So., 10.08.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Existentielle Suche
"Sirât" ist ein dystopisches Roadmovie
In den Bergen Marokkos sucht ein Vater nach seiner Tochter, die bei einer Techno-Party verschwand. Gemeinsam mit seinem zwölfjährigen Sohn folgt er einer Gruppe von Ravern immer tiefer in die Wüste hinein. Die Suche wird zu einer existenziellen Erfahrung an den eigenen Grenzen zwischen ekstatischer Musik und ständiger Todesgefahr. "Sirât" ist der bislang radikalste Film von Óliver Laxe. ttt hat den Regisseur in Madrid getroffen.
Tanz als kollektive Katharsis
Ein Rave in der Wüste und ein Beat, der den Herzschlag beschleunigt. Mit dem Blick eines Insiders inszeniert Regisseur Óliver Laxe diesen Rave – das Ritual einer verschworenen Gemeinschaft. "Ich habe das Drehbuch zu "Sirât" auf Raves geschrieben – tanzend, mit geschlossenen Augen haben sich langsam Bilder entwickelt", erzählt Óliver Laxe, "ich muss einfach tanzen. Es gibt etwas Heiliges daran, auf den Dancefloor zu gehen und diese kollektive Katharsis zu erleben." Der Film ist ein hypnotischer Trip, eine existenzielle Reise. In dieses fremde Universum tauchen Luis und sein Sohn ein und suchen nach der verschwundenen Tochter und Schwester, einer Raverin. Füllig, weich, zart – unendlich traurig spielt Sergi López diesen Vater.
Bedrohlich und rätselhaft

Schauplatz ist die marokkanische Wüste, eine unwirtliche Krisenzone. Plötzlich taucht Militär auf, räumt gewaltsam den Rave. Ein Krieg droht – aber gegen wen? Warum? Die Lage ist unübersichtlich. So bedrohlich die Ereignisse für die Raver, so rätselhaft bleiben sie für uns Zuschauer. Óliver Laxe zieht Parallelen zu der Welt, in der wir leben. Es sei eine fragile, kriegerische Realität, begleitet von den Trommelschlägen des Krieges – mit Staaten, die Frieden mit dem Krieg schließen wollen. "Da sind wir inzwischen angekommen, in dieser moralischen Dekadenz."
Erfolg in Cannes
Spontan schließen sich Luis und sein Sohn den fliehenden Ravern an. Die Clique ist zunächst verärgert: Die Beiden und ihr Auto sind ein unkalkulierbares Risiko auf der Flucht durch die gefährliche Region. Für den Film hat Óliver Laxe Laien sowie Freunde auf Raves gecastet. "Wenn man sie näher kennt, versteht man ihre Radikalität", meint Óliver Laxe, und erklärt: "wie sehr sie sich aufeinander verlassen können. Vielleicht ist es das, was ich von ihnen gelernt habe: zu versuchen, dieses Miteinander radikal zu leben." In Cannes haben sie abgeräumt! Sie haben einen der Jury-Preise gewonnen; auch der Soundtrack wurde prämiert.
Radikale Filme
"Sirât" ist der vierte Spielfilm des Regisseurs Óliver Laxe. Wir treffen ihn in Madrid, in einem öffentlichen Garten eines Kollektivs. All seine Filme: preisgekrönt – ausgezeichnet für fantastische Radikalität, die Spannung zwischen Fiktion, Dokumentarischem und Mystik. Immer prägen die Landschaften seine Filme – eng verbunden mit seinem Leben: Zehn Jahre hat Oliver Laxe in Marokko gelebt; er liebt diese krisengeschüttelte Region.
Verstörend und Hoffnungssvoll

Im Film schweißt die Gefahr die Reisenden zusammen. Um dem Militär zu entkommen, nehmen sie die gefährliche Route über die Berge, zum nächsten Rave Richtung Mauretanien. "Sirât" steht im Islam für einen engen Weg oder eine Brücke: dünn wie ein Haar und scharf wie eine Messerklinge. "Das Leben ist voller Härte, Prüfungen, Unfälle und Tragödien. Ich glaube, dass es manchmal gerade das ist, was uns im Leben hilft – wenn es uns an den Abgrund drängt", meint Óliver Laxe. Es ist eine dystopische Reise auf der Suche nach Trost, mitten ins glühende Herz der Sahara. In die Zone größter Todesgefahr: die Wüste ist vermint! Óliver Laxe: "Die Angst vor dem Tod bestimmt unsere Gesellschaft. Ich will, dass wir den Tod spüren, und die Angst davor – um so unsere Angst zu überwinden." Der Film: eine fast körperlich schmerzhafte Kinoerfahrung: Metaphorisch, politisch, radikal! Ein verstörender Trip und doch voller Glauben daran, dass Menschen von der Gemeinschaft getragen werden.
Autorin: Petra Dorrmann
Filmtipp
Sirât
Regie: Óliver Laxe
ab 14. August im Kino
Stand: 10.08.2025 19:39 Uhr
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