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Zwischen den Welten

Wie der deutsch-nigerianische Hip-Hop-Künstler Kelvyn Colt international durchstartet

PlayDer Hip-Hop-Künstler Kelvyn Colt steht in der Londoner Innenstadt.
Hip-Hop-Künstler Kelvyn Colt startet durch | Video verfügbar bis 02.07.2024 | Bild: hr

Kelvyn Colt: Rapper, Musiker – und der nächste internationale Hip-Hop-Star aus Deutschland?

Kelvyn Colts musikalische Wiege ist in London, Shoreditch: Hier fing es für ihn erst richtig an, nachdem es in Deutschland zunächst nicht geklappt hat. Denn ein deutscher Rapper mit englischen Texten und einem Soundmix unterschiedlichster Genres, das passte scheinbar nicht in die deutsche Hip-Hop-Szene. Doch dann geht 2017 „Bury Me Alive“ viral und Millionen weltweit kennen plötzlich diesen Kelvyn Colt. Jetzt schaut auch Deutschland hin.

„Die Deutschen sind immer ein bisschen vorsichtig, wenn es darum geht, etwas, das irgendwie anders ist, zu akzeptieren und zu embracen“, erklärt Colt. „Und dann war es so: Okay, die nehmen mich nicht ernst, weil ich als Deutscher gesehen werde, der auf Englisch Musik macht. Also muss ich in ein Land, wo man Englisch spricht, dort erfolgreich sein und dann kann ich zurück nach Deutschland kommen und dann sagen alle Deutschen: ‚Oh mein Gott, ja, das ist einer von uns‘ Und so ist es dann auch gekommen.“

Sein Weg zum Plattenvertrag

Außenseiter sein – dieses Gefühl kennt er sein Leben lang. Kelvyn Colt wächst zwischen verschiedenen Kulturen in Wiesbaden auf. Sein Vater ist Nigerianer, die Mutter Deutsche. Familiensprache: Englisch. Seine Eltern haben immer wenig Geld – aber dank der finanziellen Unterstützung seiner Lehrer schafft er es auf eine Privatschule. Hier ist er wieder Außenseiter unter weißen Oberschicht-Kids.

„Ja, es war interessant, weil ich hatte viele Freunde, aber habe mich sehr oft sehr, sehr allein gefühlt. Ich war dann auf einer Privatschule, aber zu Hause haben sie Internet und Strom abgeschaltet“, erinnert sich Colt. „Ich war halt immer zwischen den Stühlen, zwischen den Welten. Und in meinen teenage years hat das auf jeden Fall ein bisschen eine identity crisis ausgelöst. Die mich dann auch zur Musik geführt hat. Und that like changed my life, saved my life.“

Mit 19 geht er dann nach London, allein. One-Way-Ticket. Er couchsurft, rappt auf Open Mics, will sich in der Szene einen Namen machen. Sein Plan geht auf: Er unterschreibt bei Four Music (Sony), spielt ausverkaufte Shows auf der ganzen Welt.

Streamingzahlen, Algorithmen und künstlerische Freiheit

Wenig später kauft er sich aus seinem Labelvertrag wieder raus. Die starren Regeln der Musikindustrie, die Verwertungslogik, die Algorithmen sind nichts für ihn. Das Gefühl, nicht reinzupassen – da ist es wieder.

„Als ich in dem System war, da war ich einfach sehr fokussiert auf: Okay, I wanna grow, ich will größere Streamingzahlen haben, größere Shows. Und dann kam schon so dieses: Okay, vielleicht muss der Bass früher kommen, weil streamingmäßig, statistisch hören die Leute das nur so und so lang. Das heißt, ich bin auch anders an Musik rangegangen“, sagt Colt. „Und dann war das für mich so: ‚Okay, wie viel Geld wollt ihr haben, damit ich gehen kann?‘ Ob das am Ende sich rentiert finanziell… Nur Gott weiß das! Aber it touches people and that‘s what matters.“

Auf seinem neuesten Projekt „GERMAN ANGST“ erforscht Colt einen komplett neuen Sound. Und sich selbst. „German Angst“, das bedeutet für ihn nämlich auch: Seine eigene Angst vor dem Deutschsein. Davor, international als „der Deutsche“ wahrgenommen zu werden, während er in Deutschland doch immer der war, den man fragt: „Wo kommst du eigentlich her?“

Dennoch ist „GERMAN ANGST“ eine Liebeserklärung an den Techno – als immanent deutsches Genre. Und damit für ihn so etwas wie Konfrontationstherapie.

„Es war etwas, das ich sehr gemieden habe, weil es für mich sehr viel repräsentiert hat, das ich nicht mochte. Wir sind damals nie in die Clubs reingekommen, also meine Schwarzen Freunde und ich. Und das ist eigentlich ein Ort der Zuflucht. Es ist ein Ort, wo die Misfits hingehen, um zu celebraten. Und dann habe ich gesagt, ich will mich nicht mehr davor verstecken und ich will es nicht mehr verneinen. Und ich mache das jetzt zum Teil von meiner Identität auf diesem Projekt.“

Wie viel Schwarzsein duldet diese Welt?

Stück für Stück legt Colt auf „GERMAN ANGST“ die Schichten seines Selbst frei. Und dazu zählt auch: ein Schwarzer Mann zu sein, in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft. Wie viel Schwarzsein duldet diese Welt? Wie viel Wut, wie viel Schmerz über die Ungerechtigkeit ist „erlaubt“?

„Auf der einen Seite wirst du gefürchtet, wird deine Hautfarbe gefürchtet und was du symbolisierst. Auf der anderen Seite wirst du fetishized und du bist auch ein Sexobjekt, ein Objekt der Begierde. Auf der einen Seite wirst du zum Beispiel für Dreads geshamed in der westlichen Kultur. Und auf der anderen Seite laufen White Kids rum, inspired by Bob Marley. Also immer diese Extreme, diese Dualität in der du dich befindest.“

„Zwischen den Welten“, da lebt Kelvyn Colt auch jetzt noch. Aus dem Koffer, irgendwo zwischen Berlin, London, Paris und LA. Und in diesem „Dazwischen“ hat er sich gefunden.  

„In unserer Gesellschaft haben wir so viele Boxen und Boundaries: Nein, so musst du sein. So musst du als Mann sein. So musst du als Frau sein. So musst du als Schwarzer sein. So musst du als Weißer sein, als Moslem, als Christ, als bla bla bla bla bla. No fuck all of that! Again: You're human. Und wir als Menschen waren da bevor religiöse Dogmen und Genderkonstrukte und sonst was da waren. Und we will probably still be there once all of these things disappear.“


Beitrag: Jella Mehringer

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Hessischer Rundfunk
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