So., 31.08.25 | 23:05 Uhr
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Die Entstehung von Oben und Unten – Hanno Sauers Buch "Klasse"
Hanno Sauers aktuelles Buch "Klasse"
Wie entsteht soziale Ungleichheit? Wie funktionieren Klassenunterschiede? Und warum prägt die Logik des Klassenbegriffs noch heute unsere Gesellschaft? Das analysiert der Philosoph und Ethikprofessor Hanno Sauer in seinem jetzt erschienenen Buch "Klasse – Die Entstehung von Oben und Unten". Eine seiner wichtigsten Forderungen: Nicht Ethnie und Geschlecht sollten im Fokus der sozialen Gerechtigkeitsagenda stehen, sondern Klasse. Über die Thesen seines Buches hat ttt mit Hanno Sauer gesprochen und sich außerdem von Content Creator Malik Yannick Gannouchi berichten lassen, wie sich Klassismus anfühlt.
Klassismus im Studium

Malik Gannouchi erlebt als Kind einer alleinerziehenden Mutter schon lange Armut und Diskriminierung: Klassismus. Im Studium der Kulturpädagogik wird das anders, war die Hoffnung. Wurde es nicht. Jetzt hält Malik dagegen, mit Clips zu Klasse und Klassismus in den sozialen Medien, manche werden über eine Million mal geklickt. "Ich habe angefangen auf Instagram zum Thema Klasse zu posten, weil ich selber das Gefühl hatte, dass ich nicht so viel Verbündete hatte innerhalb meines Studiums" sagt Malik Gannouchi, "Wir sind auch einfach nicht willkommen und haben keinen Platz dort, weil es sichtbare Barrieren und Hürden gibt, die Leute aus Arbeiterkinderfamilien vielleicht sehen, aber Menschen aus Akademikerfamilien oder Professoren oder Dozenten nicht sehen. Man schließt sie damit aktiv aus." Philosoph Hanno Sauer bekräftigt diesen Eindruck: "Da sieht man, dass die Menschen, die einen bestimmten Habitus haben, eine gewisse Vertrautheit mit dem akademischen Milieu mit der Art und Weise des Sprechens, des Miteinander-Umgehens, einfach bessere Chancen haben. Es gibt jede Menge Studien dazu, dass klassistische Vorurteile viel, viel stärkeren Einfluss auf unsere Wahrnehmung haben als rassistische Vorurteile und auch andere Formen der Diskriminierung."
Statusdenken evolutionär begründet
Hanno Sauer ist privilegiert aufgewachsen, Professor für Philosophie. Er weiß, Klassenunterschiede treten oft in Form von Klassismus auf. In seinem Buch "Klasse" ergründet er diese Unterschiede, was sie mit Status zu tun haben und warum sie so hartnäckig sind. Statusdenken ist evolutionär in unsere Psyche eingewebt, sagt Sauer: "Es gibt buchstäblich keinen Aspekt, der uns wichtig ist, der nicht fundamental von diesen Statuswettbewerben und Klassen-Hierarchien geprägt wird. Sie formen unser ganzes Leben: mit wem wir befreundet sind, wo wir wohnen, wie wir wohnen, wie unsere Chancen aussehen, wie lange wir leben, wie gesund wir leben. Es geht an den Kern unserer Existenz und an den Kern unseres Daseins als verletzliches und abhängiges Wesen. Deswegen nehmen wir Status, Status-Unterschiede und Status-Verletzungen so wahnsinnig wichtig."
Fehlgeleitete Debatte
Sauer zeigt, dass Klassenunterschiede nur vermeintlich an Statussymbolen hängen. Oft sind es subtilere Signale, die Zugehörigkeit markieren, Abgrenzung und Status. Sauer fordert, die Debatte über soziale Gerechtigkeit müsse diese subtilen Kämpfe um Status stärker berücksichtigen: "Es geht immer irgendwie um Zeug. Also wer sollte wie viel Geld haben? Wie sollte Eigentum verteilt werden? Und relativ schnell stellt man dann fest, dass fast nie darüber geredet wird, wie mit diesen immateriellen, symbolischen kulturellen Statusfaktoren umgegangen wird."
Klassismus in der Kultur
Sauer redet darüber und sieht die Kunst- und Kulturszene als eine Hauptbühne der Abgrenzung. Dort würden zwar Vielfalt und Weltoffenheit gefeiert, aber Statuswettbewerbe gelebt, oft durch pures "Eingeweihtsein". "Es wird davon geredet, man soll tolerant sein und inklusiv. Aber natürlich leben die Leute alles andere als inklusiv, sondern enorm exklusiv", stellt Sauer fest, "und es geht eigentlich primär sogar darum, dass man genau richtig justierte moralische Sensibilität hat, dass man die richtigen Vokabeln benutzt, in den richtigen Jargon eingeweiht ist, und damit werden dann Status-Wettbewerbe ausgetragen." Malik Gennouchi kann dies nur bestätigen: "Vorurteile aufgrund der Klasse bekomme ich richtig oft mit im Kulturbereich. Man wird einfach mega verurteilend angeschaut. Die Leute sehen einfach, dass man in der anderen Klasse ist und nicht reinpasst. Es ist eine ganz andere Welt, eine ganz andere Sprache, eine ganz andere Kleidung."
Propaganda statt Debatte
Status kann man weder umverteilen noch kaufen, das macht ihn so begehrt. Daher lässt sich die Angst vor Statusverlust auch so gut politisch instrumentalisieren.
Wie etwa aktuell bei der Debatte über den Sozialstaat, da werden gezielt Statusängste geschürt, das Bürgergeld problematisiert. "Immer wenn ich Diskussionen zum Thema Bürgergeld sehe, bin ich emotional direkt gecatcht davon, weil ich die Stereotype erkenne, die immer noch so verankert sind. Und ich habe das Gefühl, es geht darum, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen", erzählt Malik Gennouchi. Es sei eben sehr einfach, diese klassistischen Vorurteile auszunutzen, meint Hanno Sauer. Ob vermeintlich faule Bürgergeldempfänger oder Geflüchtete – vieles davon sei populistische Propaganda, die am Kern des Problems vorbei ginge. Das Problem hat sich verschärft. Früher war Aufstieg für viele fast garantiert: In den 1950ern der Kühlschrank, in den 60ern das Auto, in den 70ern weitere Reisen, da blieben Statusängste verborgen. Heute ist das vorbei. Sauer glaubt, dass Klassenkämpfe sogar noch zunehmen werden. Wer daran etwas ändern will, muss sie erst mal erkennen. Hanno Sauers kluges, originelles Buch regt dazu an, genauer nachzudenken über Herkunft, Status und Klasse.
Autorin: Claudia Kuhland
Stand: 31.08.2025 17:26 Uhr
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