So., 29.06.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Die "fragilen Idyllen" des Michael Sowa
Der ungewöhnlichste Maler Deutschlands wird 80
Gewaltig türmt sich das Meer auf. Riesige dunkle Wellenberge drohen die Arche zu verschlucken, auf der die Tiere der Schöpfung neugierig und unbekümmert dem Weltuntergang entgegensehen. Hinter ihnen, in einem aberwitzig kleinen Schlauchboot, zwei Saurier, die noch versuchen, die Arche zu erreichen. Eine bombastische Seeschlacht, gemalt wie vor zweihundert Jahren. So geht Klimakatastrophe bei Michael Sowa, der wie sein vertrackter Vorgänger Caspar David Friedrich deutsche Seelenlandschaften malt – allerdings ins Komische gewendet. Gediegene bürgerliche Wohnzimmer – vom Sturm verweht. Ein Tisch, darauf fein angerichtet ein Teller Suppe – in dem ein vergnügtes Schwein badet. Eine Dame beim Gassigehen – mit einer riesigen Motte. Sowas Bilder: berühmt für ihren akribischen, altmeisterlichen Stil, ihre opulenten Landschaften, ihre Wolkengebirge und ihre oft nahezu leeren Städte. Im Zentrum meist Tiere, die da eigentlich nicht hingehören und das Geschehen plötzlich ins Merkwürdige, Skurrile, Phantastische kippen lassen, Pathos und heillosem Ernst des Lebens den Stecker ziehen. Zum 80. Geburtstag des Malers erscheint jetzt der Prachtband "Fragile Idyllen" mit einer Auswahl seiner wichtigsten Werke und es eröffnet eine gleichnamige Einzelausstellung im Frankfurter Museum für Komische Kunst.
Michael Sowas Arche – Ein virtuoser Gag mit Tiefgang

Viel düsterer geht es nicht. Sturmwolken tanzen über dem Meer. Aufgepeitschte Wellen. Die Sintflut ist da. Mittendrin: eine Arche mit den letzten überlebenden Tieren, die unbekümmert und neugierig ausharren, während hinten im winzigen Schlauchboot die Dinosaurier gerade den Anschluss verlieren. Gemalt hat Michael Sowa diesen virtuosen Gag in den 80ern, lange vor der Klimakatastrophe, und wie bei allen seinen Werken sicher monatelang daran gesessen. "Na ja, ich denke, wenn ich das sehe, da werde ich schon eine Weile dran gemalt haben. Weil ich den Himmel dann oft noch mal anders mache und dann so probiere und so probiere – bei den Wellen wahrscheinlich nicht viel besser. Aber was mich gefreut hat, ich habe das Bild auch lange nicht gesehen, also das Original – da sind ja die ganzen kleinen Tiere drauf. Und dann frage ich mich heute, wie habe ich damals diese kleinen Tiere so genau malen können", so Michael Sowa.
Altmeisterlich, rätselhaft, humorvoll – Die Welt des Michael Sowa

Sowas Werk hat hochdramatische Szenen, die sich mit einem kleinen Detail in einen Witz verwandeln. "Der Sündenfall", fotografiert von einem Engel. "Der Verdacht": Ein Huhn, das in den Abgrund blickt. Was es dort sieht? Wir werden es nie erfahren. "Fragile Idyllen" heißt die Ausstellung, die das Caricatura Museum für Komische Kunst in Frankfurt dem Lebenswerk von Michael Sowa, einem der hintergründigsten Maler der Gegenwart, jetzt widmet. Seine Bilder: weltweit begehrt, in Japan ist Sowa ein Superstar. Selten ist die Farbe trocken, wenn er ein Werk verkauft. "Das Suppenschwein" – altmeisterlich gemalt, Fettflecken inklusive. "Eiermond", leider verpennt. "Stormy weather" – die Kontexte stets irgendwie verweht, irgendwie verrückt. Sehr zur Freude zahlloser Verehrer und Verehrerinnen, die für die Ausstellung Bilder aus ihren Privatbeständen beigesteuert haben. "Mein Lieblingsbild sind 'Die ungelösten Fälle des BKA'. Der Grund dafür ist, dass ich das Gefühl habe, da ist der Sinn des Lebens drin versteckt. Und irgendwann werde ich ihn finden", erzählt Hans Zippert, Mitherausgeber Satiremagazin "Titanic". "Die Altmeisterlichkeit und die Rätselhaftigkeit und der Humor, der in einer Ecke steckt, wo man ihn erst gar nicht vermutet", so Schriftstellerin Eva Demski. "Ich sehe in seinen Bildern eigentlich eher, dass er Wünsche malt. So freiheitliche Wünsche, wie wenn ein Schwein in einen See springt, wo er sagt, tiefste Wünsche, die sonst nicht stattfinden ... Und das Schöne ist auch, dass ich, wenn ich an seine Bilder denke: Denk‘ ich an Sowa, denk‘ ich an Deutschland. Und das ist ganz toll, dass er sowohl die Stimmung, aber auch die Verkrampftheit der Menschen, Dinge irgendwie zu machen und zu erdulden, einfängt und damit den Nagel auf den Kopf trifft", erzählt Detlev Buck, Filmregisseur und Schauspieler.
Von der Skizze zum Kult – Michael Sowa wird 80

80 Jahre alt wird er jetzt. Aufgewachsen nach dem Krieg in Berlin. Einzelkind, behütet. Erinnerung an Sommernächte, wenn man zum Himmel sieht und woanders sein möchte. Sowa heißt polnisch: die Eule. "Ich habe einfach gern gezeichnet und irgendwas vor mich auf den Tisch hingezeichnet", erklärt Sowa. Ein Künstlerhaushalt ist es nicht, Elektromeister der Vater, die Mutter Hutmacherin. Kunstbücher: gibt’s keine. Das Abitur: knapp geschafft. "Meine Eltern konnten sich einfach nicht vorstellen, dass man irgendwas malt und damit seinen Lebensunterhalt verdient – auf Dauer. Und dann war der Kompromiss, dass ich Kunstpädagogik studiere", so der Maler. Doch in den 70er-Jahren lebt Sowa als freier Künstler in Berlin und kann sich vor Aufträgen kaum retten. Furore macht wunderbar selbstironisch seine Wahlwerbung für die Grünen. Für das Satiremagazin "Titanic" verpackt er Helmut Kohl, anstatt den Reichstag.
International bekannt: Sowa und "Die fabelhafte Welt der Amélie"

Postkartenmotive seiner Werke gehen um die Welt. Eine sieht der französische Regisseur Jean-Pierre Jeunet. Der ist begeistert und will Sowa für den Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" gewinnen. "Und dann habe ich gesagt: Ja, könnte ich mir gut vorstellen. Und dann haben die mir Storyboards geschickt, auszugsweise, wo es um Szenen ging, wie zum Beispiel die mit den beiden Bildern über dem Bett. Und irgendwie, … ich weiß auch nicht, warum … habe ich dann diese beiden … und die fanden es dann auch okay", erzählt Sowa.
Sowas Bilder erzählen Geschichte

Deutsche Szenen die Geschichte schreiben – auch sie hat Sowa gemalt. "Straße frei" – Endzeitstimmung in der DDR vor der Wende. In seinen Bildern wird das Große klein und das Kleine so groß, dass manchmal die Tapete erblasst. Sich von den Verrücktheiten der Welt nicht verrückt machen lassen, darauf kommt es an. Wir müssen uns Michael Sowa als einen glücklichen Maler vorstellen. "Man hat eben Glück, wenn man so was macht. Es gibt Leute, die schreiben, die komponieren, die eben malen, und das macht man so lange, wie es geht. Weil man es gern macht. Es ist nicht so, dass man denkt, Gott sei Dank ist jetzt Feierabend. Und morgen früh muss ich da schon wieder hin", so der Maler.
Autor: Rayk Wieland
Stand: 29.06.2025 21:51 Uhr
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