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"A Different Kind of Power"

Jacinda Ardern schreibt die Autobiografie ihrer außergewöhnlichen Politikerinnen-Karriere

"A Different Kind of Power" von Jacinda Ardern  | Video verfügbar bis 29.06.2026 | Bild: IMAGO / AAP

Empathie, Nahbarkeit, Zugewandtheit – solche in der Politik unerhörten Eigenschaften machten die frühere neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern weltweit zu einer Hoffnungsträgerin, einem Rollenmodell für einen anderen Umgang mit der Macht: "A Different Kind of Power" ist der Titel der jetzt erscheinenden deutschen Ausgabe ihrer Erinnerungen. Dass Stärke und Mitgefühl einander nicht ausschließen, und gerade nicht in der Politik: Das ist die brandaktuelle Botschaft von Jacinda Ardern, die 2017 mit 37 Regierungschefin wurde und – kaum im Amt – eine Tochter gebar. Ardern reagierte auf die Herausforderungen durch Terrorakte und Pandemie entschlossen und trat dennoch 2023 zurück mit dem in der Politik unerhörten Eingeständnis "Ich habe keine Kraft mehr". "ttt" im Gespräch mit einer Frau, die – wie sie Neuseeland und die Welt wissen ließ – "erst Mensch, dann Politikerin" sein wollte, aber auch nichts wissen will von der Zuschreibung, sie sei die "lebende Antithese" zu Donald Trump.

Jacinda Ardern: "Erst Mensch, dann Politikerin"

Jacinda Ardern bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt als Premierministerin von Neuseeland
Jacinda Ardern bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt als Premierministerin von Neuseeland | Bild: IMAGO / AAP

5. April 2023: Rücktritt einer Hoffnungsträgerin. Neuseelands Premierministerin erklärt: Ich kann nicht mehr. Der Rücktritt war das Ende der Jacinda-Mania, des Hypes um die Politikerin, die als Anti-Trump gefeiert wurde, tatsächlich durch Mitgefühl und Nahbarkeit auffiel und nun damit, dass sie Schwäche zugeben, die Macht auch wieder loslassen konnte. Jetzt stellt Jacinda Ardern ihre Autobiografie vor: "A Different Kind of Power". Die alte Frage neu gestellt: Wäre die Welt besser dran, wenn weibliche Prinzipien regierten? "Das ist doch keine Frage des Geschlechts! Menschlichkeit und Anstand, das sind die Eigenschaften, die alle Mächtigen mitbringen sollten – Frauen wie Männer. In meinem Buch geht es oft um Eigenschaften wie Sensibilität oder Dünnhäutigkeit. Ich dachte früher: Damit hast du keine Chance in der Politik. Du musst taff sein, um zu überleben. Aber dann ist mir klar geworden: Das, was ich bei mir anfangs noch für Schwäche hielt, entwickelte eine ganz eigene Kraft – und wurde sehr wichtig für mich, als ich im Amt war", erklärt Jacinda Ardern.

Jacinda Arderns Weg an die Spitze

Jacinda Ardern ehem. Premierministerin Neuseeland
Jacinda Ardern ehem. Premierministerin Neuseeland | Bild: Das Erste

Erst 37 ist Jacinda Ardern, als sie 2017 die weltweit jüngste Regierungschefin wird. Sie ist freundlich, zugewandt, kommunikationsfähig – ein ganz neuer politischer Stil. Auch den Indigenen erweist sie Respekt mit Auftritten im Maori-Gewand. Prime Minister, das ist auch der Titel eines neuen, beim renommierten Sundance-Festival vorgestellten Dokumentarfilms. Erzählt wird der Lebensweg einer jungen Frau, die Politik und Macht ganz neu verstehen wollte. Die verwurzelt war, wo es mehr Schafe als Menschen gab, im ländlichen Neuseeland, der Kulisse ihrer Kindheit. "Ich hatte eine glückliche, sehr neuseeländische Kindheit, eben eine typische Kiwi-Kindheit", erzählt Ardern. Die Eltern unterstützen ihre Ambitionen: Sie will Dinge verändern, etwas bewegen. Der Weg führt Jacinda Arden in Neuseelands Labour-Partei.  Dort macht sie schnell Karriere, wird Spitzenkandidatin für das Amt der Premierministerin. "Am Abend meiner Nominierung wurde ich in einer politischen Talkshow gefragt: Sie wollten doch immer Kinder haben – wie sieht’s denn jetzt aus damit?", erzählt Jacinda Ardern. Mit einer Mischung aus Verärgerung und Selbstbewusstsein kontert sie die übergriffige Frage des Moderators, die nahelegt: Frau, Kind, Beruf – geht gar nicht. "Ich habe mich wirklich aufgeregt. Von mir aus Okay, dass er mich gefragt hat – ich hatte ja mal gesagt: Ich will Kinder. Aber allgemein Frauen im Zusammenhang mit der Arbeit nach ihrem Kinderwunsch zu befragen ist inakzeptabel. An Tag eins als Leader hatte ich in unserem Ersten Programm gleich mal einen kleinen Empörungsanfall", so Ardern.

Top Job mit Kind – wo ist das Problem?

"A Different Kind of Power" von Jacinda Ardern
"A Different Kind of Power" von Jacinda Ardern | Bild: Das Erste

Im Buch erzählt Jacinda Ardern, wie sie nur Tage, bevor sie den Top-Job übernahm, selbst erfuhr, dass sie schwanger war. Wie sie sich damals über Nacht als ganz normaler Mensch in einer ganzen Reihe außergewöhnlicher Umstände wiederfindet. Kurz bevor es so weit ist, hat sie einen offiziellen Termin bei der Chefin, dem Staatsoberhaupt im Buckingham-Palast. "Sehr wenige Frauen in Führungsämtern haben das erlebt, was ich erlebt habe: Im Dienst ein Kind bekommen. Also dachte ich mir: Frag doch mal Ihre Majestät, Queen Elisabeth! Ihre Antwort war wunderbar: Mach's einfach, hat sie gesagt. Und Recht hatte sie. Es ist doch keine Zauberei! Man muss nur jeden Tag nehmen, wie er kommt", erzählt Jacinda Ardern. Ihr Lebensgefährte übernimmt, wenn sie im Parlament oder in der UN-Vollversammlung eine Rede hält – drei Monate ist die gemeinsame Tochter Neve da. Top Job mit Kind – wo ist das Problem?

Mit Empathie und Konsequenz durch Krisen

Jacinda Ardern ehem. Premierministerin Neuseeland und Autorin
Jacinda Ardern ehem. Premierministerin Neuseeland und Autorin | Bild: Das Erste

Christchurch, 15. März 2019. Ein rechtsextremistischer Attentäter postet live ins Internet, wie er zwei Moscheen angreift und 51 Menschen erschießt. Neuseeland unter Schock. Jacinda Ardern zeigt den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl, ihr Entsetzen. Und verschärft nach dem Massenmord umgehend das Waffenrecht. "Ich werde oft gefragt, ob ich es geschafft habe, die Ereignisse damals für mich zu verarbeiten. Und ich antworte: Nein, habe ich nicht. So etwas begleitet einen für den Rest des Lebens", so Ardern. Frühjahr 2020 – die nächste Mega-Krise: Corona-Alarm. Wieder reagiert Jacinda Ardern entschlossen, verhängt einen radikalen Lockdown, lässt sich als erste impfen. Was damals geschah, hat Folgen bis heute. "Corona hat uns alle zutiefst verunsichert und aus dem Gleichgewicht gebracht – das ist noch nicht vorbei. Wir in den Machtpositionen müssen realisieren, was Covid mit uns als Gesellschaft gemacht hat – und wie wir uns auf die nächste Pandemie vorbereiten", erklärt Jacinda Ardern.

Der Anfang vom Ende

Jacinda Ardern Autorin
Jacinda Ardern Autorin | Bild: Das Erste

Oktober 2020: Historischer Wahlsieg, absolute Mehrheit für die Premierministerin Jacinda Ardern. Niemand ahnt, dass es der Anfang vom Ende ist. Als Corona vorbei ist, eskalieren die Proteste von Impfgegnern und selbst ernannten Freiheitskämpfern. Jacinda Ardern, die globale Ikone – jetzt ist sie Hassfigur, ihr Ideal, die Empathie in der Politik diskreditiert. Zwei Jahre nach ihrem Rücktritt scheint auch auf der Weltbühne nicht mehr Mitgefühl, sondern vielerorts wieder nur das Recht des Stärkeren zu gelten. "Alle Scheinwerfer sind auf die Lautesten gerichtet. Leute, die ihre Macht auf sehr spezielle Art nutzen. Ich glaube an das alte Credo: Politik sollte ein nobler Dienst am Menschen sein. Wir müssen die Scheinwerfer zurechtrücken, wieder verantwortungsvolle Politik machen. Ich bin optimistisch. Doch jetzt gerade schlägt das Pendel zur anderen Seite aus", so Ardern. Man kann sich fragen, warum Autokraten niemals die Kraft zum Weitermachen fehlt. Oder hoffen, dass sie Recht behält: Jacinda Ardern, die zuerst Mensch, dann erst Politikerin sein wollte.

Autor: Andreas Lueg

Buchtipp:
"A Different Kind of Power" von Jacinda Ardern
Verlag btb

Stand: 29.06.2025 21:50 Uhr

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