SENDETERMIN So., 03.09.23 | 23:35 Uhr | Das Erste

Im Porträt – die Schriftstellerin Nele Pollatschek

Gerade bringt sie ihren neuen Roman "Kleine Probleme" heraus

PlaySchriftstellerin Nele Pollatschek
Im Porträt – die Schriftstellerin Nele Pollatschek | Video verfügbar bis 03.09.2024 | Bild: picture alliance / Jens Kalaene

Nele Pollatschek, geboren 1988 in Ostberlin, gehört zu den interessantesten und meistbeachteten Autorinnen ihrer Generation. Schon für ihr Romandebüt "Das Unglück anderer Leute", in dem sie eine dysfunktionale Familie beschreibt, wurde die damals 25jährige mehrfach ausgezeichnet. Von ihren Erfahrungen als Studentin der Philosophie und der Literaturwissenschaften an der Elite-Universität Oxford handelt der Nachfolgeroman "Oxbridge", eine bissige und gleichzeitig witzige Abrechnung mit dem britischen Klassensystem und seinen Fallstricken. In ihrem neuen Buch "Kleine Probleme" greift Nele Pollatschek ein weit verbreitetes Phänomen auf: das Prokrastinieren, also das systematische Aufschieben bei der Erledigung von Alltagsaufgaben. "ttt" hat die Schriftstellerin, Podcasterin und Kolumnistin in Berlin getroffen. Sie spricht darüber, was Ost-und Westberliner Schriftsteller wirklich unterscheidet und über Steuererklärungen, die so kompliziert sein können wie die Zusammensetzung eines Zauberwürfels.

Der neue Roman handelt von Ordnung

Schriftstellerin Nele Pollatschek
Schriftstellerin Nele Pollatschek | Bild: Das Erste

Nele Pollatscheks neuer Roman handelt von Ordnung. Von dem Streben danach, und von der Schwierigkeit, Ordnung zu schaffen. Oft sind es nicht die großen Dramen, die uns verzweifeln lassen, sondern ein unaufgeräumtes Wohnzimmer oder nicht beantwortete E-Mails. "Die häufigsten großen Gefühle habe ich dabei, dass ich in fünf Minuten was abgeben muss und der Drucker funktioniert nicht. Und dann müsste ich den Treiber installieren. Aber ich habe das Betriebssystem nicht und dann stürzt das Ganze ab und dann funktioniert das WLAN nicht. Und ich habe auch noch nichts gegessen und ich muss aufs Klo. Und ich glaube, dass wir sehr viel Zeit mit kleinen Problemen verbringen, die uns in Wirklichkeit, wenn wir ehrlich sind, sehr oft bis an den Rand des Zusammenbruchs bringen", erzählt Nele Pollatschek.

Ihr Debüt "Das Unglück anderer Leute"

Als Romanstoff findet Nele Pollatschek das, was nicht funktioniert, spannender als das, was reibungslos vonstattengeht. Schon ihr Debüt "Das Unglück anderer Leute" erzählt von einer zerrütteten Familie, die ein wenig an ihre eigene Ost-Berliner Familie erinnert. Etwa an ihre Eltern, beide auch nach der Wende viel beschäftigte Medienschaffende. Das hatte auch seine Vorteile: Die Tochter war früh auf sich allein gestellt. "Also ich empfinde das als großen Luxus, dass man die hauptsächliche Zeit nicht von irgendeiner Mutter betüdelt wird, sondern eigentlich seine Ruhe hat als Kind und irgendwie selber sein Ding machen kann", so die Autorin.

"Oxbridge" – eine Abrechnung mit dem britischen Klassensystem

Nele Pollatschek studierte Philosophie und englische Literatur in Großbritannien
Nele Pollatschek studierte Philosophie und englische Literatur in Großbritannien | Bild: Das Erste

Früh zeigte sich bei ihr ein intellektueller Ehrgeiz. Sie wollte an den britischen Elite-Universitäten Oxford oder Cambridge studieren, Europas exklusivsten Bildungs-Institutionen. "Seitdem ich 16 oder noch jünger war, wollte ich da gerne hin. Ich wollte in dieser Welt leben und war total obsessiv, total besessen von Großbritannien und speziell von diesem spezifischen Großbritannien. Ich wollte Teil, ich wollte so jemand sein oder ich wollte dazugehören", erzählt Nele Pollatschek. Sieben Jahre lang gehörte sie dazu, studierte Philosophie und englische Literatur. Verarbeitete die Erfahrung in dem Buch "Oxbridge" – ein Abschied und zugleich eine Abrechnung mit dem britischen Klassensystem und seinen Ungerechtigkeiten.

"Kleine Probleme" blickt auf lästige Alltäglichkeiten

Autorin, Podcasterin und Kolumnistin Nele Pollatschek
Autorin, Podcasterin und Kolumnistin Nele Pollatschek | Bild: Das Erste

In dem neuen Buch "Kleine Probleme" blickt sie auf die lästigen Alltäglichkeiten des Lebens. Der Romanheld und 49jährige Ich-Erzähler Lars schafft es nicht, seine To-Do-Liste abzuarbeiten. Es ist Silvester, die Familie ist abwesend, und nichts ist erledigt. Abwasch, das Bett zusammenschrauben, Steuer machen – er schiebt alles auf. Denkt sich Rechtfertigungen aus für seine Untätigkeit. Raucht. Dabei will er mit dem Rauchen aufhören. Für ihn steht fest: Einen Haushalt zu ordnen, ähnelt der Lösung eines Zauberwürfels. Der ist das perfekte Symbol für die unermessliche Komplexität der Welt. "Der Würfel hat seine sechs Seiten und easy. Und dann gibt es sozusagen 43 Trillionen Arten von Chaos und nur eine einzige ist gelöst. Wenn wir einsehen können, dass wir den Zauberwürfel nicht einfach mal schnell lösen können, wird sehr klar, warum das Leben uns vor unlösbare Probleme stellt, und warum die Vorstellung, man könnte es ordnen, einfach nicht funktioniert", so Pollatschek.

Romanheld und Prokrastinierer Lars

Nele Pollatschek, geboren 1988 in Ostberlin
Nele Pollatschek, geboren 1988 in Ostberlin | Bild: Das Erste

Die Autorin taucht ein in die Gedankengebilde ihres Romanhelden. Folgt den geistigen Windungen und Ausflüchten des Hans-Guck-in-die-Luft und Prokrastinierers Lars, der nach Höherem strebt und am Ende in der verstopften Regenrinne steckenbleibt. "Wir sind alle in der Gosse, aber manche von uns gucken in die Sterne. Und ich glaube, Lars versucht immer wieder, in die Sterne zu gucken – was ihn natürlich davon ablenkt, in der Gosse sauberzumachen. Er ist sehr viel in seinem Kopf, und das haben wir eindeutig gemein. Ich verbringe auch die meiste Zeit in meinem Kopf", erzählt die Schriftstellerin.

"Kleine Probleme" handelt auch vom Scheitern

"Kleine Probleme" von Nele Pollatschek
"Kleine Probleme" von Nele Pollatschek | Bild: Das Erste

Im Roman verzahnt sie Profanes mit hochphilosophischen Betrachtungen. Doch die können nichts ausrichten gegen die anbrandende Unordnung. "Kleine Probleme" handelt auch vom Scheitern. "Der ganze Kleinkram, wenn man deswegen sein Leben nicht auf die Reihe kriegt. Wenn man deswegen dasteht und denkt, so wollte ich das doch gar nicht, ich wollte doch was ganz anderes machen mit meinem Leben, dann ist das für mich tragisch. Aber es ist eine Art von Tragik, die wahrscheinlich jeder Mensch erfährt", erklärt Nele Pollatschek. Sie betrachtet die Welt wie durch eine Lupe. Sie schaut auch dort genau hin, wo andere wegschauen. Dabei erfasst sie nicht nur die tragischen Seiten der Welt, sondern auch die komischen.

Autorin: Hilka Sinning

Buchtipp:
Nele Pollatschek: "Kleine Probleme"
Verlag: Galiani-Berlin
Erscheinungstermin: 07.09.2023

Stand: 03.09.2023 19:28 Uhr

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Rundfunk Berlin-Brandenburg
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