So., 07.05.23 | 23:05 Uhr
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Die Türkei vor der Wahl – Ein Blick aus dem Exil
2016, nach dem gescheiterten Putschversuch gegen Erdogan ging der türkische Präsident mit aller Härte gegen seine Kritiker:innen vor. Viele zwang er mit dieser Politik ins Exil: Journalist:innen, Intellektuelle, Künstler:innen und Autor:innen. Welche Hoffnung hegen die Geflohenen nun vor der Präsidentschafts- und Parlamentswahl am 14. Mai in der Türkei? "ttt" spricht mit dem Journalisten und Autoren Can Dündar und der kurdisch-türkischen Künstlerin Zehra Doğan.
Die Türkei vor den Wahlen
Die Künstlerin Zehra Doğan und der Journalist Can Dündar leben in Deutschland, denn in der Türkei droht ihnen Gefängnis. Zweieinhalb Jahre lang war die Kurdin Zehra Doğan bereits inhaftiert – wegen eines Bildes: Es zeigt türkische Militärs in einer zerstörten kurdischen Stadt. "Lebenslänglich" lautet Can Dündars Urteil. Zuvor hat er türkische Waffenlieferungen an syrische Extremisten aufgedeckt. Sie haben ihre Freiheit, ihren Besitz, die Heimat verloren. Trotzdem wollen sie schnellstmöglich zurück. Sie hoffen auf die Wahl: Dass Erdoğan verliert. "Wenn die Wahl knapp ausgeht: 49 zu 51 Prozent, wird das Land wahrscheinlich in ein Chaos stürzen. Wir brauchen so etwas wie 60 zu 40 Prozent. Dann wird es nicht so leicht, die Armee und Polizei gegen den Willen der Leute zu mobilisieren", erklärt Autor und Journalist Can Dündar.
Kemal Kılıçdaroğlu: Hoffnungsträger des Oppositionsbündnisses
"Klar, ich sage, er ist ein Diktator und dass er gehen muss. Wenn der Gegenkandidat gewinnt, unterstütze ich ihn", so Künstlerin Zehra Doğan. Kemal Kılıçdaroğlu: der Hoffnungsträger des Oppositionsbündnisses. Aber wird das Bündnis halten? Und auch seine Partei, die CHP, hat einst Minderheiten, Kurden verfolgt. Aber der 74jährige ist der Einzige, der es schaffen könnte, den Staatsführer Recep Tayyip Erdoğan zu entmachten. Im 100. Jubiläumsjahr der Türkei entscheidet sich, ob die Autokratie weitergeht oder ob wieder mehr Demokratie möglich ist. Für die 85 Millionen Bewohner. Den Umfragen zufolge hat Kılıçdaroğlu gute Chancen.
Zehra Doğan thematisiert Missstände in ihrer Heimat
Als Zehra Doğan wegen ihres Bildes im Gefängnis sitzt, macht sich sogar der Streetart-Künstler Banksy für sie stark. Auch im Gefängnis zeichnet die damals 26jährige weiter. Heimlich werden ihre Botschaften rausgeschmuggelt. Eine Zeitung, die sie mit anderen Frauen gemacht hat beispielsweise. Als Künstlerin und Journalistin thematisiert sie die Missstände in ihrer kurdischen Heimat. "Erdoğans Regierung hat in 20 Jahren die gesamte Türkei kolonisiert. Eine Türkei, die von ihm selbst und seinen Anhängern, engen Freunden, seiner Familie, reichen Leuten ausgebeutet und an andere Länder verkauft wurde. Wenn ich an die Türkei denke, fühle, sehe ich ein dunkles, betoniertes, baumloses, geplündertes Land", erzählt Zehra Doğan.
Nichts ist sicher bei diesen Wahlen
Die Türkei: Das größte Gefängnis für Journalisten, sagt Can Dündar. Der einstige Chefredakteur saß drei Monate im Hochsicherheits-Gefängnis Silivri. Die Zelle nachgebaut am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Seit 2016 lebt er in Deutschland, unfrei fühlt er sich bis heute. Lange schon beobachtet er Erdoğans Aufstieg. Für ihn: ein Wolf im Schafspelz, instinktsicher im internationalen Machtpoker. Dündar weiß: Nichts ist sicher bei diesen Wahlen. "Erdoğan ist ein Politiker, der Krisen immer zu seinem Vorteil wandeln kann. So war es, als er nach den Gezi-Park-Protesten unter Druck stand. Damals hat der Flüchtlingsdeal sein politisches Überleben gerettet. Und als es mit ihm wieder bergab ging, war der Krieg in der Ukraine die nächste Chance, wieder in Europa mitzumischen, wegen seiner guten Kontakte zu Putin und Selenskyi", erklärt Dündar.
Könnte schlechtes Krisenmanagement Erdoğan den Wahlsieg kosten?
Als im Februar die Erde bebt, sagen viele, diese Katastrophe, das schlechte Krisenmanagement könnte Erdoğan den Wahlsieg kosten. Besonders hart getroffen auch eine Region, in der viele Erdoğan-Wähler leben. Can Dündar fürchtet den gegenteiligen Effekt: "Nach solch großen Katastrophen tendieren die Menschen dazu, den Status Quo, die Macht, zu wählen. Sie brauchen eine stärkere Regierung, um ins normale Leben zurückzufinden." Deshalb fürchtet Can Dündar, er werde die Hoffnung verschieben müssen, bald in die Türkei zurückzukehren. Und auch Zehra Dogan weiß: Es kann dauern. "Nur mit einer teilweisen Demokratisierung der Dinge wird sich die Türkei nicht erholen. Wir müssen uns gegenseitig verstehen. Wir müssen uns gegenseitig vergeben. Dann kann ich tatsächlich in die Türkei zurückgehen", so die Künstlerin.
Autorin: Petra Dorrmann
Stand: 13.05.2023 09:18 Uhr
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