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"Beyond The Wall" – Ein ostdeutsch-britischer Blick auf die DDR

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Ein ostdeutsch-britischer Blick auf die DDR | Video verfügbar bis 07.05.2024 | Bild: IMAGO / C3 Pictures

Es ist schon erstaunlich, dass jetzt eine DDR-Geschichte der erst 38jährigen Historikerin Katja Hoyer ausgerechnet in Großbritannien für viel Aufmerksamkeit sorgt. Hoyer lebt seit Jahren in London und gilt den dortigen Medien mittlerweile als Deutschland- und nun auch als DDR-Erklärerin. "Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR 1949-1989" heißt ihr Buch, das soeben erschienen ist. Autorin Katja Hoyer, geboren 1985 im brandenburgischen Guben, unternimmt darin den Versuch, die Geschichte der DDR aus ostdeutscher Sicht aufzuschreiben – für ein westliches Publikum.

"Beyond the wall", so der englische Titel wurde in allen großen Tageszeitungen besprochen und stand auf der The Times-Bestsellerliste. Ist dieses Buch tatsächlich ein neuer Blick auf das verschwundene Land? "ttt" hat die Autorin und Historikerin in London getroffen.

Deutsche Geschichte: Briten entdecken DDR neu

Autorin und Historikerin Katja Hoyer
Autorin und Historikerin Katja Hoyer | Bild: Das Erste

Eine übertriebene Nähe zum Kommunismus war den Briten noch nie eigen. Schon gar nicht in diesen Tagen, im Krönungs-Rausch. Doch nun hat das Buch einer deutschen Historikerin ausgerechnet im Mutterland des Kapitalismus Interesse für die realsozialistische GDR geweckt. Selbst beim offiziellen Lieferanten des Königshauses und ältesten Buchladen des Landes, Hatchard's, verkauft es sich blendend. "It's flying off the shelves", es wird uns aus den Regalen gerissen, sagt die Verkäuferin. Bevor sie Katja Hoyer die nächsten Stapel von "Beyond the wall", "Diesseits der Mauer", zum Signieren auf den geschichtsträchtigen Tisch legt. "Der Tisch ist angeblich der, auf dem auch schon Oscar Wilde seine Bücher unterschrieben hat. Oscar's table, as it's known here", erzählt Katja Hoyer.

DDR: Mehr als nur eine "Seitengeschichte" der deutschen Nachkriegsgeschichte

Beyond the wall
"Diesseits der Mauer: Eine neue Geschichte der DDR 1949-1989" von Katja Hoyer | Bild: Das Erste

Von Oscar Wilde in die DDR: Katja Hoyer hat den Briten den Blick über den eisernen Vorhang eröffnet. Und die schmunzeln erst über dieses exotische Reich und ihre greisen Führer und staunen dann, wie die das da drüben gemacht haben, mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Welch gigantische Wohnungsbauprogramme das kleine Land aus dem Boden gestampft hat. Na klar, für uns Deutsche ist das ein alter Hut. Hier aber werden solche Errungenschaften nun britisch pragmatisch und erstaunlich unideologisch auf Vor- und Nachteile abgeklopft. "Was mich hier überrascht hat an der Art und Weise, wie das aufgenommen worden ist, ist, dass relativ wenig Wissen da ist und dass man genau wie in Westdeutschland auch die DDR zu so einer Kalten-Kriegs-Karikatur gemacht hat. Ich bin vielen Briten begegnet, die von sich aus gesagt haben, ich hatte dieses sehr vereinfachte, verflachte, cartoonhafte Bild sozusagen der DDR im Kopf. Aber dass ein Interesse daran besteht und auch ein Bewusstsein besteht, dass es dieses Klischee gibt und das bewusst sozusagen anzugehen und versuchen abzubauen", so Katja Hoyer.

Hoyer in England
Katja Hoyer lebt seit über 10 Jahren in England. | Bild: Das Erste

Katja Hoyer lebt seit über 10 Jahren in England. Vom renommierten King's College, wo sie derzeit forscht, hat sie einen prächtigen Blick über London. Und vielleicht auch den richtigen Abstand, um über die DDR zu schreiben? Dort ist Katja Hoyer geboren, kurz vor deren Ende: 1985 in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben. Sie hat in Jena studiert, dann zog es sie hinaus in die Welt. Doch das verschwundene Land ließ die Historikerin nicht los. Es wird relativ wenig darüber gesprochen, wie die DDR insgesamt eigentlich in die deutsche Geschichte passt. Es wird oft darüber gesprochen, wie die Gesellschaft im Westen sagen wir mal zum Beispiel in den 70er-Jahren war und dann ist dann immer noch: Ach, und so wars im Osten. Die DDR wird eben als diese seltsame Seitengeschichte der deutschen Nachkriegsgeschichte dargestellt, als Zone oder als deutschen Teilstaat", erzählt Hoyer.

"Diesseits der Mauer" – Ein Buch über die DDR

Bis heute wird die DDR meist nur als "Betriebsunfall" der deutschen Geschichte gesehen, sagt Katja Hoyer. Als Anomalie neben der westdeutschen Norm. Dabei kann sie sich sogar auf die ehemalige Bundeskanzlerin berufen: Auch die musste sich sagen lassen, dass ihre DDR-Biografie doch nur "Ballast" sei. Eine unnütze Last, die man besser schnell abwirft. "Ganz gleich welche guten oder schlechten Ereignisse sie mitbrachten: Ballast. Bis heute, davon bin ich überzeugt, wird zu wenig gesehen, dass es für die allermeisten Westdeutschen bedeutete, dass es weiter ging wie zuvor", erklärt Angela Merkel.

Hoyer King's College
Katja Hoyer forscht am renommierten King's College. | Bild: Das Erste

Katja Hoyer holt weit aus, um dieses Geschichts-Bild aufzubrechen. Beginnt ihre Geschichte der DDR weit vor deren Gründung, sucht nach Prägungen, erzählt von der Stunde Null nach dem deutschen Untergang und rekonstruiert ganz nüchtern den Weg zur Teilung 1949. Denn die, so schreibt sie, war letztlich im Interesse der Mächtigen auf beiden Seiten. Weil sie die Trennlinie zwischen Ost und West zementierte und beruhigte. Die DDR war ebenso wenig ein "Betriebsunfall" der Geschichte, wie die Bundesrepublik. "1949 ist eigentlich ein interessanter Moment, weil die deutsche Teilung so unbeliebt war bei der Bevölkerung Ost und West, dass die jeweiligen Regierungen und auch die Supermächte jeweils versucht haben, das der anderen Seite in die Schuhe zu schieben, und man irgendwie den schwarzen Peter versucht hat, auf die andere Seite zu schieben, um zu zeigen, dass man selber nicht an der Teilung Schuld hatte", erzählt die Autorin.

Hoyers Blick auf die DDR ist nicht neu

Katja Hoyer signiert ihr Buch
Katja Hoyer signiert ihr Buch im ältesten Buchladen Londons. | Bild: Das Erste

Katja Hoyers Blick auf die DDR ist im Detail nicht neu. Anders schon. Er rückt die ins Zentrum, die nicht aufbegehrten, sondern den Staat annahmen, sich arrangierten. Ist das schon Verharmlosung? Oder eher ein realistischeres Abbild der Mehrheitsgesellschaft? Katja Hoyers Familie gehörte dazu – ihr Vater war Offizier, die Mutter Lehrerin. Auch davon schreibt sie in ihrem Buch. Wer die DDR nur an heutigen Maßstäben misst, wird ihr nicht gerecht, sagt sie: Ein Land, das Stabilität und Heimat bot. Und zugleich eine Diktatur war, deren Führer dem eigenen Volk vom Anfang an mit brutaler Paranoia begegneten. "Das sind Kontraste, die wir einfach aushalten müssen, die man nicht versuchen kann, auf einen Kompromiss oder auf eine Geschichte der DDR, auf eine Geschichte der DDR herunterzubrechen, sondern es gibt eben Millionen von Geschichten und Lebensgeschichten innerhalb der DDR, die alle existiert haben. Und das hat für verschiedene Menschen verschiedene Konsequenzen gehabt", so Hoyer.

Katja Hoyers Buch ist kein Schlusspunkt. Sondern vielleicht ein neuer Anfang, über die DDR nachzudenken? Ein bisschen britische Unvoreingenommenheit täte uns dabei ganz gut. Hier ist die DDR jedenfalls in feinster Gesellschaft.

Autor: Tim Evers

Buchtipp:
Katja Hoyer: Diesseits der Mauer
Eine neue Geschichte der DDR 1949-1990
Hoffmann und Campe

Stand: 08.05.2023 13:06 Uhr

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Rundfunk Berlin-Brandenburg
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