SENDETERMIN So., 29.06.25 | 23:35 Uhr | Das Erste

"Über den Hass hinweg"

Die Geschichte einer Brieffreundschaft zwischen Tel Aviv und Teheran

"Über den Hass hinweg" | Video verfügbar bis 29.06.2026 | Bild: Das Erste

Sie lebt in Tel Aviv, er in Teheran. Sie sind zwei Fremde aus verfeindeten Ländern – und doch schreiben sie sich Briefe. Tauschen sich aus über Liebe und Lieblingsorte, ihre Träume und Ängste, Familien, Freunde, Religion. Und über den Hass zwischen ihren Ländern, mit dem sie nichts zu tun haben wollen. Katharina Höftmann Ciobotaru, eine israelisch-deutsche Autorin aus Tel Aviv, und Sohrab Shahname, ein iranischer Fotograf und Journalist aus Teheran. Es begann mit einer Message auf Instagram und ist bis heute ein intensives Gespräch per Mail: Über Heimat, Fremdheit und Glück, aber auch über Alltagssorgen, steigende Preise etc. Dar­über, was uns ausmacht, wer wir sein möchten – und wo wir die Freiheit finden, so zu sein, wie wir sein möchten. Sie schreiben über Trennendes und das, was sie verbindet – Worte sind eine Brücke über den Hass hinweg, sagt Katharina Höftmann:
"ttt" hat die beiden Autoren getroffen und mit ihnen über ihre Freundschaft, die Kraft der Worte und das zersetzende Gift des Hasses gesprochen. Beide haben mittlerweile ihre Heimatorte verlassen: Katharina Höftmann Ciobotaru ist – vorübergehend – vor den Raketenangriffen in einen kleinen Ort an der jordanischen Grenze geflohen. Sohrab Shahname, der in Wirklichkeit anders heißt und für den allein der Kontakt zu einer israelischen Staatsbürgerin die Todesstrafe hätte bedeuten können, hat seine Heimat Iran hinter sich gelassen und lebt nun an einem geheimen Ort. In einer seiner Mails, noch aus Teheran, erzählt er von seiner Lieblingsstraße, beschreibt sie als "die längste Straße der Welt". "Ich glaube", antwortet seine Brieffreundin in Tel Aviv, "die längste Straße der Welt im Nahen Osten ist die zum Frieden".

Eine Freundschaft zwischen Teheran und Tel Aviv

Katharina Höftmann Ciobotaru Autorin
Katharina Höftmann Ciobotaru Autorin | Bild: Das Erste

"Wir haben das letzte Mal vor zehn Minuten geschrieben. Das Hauptding, was wir uns im Moment schreiben, ist: Wie geht es dir? Wie geht es dir?", erzählt Katharina Höftmann Ciobotaru. Sohrab Shahname hatte letzte Woche drei Tage keinen Kontakt zu seiner Familie. Das Regime im Iran hatte das Internet abgeschaltet. "Ich wusste nicht, ob meine Liebsten noch am Leben sind oder nicht. Mir war, als würde alles in Dunkelheit versinken", berichtet er. "Das ist natürlich auch was, wo wir so ein unausgesprochenes Verständnis füreinander haben. Er weiß, was es bedeutet, wenn man ständig Angst hat, also wenn die Angst so Teil von dir wird, obwohl vielleicht gerade gar nichts passiert. Ich weiß, ich bin jetzt in der Wüste, ich bin nicht mehr im Zentrum. Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass hier irgendwas runterkommt. Und trotzdem wachst du morgens auf mit Herzrasen und denkst: Angst, Angst, Angst, Angst. Und das ist ein Gefühl. Das kennt er auch", so Höftmann Ciobotaru weiter.

Vertraute aus verfeindeten Ländern

Sohrab Shahname Journalist
Sohrab Shahname Journalist | Bild: Das Erste

Die deutsch-israelische Schriftstellerin Katharina Höftmann Ciobotaru. Und der iranische Journalist Sohrab Shahname. Sie sind Vertraute aus verfeindeten Ländern. Anfangs war es nur ein loser Online-Kontakt auf Instagram. Bis zum Terrorangriff der vom Iran unterstützten Hamas am 7. Oktober 2023. "Da hat Sohrab mir eine Nachricht geschrieben, wie wahnsinnig ihm das leid tut, was uns in unserem Land passiert ist. Und dass er hofft, dass es uns gut geht. Und das fand ich. Also ich fand es bemerkenswert, weil ich habe die Nachricht von ganz vielen deutschen Freunden nicht mal bekommen. Und da habe ich gedacht okay, also jetzt möchte ich aber doch wissen, wer. Wer sitzt da hinter diesem Account? Was ist das für ein Mensch? Das, der in einer solchen Situation noch die Anteilnahme mir gegenüber hat?", beschreibt die Schriftstellerin. Sohrab Shahname war es immer wichtig, sich mit der Welt zu verbinden, Freunde zu haben, in den USA, in Israel, in allen möglichen Ländern. "Als Iraner wächst man mit der Gehirnwäsche des Regimes auf, dabei geht es einfach nur um menschliche Verbindung. Und es gibt kein besseres Mittel gegen Propaganda als Menschen kennenzulernen, von denen das Regime behauptet, sie seien unsere Feinde", erzählt er.

In ihrem E-Mails tauschen sie sich über die alltäglichsten Dinge aus

Katharina Höftmann Ciobotaru Autorin
Katharina Höftmann Ciobotaru Autorin | Bild: Das Erste

Sohrab war seine Welt zu eng. Doch für Kontakte mit israelischen Staatsbürgern droht im Iran die Todesstrafe. Für Sohrab, der in Wirklichkeit anders heißt, war jede Mail ein Risiko. Mittlerweile hat er sein Land verlassen, ist aus dem Iran geflohen. Wohin, will er nicht sagen, sein Gesicht besser nicht zeigen. Seit dem Krieg ist das Regime erst recht unberechenbar geworden. "Gerade heute Morgen wurde wieder ein Mann im Iran hingerichtet, wegen vermeintlicher Unterstützung Israels. Wirklich. Es ist schockierend. Ich habe immer alle Nachrichten und E-Mails an Katharina gleich wieder gelöscht. Weil ich Angst hatte, auf der Straße in eine Kontrolle zu geraten. Denn was wäre gewesen, wenn sie mein Telefon durchsucht und gesehen hätten, dass ich mir mit einer Israelin schreibe?", so Sohrab. Dabei tauschten sie sich in ihren Mails über die einfachsten, alltäglichsten Dinge der Welt aus. "In meiner ersten E-Mail habe ich ihn gefragt, was sind deine Lieblingsorte in Teheran? Und da hat er mir eigentlich drei Kurzgeschichten geschrieben. Da habe ich direkt gemerkt okay, hier sitzt jemand, der eine ähnliche Liebe dazu hat, Geschichten zu erzählen. Und das war für mich von Anfang an wahnsinnig faszinierend, weil ich plötzlich das Gefühl hatte, da tat sich so ein Fenster auf in eine Welt, die mein Leben mitbestimmt, weil der Iran als irgendwie der größte Feind Israels, und er öffnete dieses Fenster und ich guckte plötzlich rein nach Teheran und dachte oh, wow, und so sieht es da aus. Und so riecht es da und so fühlt es sich da an!", beschreibt Katharina Höftmann Ciobotaru.

"Die längste Straße im Nahen Osten ist der Weg zum Frieden"

Sie erzählen sich von ihren Familien, schreiben über Freundschaft, Kunst, die hohen Preise nach der Pandemie. Sohrabs Lieblingsort ist übrigens eine Straße, die er die „längste Straße der Welt“ nennt. Katharina antwortet: Ich glaube, die längste Straße im Nahen Osten ist der Weg zum Frieden. Über solche Pointen können sie beide lachen. "Was uns Menschen verbindet, ist das Menschsein und was uns trennt, ist ganz viel, was von außen irgendwie reinkommt. Und deswegen war es für mich eigentlich nicht erstaunlich, dass da ein Mann sitzt, der Träume hat, der Hoffnung hat, der sich Freiheit wünscht, der sich Frieden wünscht", so die Schriftstellerin.

Die Sehnsucht nach Freiheit verbindet sie

Katharina Höftmann Ciobotaru Autorin
Katharina Höftmann Ciobotaru Autorin | Bild: Das Erste

Gerade in der Sehnsucht nach Freiheit sind sie sich nah. Katharina Höftmann Ciobotaru wurde 1984 in der DDR geboren, in Rostock. Die Liebe führte sie nach Israel. Seit 2010 lebt sie in Tel Aviv. Hier hat sie geheiratet, Kinder bekommen, ist zum Judentum konvertiert. "Ich gehöre nicht mehr richtig nach Deutschland. Ich lebe seit 15 Jahren nicht mehr dort. Aber es gibt auch immer noch ein kleines bisschen, was mich natürlich trennt von meinem Leben in Israel. Und es ist natürlich gerade jetzt in so einer jetzigen Situation im Krieg, wo ich mich oft umgucke und denke: Was mache ich hier, wie bin ich, wie habe ich mich in diese Situation rein katapultiert, dass ich hier bin? Meine Kinder wachsen hier auf mit Bombenalarm. Also wo gehöre ich hin? Ich weiß es nicht", erzählt Katharina Höftmann Ciobotaru. Vor den Raketenangriffen des Iran flüchtete sie mit ihrer Familie in die Wüste, in ein Dorf im Süden Israels. Das Land ist ihr Zuhause – doch eine Fremdheit bleibt, schreibt sie Sohrab. Katharina Höftmann Ciobotaru liest: "Ich habe einmal ein Bob Dylan Zitat gelesen: 'Ich wurde weit weg von dem Ort geboren, an dem ich eigentlich sein sollte, deshalb befinde ich mich seitdem auf dem Weg nach Hause.' Der Satz beschreibt genau das, was ich mein Leben lang gefühlt habe".

Am Ende sind es die großen Fragen, die bleiben

Über den Hass hinweg. Briefe zwischen Tel Aviv und Teheran
Über den Hass hinweg. Briefe zwischen Tel Aviv und Teheran | Bild: Das Erste

Wer kann ich sein? Und wo kann ich sein, wer ich sein will? Was ist Heimat, was Freiheit? Am Ende sind es die großen Fragen, die zwischen ihnen bleiben. Und das Gefühl, genau darin eine Brücke gefunden zu haben. Eine Brücke über den Hass. Wir haben den gleichen Feind, schreibt Katharina in Tel Aviv an Sohrab in Teheran. "Wir haben den gleichen Feind insofern, als dass wir natürlich beide mit dem Extremismus kämpfen und beide wissen, was für eine hohe Bedeutung Freiheit hat. Und ich glaube, das ist unsere größte Gemeinsamkeit, dass wir wirklich wissen, wie wichtig Freiheit ist", erklärt die Schriftstellerin. "Nachdem ich mein Land verlassen hatte, habe ich erst wirklich verstanden, was Freiheit bedeutet. Freiheit ist leben zu können, ohne Angst. Reden zu können, ohne Angst. Aufzuwachsen ohne Ideologie. Freiheit ist alles. Freiheit ist Leben", sagt Sohrab.

Autor: Tim Evers

Buchtipp:
"Über den Hass hinweg. Briefe zwischen Tel Aviv und Teheran"
Katharina Höftmann Ciobotaru und Sohrab Shahname
Blessing Verlag

Stand: 30.06.2025 17:40 Uhr

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