnig. Er hätte sie an der Tischkante zerschlagen können, weil er diese Schwermut nicht mehr aushält. Dieses Zitat habe ich gefunden. Und dann haben wir geguckt: Was könnte das denn für ein Bild sein, das er da so auf der Tischkante zerschlagen hat? Und dann findet man lustigerweise in Weimar im Museum ein Bild, das einmal sehr groß war, nämlich so breit. Es ist inzwischen aber nur noch so schmal, es zeigt nur noch einen Mond und die Gebirgs-Gipfel. Wer weiß, vielleicht haben wir hier mit diesem edlen Herrn einen der ersten Kunst-Attentäter Deutschlands vor uns, der vor lauter Wut über die Schwermut einen Caspar David Friedrich fast zerstört hätte.“

Der Kunstraub von 1994

Illies erzählt Geschichten wie diese abenteuerlich gut. Auch die des Kunstraubs in der Schirn-Ausstellung „Goethe und die Kunst“: Was passierte mit dem geklauten Friedrich-Bild, den „Nebelschwaden“?

Es lagerte jahrelang unentdeckt zwischen Winterreifen in einer Autowerkstatt am Frankfurter Zoo. Hier hatte es die jugoslawische Mafia versteckt, bevor es über dubiose Umwege und einen in der Frankfurter Unterwelt bekannten Anwalt wieder zurückgegeben wurde. Eine der schönsten Episoden in Illies’ Buch: „Man muss eigentlich sagen, das waren sehr kunstsinnige Diebe, denn die merkten Friedrich und Goethe, das passt doch überhaupt nicht zusammen. Also eigentlich haben sie eigentlich was Kulturgeschichtlich sehr Besonnenes getan. “

Illies sagt, er habe sich lange gegen den bildungsbürgerlichen Kanon gewehrt, der Friedrich auf den Sockel stellt – aber dann hat er sich doch ergeben.


Beitrag: Grete Götze

„Zauber der Stille“
Florian Illies
S. Fischer Verlage, 2023
25,00 Euro

Stand: 22.10.2023 20:16 Uhr

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