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Hält die Brandmauer?

Die AfD und der Aufschrei der Mitte

PlayTransparent in Herzform mit Aufschrift: Gegen Rechts. Demonstranten auf der Reichstagswiese. Im Hintergrund der Reichstag
Hält die Brandmauer? | Video verfügbar bis 28.01.2025 | Bild: Hans Christian Plambeck/laif

Am 10. Januar berichtete das Investigativnetzwerk "Correctiv" unter dem Titel "Geheimplan gegen Deutschland“ von einem Treffen von AfD-Politikern, Mitgliedern der Werteunion, Neonazis sowie finanzstarken Unternehmern, bei dem unter anderem über die Ausweisung von Millionen von Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen wurde. Seitdem demonstrieren hunderttausende Menschen für Toleranz und gegen Rechtsextremismus. Aber wie nachhaltig sind diese Proteste? ttt hat mit Marcus Bensmann und Jean Peters von "Correctiv", dem Philosophen und Buchautor Jan Skudlarek, der Sozialpsychologin und Mitherausgeberin der Mitte-Rechts-Studie Beate Küpper sowie der Protestforscherin Priska Daphi gesprochen.

Beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik: die Größe, die Dauer, die Vielfalt. Demonstrationen bundesweit für die Demokratie, gegen Rechtsextremismus. Als sei ein Knoten geplatzt. Die Mehrheit will den öffentlichen Raum, den Diskurs zurückerobern.

Die Mehrheit zeigt sich

Porträt der Konfliktforscherin Beate Küpper
Die Konfliktforscherin Beate Küpper | Bild: WDR

Die Konfliktforscherin Beate Küpper dazu: "Ganz wichtig ist erst mal diese Selbstvergewisserung gerade auf der Straße. Dass also die bis dato schweigende Mehrheit sieht: Wir sind nicht alleine, wir sind sehr, sehr viele, auch über die Milieus hinweg. Das ist das Allerwichtigste." "Was wir dort sehen, jetzt gerade in dieser Bürgerbewegung ist, dass Populisten und AfDler eben nicht das Volk sind", stellt der Philosoph Jan Skudlarek fest, "und ich sehe Menschen, die auch andere ermuntern, mit ihnen zu gehen und den Weg gemeinsam konstruktiv zu gehen. Das ist ein ganz richtiger und wichtiger Ansatz, den wir die letzten Jahre auch zu wenig hatten." "In diesen Protesten kommen Personen zusammen, die schon länger hier aktiv sind, für die sozusagen die Enthüllung auch keine große Überraschung war. Und gleichzeitig kommen hier natürlich Leute zusätzlich auf die Straße für die diese Enthüllung ein Schock war", sagt die Soziologin Priska Daphi.

Grenzen ziehen

Zwei Männer sitzen auf Stühlen im Interview.
Die Correctiv-Journalisten Marcus Bensmann (l.) und Jean Peters | Bild: WDR

Und Jean Peters, Investigativjournalist vom Recherchekollektiv "Correctiv" meint: "Diese direkte Verbindung zu merken, jetzt ist da eine Grenze, das hat was mit mir zu tun. Ich glaube, das ist der Moment, wo man sagt Stopp, da wollen wir nicht hin." Journalist Marcus Bensmann, ebenfalls von Correctiv, ergänzt: "Ich glaube, das war so dieses Moment, dass die Masken entrissen wurden. Jetzt liegen die Sachen auf dem Tisch, jetzt weiß man den Preis, den eine Stimme für die AfD kostet. Ich glaube, das hat viele Leute erschreckt."

Recherche als Auslöser

Bei dem Treffen von Rechtsextremen, Mitgliedern der AfD und der Werteunion sei die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland geplant worden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Correctiv-Recherche, wurde im Berliner Ensemble als szenische Lesung gegeben. Die Enttarnten reagieren nervös, denunzieren die Macher, drohen: Correctiv müsse in die Schranken gewiesen werden. Rechtlich reagieren sie nicht. "Anstatt Auseinandersetzungen über rechtsstaatliche Mittel, machen die jetzt mit Aufrufen: wenn sie sagen in die Schranken weisen, da sind Gewaltfantasien mit drin, das ist einfach, die wollen diesen kritischen Journalismus nicht mehr haben in diesem Staate", sagt Jean Peters.

Verschwörungstheorien als Verteidigungsstrategie

Porträt des Philosophen und Autors Jan Skudlarek
Der Philosoph und Autor Jan Skudlarek | Bild: WDR

Correctiv lässt sich nicht einschüchtern. Die Enthüllung hat jetzt schon viele weitere Recherchen ausgelöst, auch bei anderen Medien. In seinen Texten entlarvt Jan Skudlarek schon länger rechte Narrative, plädiert für ein neues "Wir". Spätestens seit seinem Buch über Verschwörungstheorien feindet ihn die neue Rechte an. "Ich beobachte momentan, dass der Rechten auf gut Deutsch gesagt der Arsch auf Grundeis geht", berichtet Jan Skudlarek, "die AfD und die Neue Rechte insgesamt streut sofort Verschwörungstheorien über die Demos. Die Demoteilnehmer seien gekauft, irgendwie orchestriert, mit Bussen hertransportiert oder die Bilder gleich manipuliert und dergleichen. Verschwörungstheorien sind ein ganz wesentlicher Teil des Rechtsextremismus und dieses rechtsextremen Weltbildes."

Verschiebung nach rechts

Wie massiv rechte Normen und Verschwörungstheorien in die Gesellschaft eingesickert sind, belegt die jüngste "Mitte Studie". Beate Küpper hat sie mit herausgegeben. Ein Ergebnis: eine Normverschiebung nach rechts. Die aktuellen Proteste könnten das ändern, so Beate Küpper: "Das ist jetzt die Kraft dieser Demonstrationen, hier wieder die Norm in die demokratische Richtung zu verschieben, und zwar in zweierlei Richtung. Einmal zu zeigen: Norm ist da, wo viele sind. Und weil es eine normative Norm ist, also zu zeigen, wo ist die Wertehaltung einer liberalen Demokratie und offenen Gesellschaft."

Dagegen halten unter Bedrohung

Porträt der Protestforscherin Priska Daphi
Die Protestforscherin Priska Daphi | Bild: WDR

Dafür gehen auch zunehmend Demonstrierende in kleineren Städten auf die Straße. Dort, wo die AFD stark ist, wurden in den letzten Jahren oft Menschen, die sich für Demokratie einsetzen, massiv bedroht. Dagegen zu halten verbindet ganz unterschiedliche Gruppen. "Wir können die Proteste in kleineren Städten sehen schon als Auswirkung auch der größeren Proteste, weil sich mit diesen großen Protesten auch viele hier ermutigt gefühlt haben für demokratische Werte und gegen Rassismus auf die Straße zu gehen", meint die Protestforscherin von der Universität Bielefeld, Priska Daphi. Und Beate Küpper sagt: "Das ist also gerade in diesen kleinen Orten, wo man sich nicht mehr sicher sein konnte, dass die Mehrheit demokratisch ist, umso wichtiger."

Demonstrationen und ihre Folgen

Proteste kommen in Wellen, manchmal haben sie Einfluss auf die Politik, manchmal auf den öffentlichen Diskurs. Immer auf die Protestierenden. Netzwerke entstehen, schaffen Grundlagen für weiteres Engagement. Priska Daphi: "Eine der eindrücklichsten Auswirkungen wird sein, und das sehen wir bereits jetzt, dass sich hier viele Menschen ermutigt fühlen, von diesen Protesten ihre demokratischen Grundwerte und eine weltoffene Gesellschaft zu verteidigen." "Das ist ja nicht nur eine Demonstration, sondern das ist im Moment auch eine gesellschaftliche Wiederfindung einer solidarischen, demokratischen Gesellschaft", meint die Konfliktforscherin Beate Küpper von der Hochschule Niederrhein, "das kann man auf der Straße tun, das kann man in Social Media tun, das kann man aber auch in seinem Privaten machen."

Wie geht es weiter?

"Also dass die Bewegung nicht unbedingt jeden Tag auf der Straße zu sehen sein muss. Das verstehe ich komplett und das wird nicht so bleiben. Bleiben können muss es aber auch nicht. Aber dass wir weiterhin mit einem großen Engagement gegen Rechts, gegen Rechtsextremismus und auch gegen die AfD zu tun haben, das wünsche ich mir", so der Philosoph und Autor Jan Skudlarek. Und der Investigativjournalist Marcus Bensmann meint: "Eine Auseinandersetzung mit einer solchen Partei ist auch nicht nur eine Frage des Rechts oder einer Verbotsdebatte, sondern auch der Bürgergesellschaft. Wir müssen als Menschen begreifen, dass das unser Land ist, das wir gegen solche Parteien verteidigen müssen." Die Demos gehen weiter, bundesweit. Über 1000 Organisationen wollen am kommenden Samstag in Berlin protestieren. Und: Correctiv freut sich über weitere Hinweise.

Autorin: Claudia Kuhland

Stand: 28.01.2024 19:21 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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