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Rechtsextreme Gewalt nimmt drastisch zu

Warum sind gerade junge Männer immer empfänglicher für rechtsradikale Ideologie?

Rechtsradikalismus unter jungen Männern | Video verfügbar bis 22.06.2027 | Bild: IMAGO / Hami Roshan

Rechtsextreme Jugendliche zünden ein Kulturzentrum an. Brandstiftung, Prügelattacken – auch auf Politiker und Wahlhelfer. Der Verfassungsschutzbericht meldet: fast 50 Prozent mehr rechtsextreme Straftaten im vergangenen Jahr. Und immer öfter sind die Täter: sehr junge Männer, fast noch Kinder – wie bei der "Letzten Verteidigungswelle", einer rechtsterroristischen Zelle.

"Das Alter wird tendenziell jünger", sagt der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent. "Wenn man auf Einzelfälle schaut, wird man immer auch Referenzwerte finden, dass es das früher schon gab. Aber in der Breite, in der wir es jetzt wieder sehen, hat es zumindest eine eigene Dynamik entwickelt, die sich nicht vergleichen lässt mit anderen Dingen, die wir in den letzten zehn Jahren gesehen haben."

Bei Neonazi-Aufmärschen sind immer mehr Jugendliche dabei. Jungs, die sich offen einer rechtsextremen Ideologie zuordnen. "Das ist alarmierend", findet die Autorin Susanne Kaiser, "wo wir so lange dachten, das wäre ein Problem von alten weißen Männern und das stirbt irgendwann aus, da sehen wir: Nein, das ist unsere Zukunft, die so wählt, die so denkt, die diese Ideologien auch haben."

Junge Frauen und Männer entwickeln sich politisch unterschiedlich

Das bestätigen Studien zu politischen Einstellungen, aber auch das Wahlverhalten: Bei der Bundestagswahl war bei den männlichen 18- bis 24-Jährigen die in Teilen rechtsextreme AfD mit Abstand stärkste Kraft. Und hier zeigte sich auch, wie unterschiedlich das Wahlverhalten der Geschlechter ist, denn die jungen Frauen wählten eher links. Wohl auch deshalb, weil rechte Ideologie einen Rückschritt für gleiche Rechte bedeutet. Matthias Quent: "Wir haben festgestellt, dass insbesondere gut gebildete Frauen eine höhere Resilienz gegenüber Rechtsextremismus aufweisen, höher als bei Männern. Wir deuten das so, dass sich Frauen in einem Bildungsprozess auch mit Bedingungen von Patriarchat, mit Unterdrückung, mit Ungleichheiten auseinandersetzen müssen."

Junge Frauen und Männer entwickeln sich offenbar politisch in unterschiedliche Richtungen. Aber warum fühlen sich gerade die Männer stärker von extremistischen Bewegungen angezogen? Das habe auch mit aktuell propagierten Vorstellungen von Männlichkeit zu tun, sagt die Autorin Susanne Kaiser. Gerade in Social Media werden Jugendliche auf Identitätssuche beeinflusst, durch Videos, die ein einseitiges Männerbild zeigen, das des starken Mannes.

Ein zentrales Narrativ: der "Alpha-Mann"

"Da vermischt sich einfach sehr, sehr viel", sagt Kaiser. "Erst mal harmlose, zum Beispiel Fitness-Coaches, bei denen es erst mal nur darum geht, eine Freundin kennenzulernen: Da musst du ein bisschen was Präsentables haben. Und dann rutscht man über Fitness, ein bisschen Muskelaufbau, fit sein, trainieren, eben in so eine rechtsextreme Combat-Gruppe mit rein, eine Kampfsportgruppe."

Kämpferische, soldatische Maskulinität. Das Ideal ist die Idee vom "Alpha"-Mann, von der Überlegenheit des Mannes, auch des weißen Mannes, der Macht und Kontrolle hat. Vermischt mit Rassismus, Islamophobie, Frauenverachtung. Influencer wie Andrew Tate haben dieses Männerbild verbreitet und groß gemacht. Matthias Quent sagt dazu: "Zentrale Narrative und Körpervorstellungen beispielsweise aus dieser so genannten Mannosphäre sind übergeschwappt in den gesellschaftlichen Mainstream. Das heißt nicht, dass das eine eins zu eins Übernahme von Ideologien und Motiven ist. Aber doch eine Vermischung von den damit verbundenen Bildern und Rollenbildern, die dazu führen, dass die Unterscheidung oder auch die Abgrenzung gegenüber antidemokratischen, frauen- und menschenfeindlichen Versatzstücken dieser dort transportierten Botschaften, dass diese Grenzen immer stärker verwischen."

Das Ziel: ein umfassender Backlash

Der Erfolg machtbesessener, rechter Unternehmer und Politiker verstärkt den Anreiz, dazugehören zu wollen, zur globalen Bewegung der "starken Männer". Deutschlandweit haben sich in den letzten Jahren viele Neonazi-Gruppen gebildet, die sich vor allem über soziale Medien radikalisieren und Nachwuchs rekrutieren. "Hier können gerade die rechtsextremen Gruppen auch auf eine Lücke stoßen, die entsteht, weil sich Jugendarbeit, Sozialarbeit in vielen Räumen weit zurückgezogen hat. Es fehlt schlicht das Geld", so Quent. "Und auf der anderen Seite, weil über die Corona-Pandemie so viele Beziehungen abgebrochen sind, dass das Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach Zugehörigkeit offensichtlich stark ist. So stark, dass besonders enge, besonders hierarchisch strukturierte Gruppen diese Anerkennung offensichtlich gut vermitteln können."

Anerkennung, die durch Polykrisen verunsicherte junge Menschen vermeintlich aufwertet, zum "überlegenen" Geschlecht, zur "überlegenen" Rasse erklärt. Die bedroht sei, durch Migranten, Queere, Linke, Feministinnen. Nur der "kämpfende Mann" könne die äußeren und inneren Feinde abwehren, erzählt man ihnen. Deswegen diese martialischen Drohgebärden und Attacken. Auch auf Christopher Street Day-Paraden. Das Ziel: ein umfassender Backlash, was Gleichberechtigung, queere Rechte und Vielfalt angeht. Quent: "Rechtsextremismus ist eine sexistische, eine stark an hegemonialer Männlichkeit orientierte Ideologie und Bewegung, immer gewesen. Und damit greift es auch gesellschaftliche Entwicklungen auf, Identitätsverunsicherungen, neue Aushandlungen von Rollenkonflikten. Und der Rechtsextremismus kann dann sagen: 'Also wir sagen dir, wie ein echter Mann zu sein hat. Hier findest du die Ordnung und kannst sie auch gesellschaftlich wiederherstellen, die Komplexität, das Chaos und all das, was als Bedrohung skizziert wird, überwinden."

Quent: eine Kombination aus Gegenmaßnahmen sei notwendig

Welche Rolle auch das gesellschaftliche Klima für die Radikalisierung junger Männer spielt, hat der Soziologe Matthias Quent erforscht. Rechte Einstellungen seien in der Mitte der Bevölkerung akzeptierter geworden. Auch durch politische Diskurse. Und wo Rechtsextremismus weniger sozial geächtet werde, gebe es auch mehr Gewalt. Zum Beispiel im Osten. Wenn sich dann noch die Politik aus der Bildungsarbeit mehr und mehr zurückziehe, wirke das wie ein Brandbeschleuniger, sagt Susanne Kaiser: "Das ist ein ganz großes Problem, wenn jetzt all das gekürzt wird, also im Kultursektor so massiv gekürzt wird, in der Familienpolitik, in der Bildung. Das sind ja genau die wichtigen Bereiche, die junge Menschen auch zu Staatsbürger:innen heranziehen, die sich eben eine Meinung bilden können, die nicht indoktriniert sind oder radikalisiert."

Susanne Kaiser glaubt, das Problem lasse sich nicht lösen, ohne die Regulierung sozialer Medien. Matthias Quent findet, es sei eine Kombination an Maßnahmen nötig: "Es braucht auch die repressive Seite, das heißt also das Zerschlagen der entsprechenden Netzwerke und Organisationen, die sich gründen. Eine Zerstörung dieser Reproduktionskreisläufe, die insbesondere über soziale Medien, aber auch über kameradschaftsähnliche Strukturen bei rechtsextremen Demonstrationen und so weiter dafür sorgen, dass diese Szene attraktiv bleibt." Denn wenn man die rechtsextremen Orientierungen und Netzwerke jetzt nicht bekämpfe, verfestigen sie sich, ist er überzeugt.

Beitrag: Katja Deiß

Stand: 23.06.2025 08:29 Uhr

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